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Moderation: Liebe Hörer, der deutsche Botschafter in China, Dr. Volker Stanzel, hat am Mittwoch Radio China International in Beijing einen Besuch abgestattet. Während seines Aufenthaltes im Funkhaus wurde der Botschafter zum Studio der deutschen Redaktion eingeladen, um mit dem stellvertretenden Chef-Redakteur von Radio China International, Dr. Li Zhongshang, ein Gespräch zu diversen Themen zu führen. Das Interview wurde von unserer Reporterin Tan Lei geführt, Näheres darüber hören Sie im folgenden Beitrag:
Moderatorin (M): Vor allem möchte ich im Namen der deutschen Redaktion Sie beide herzlich willkommen heißen. Zuerst möchte ich Sie bitten, jeweils eine Selbstvorstellung zu machen.
Botschafter Dr. Stanzel (B): Zunächst ganz herlichen Dank für die Einladung. Ich freue mich sehr, hier bei Ihnen zu sein. Und das ist für mich das erste Mal, dass ich bei China Radio International bin, seitdem ich als Botschafter nach China kam, das war im September des Jahres 2004. Es war bisher eine sehr interessante und spannende Zeit mit vielen Kontakten zu chinesischen Medien. Und jetzt wird es höchste Zeit, auch einmal China Radio International kennen zu lernen.
Stellvertretender Chef-Redakteur von RCI ( Prof. Li): Guten Tag. Ich bin Li Zhongshang, stellvertretender Chef-Redakteur von China Radio International. Vor allem möchte ich die deutschen Hörer grüßen. Ich habe in Bonn studiert und im Jahr 1984 promoviert, im Hauptfach Philosophie und in den Nebenfächern Wirtschaft und Politologie. Heute freue ich mich besonders, mit Herrn Dr. Stanzel, dem deutschen Botschafter in Beiing, zusammen im Studio das Programm zu machen.
Moderation (M): Es ist für uns auch eine große Ehre, Sie beide in unserem Studio zu haben. Ich weiß, daß Sie beide sehr beschäftigt sind. Als Botschafter sind Sie, Herr Dr. Stanzel, sehr häufig unterwegs. Und es ist auch der gleiche Fall bei Herrn Professor Li. Wir Medienleute befinden uns nun gerade in einer Hochsaison, weil die Jahrestagungen des Chinesischen Volkskongresses und des Landeskommitees der politischen Konsultativkonferenz gerade in Beijing stattfinden. Es ist nicht nur für uns Medienleute, sondern auch für das ganze Land ein großes Ereignis. Und soviel ich weiß, können Sie, Herr Botschafter, als ausländischer Diplomat an den Tagungen teilnehmen. Haben Sie vielleicht den Tätigkeitsbericht der Regierung des Ministerpräsidenten Wen Jiabao vor Ort angehört?
B: Nein, aber den Text habe ich am nächsten Tag gelesen. Das ist eine Menge Stoff. Man braucht lange Zeit, um das zu analysieren.
M: Und welchen Eindruck haben Sie von dem Rechenschaftsbericht?
B: Da ist viel Arbeit in den Rechenschaftsbericht eingegangen. Und das wird sehr wichtig sein, das genau zu analysieren und zu erfahren, in welche Richtung China steuern wird. Na ja, was auffällt, ist die Unterstreichung der Bedeutung der Veränderung der Ausrichtung der chinesischen Regierungspolitik vom reinen Wachstum hin auf die Sorgen der Bevölkerung, insbesondere der Bevölkerung auf dem Land. Das wird sehr schwer durchzuführen sein. Es gibt viele, viele Gemeinden, viele Provinzen, für die großes Wachstum an erster Stelle steht. Wir werden mit Spannung verfolgen, wie sich das dann in die Realität umsetzen lässt.
M: Herr Professor Li, Sie haben eben schon erwähnt, dass Sie Germanistik studiert und in Deutschland promoviert haben. Sie sind eigentlich auch ein Deutschland-Experte. Deshalb sind Sie als Medienvertreter zum chinesisch-deutschen Dialogforum in Berlin im letzten Jahr eingeladen worden. Können Sie uns bitte genau die Reise erklären?
Prof. Li: Ja. Im November 2005 war ich mitgereist mit unserem Staatspräsidenten Hu Jintao, um an dem chinesisch-deutschen Dialogforum in Berlin teilzunehmen. Der deutsche Bundespräsident Köhler war natürlich auch anwesend. Ich hatte selbst eine Rede gehalten mit dem Thema "Deutschland aus chinesischer Sicht". Und im Vorfeld des Dialogforums hat die chinesischsprachige Website von CRI-Online Anfang November eine Meinungsumfrage zum Thema "Deutschland aus Ihrer Sicht" durchgeführt. Die Befragten waren zwischen 18 und 55 Jahre alt und stammten aus allen Schichten der Gesellschaft. Da gab es verschiedene Fragen. Hauptsächlich würde ich sagen, die Chinesen haben ja wirklich einen sehr guten Eindruck von Deutschland, vor allem, was die wissenschftlich-technischen Fortschritte angeht. Das ist der erste Eindruck der Chinesen über Deutschland. Von den Industriebranchen Deutschlands sind die Chinesen besonders beeindruckt und natürlich vor allem von deutschen Autos. Und was ist dann von der deutschen Kultur den Chinesen am besten bekannt? Das ist interessant, dass am besten deutsche Philosophie und Geschichte bekannt sind. Wenn man von der Geschichte redet, muss man feststellen, dass die Chinesen glauben, dass die Deutschen den richtigen Weg eingeschlagen haben, nämlich von der Spaltung zur Einheit, vom Krieg zum Frieden. Und deswegen würde ich sagen, daß die Chinesen von Deutschland wirklich einen sehr guten Eindruck haben. Und gerade bei der Frage Einheit. Da bin ich recht dankbar, dass die Deutschen die chinesische Einheit auch immer unterstützt haben.
M: Gerade zu diesem Thema habe ich eine Frage an Herrn Botschafter. China ist gerade mit der Frage "Landeswiedervereinigung" konfrontiert. Was verstehen Sie darunter?
B: Sehen Sie. Deutschland ist inzwischen schon seit 15 Jahren vereinigt. Das ist eine sehr lange Zeit, schon eine halbe Generation. Ich hoffe doch, dass inzwischen auch unsere chinesischen Freunde die deutsche Einheit unterstützen, denn - wie gesagt - fünfzehn Jahre ist schon ein guter Teil in der Geschichte. Was wir lange Zeit befürchtet haben, ist etwas, was vielleicht auch in China in der Überlegung eine Rolle spielt. Wenn die sehen, dass da ein Land sozialistischer Orientierung sich mit dem Land marktwirtschaftlicher Orientierung zusammentut, ob denn die Menschen nicht zu weit auseinander gewachsen sind - also nicht wirtschaftlich nicht mehr zusammenkommen können, sondern in den Köpfen Schwierigkeiten haben, sich zu verstehen. Na ja, und jetzt nach 15 Jahren bemerken wir, dass die Vorsitzenden der beiden großen Parteien in Deutschland Politiker aus Ostdeutschland sind, und dass die Bundeskanzlerin Deutschlands eine Politikerin aus der ehemaligen DDR, auch aus dem Osten Deutschlands, ist. Und dass das heute als Ergebnis einer demokratischen Wahl möglich ist, ist ein Beleg für die Fortschritte der Vereinigung, auch in den Köpfen der Menschen.
M: Wie wir alle wissen, wurde in Deutschland im letzten September gewählt. Und die deutsche Bundesregierung wird von der großen Koalition unter Leitung der Bundeskanzlerin Angela Merkel gestellt. Frau Merkel hat nach ihrem Amtsantritt nochmals die deutsch-chinesischen Beziehungen als wichtig hingestellt und die Kontinuität der deutschen China-Politik angekündigt. Können Sie als der höchste deutsche Repräsentant in China diese Äußerung der Bundeskanzlerin genauer darlegen?
B: Wenn Sie die Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen betrachten, dann sehen Sie über die Jahrzehnte eine allmähliche Verbesserung, und seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik in China eine sehr dynamische Verbesserung. Das hat zwei Gründe. Einmal, dass unsere beiden Länder, unsere beiden Völker, eine ganze Menge voneinander wissen. Da gibt es eine grundlegende Sympathie und eine Wissensbasis, die die Zusammenarbeit erleichtert. Das reicht natürlich nicht. Dann kommen die Wirtschaftsbeziehungen dazu, denn die deutsche Wirtschaft hat schon sehr früh damit begonnen, die Reform- und Öffnungspolitik in China durch Investitionen hier im Land zu unterstützen, und ist auch, als die Reformpolitik in zwei schwierige Phasen geraten ist, nicht wieder weggegangen, sondern ist hier geblieben. Die hat sich also bewährt, sie hat bemerkt: Hier in China können wir profitabel arbeiten, und umgekehrt haben die chinesischen Partner gemerkt, dass die Reform- und Öffnungspolitik mit Hilfe der deutschen Wirtschaft besonders gut voranzutreiben ist. Das ist die Grundlage, und auf dieser Grundlage war es dann selbstverständlich, dass sich spätestens nach der deutschen Vereinigung auch die Politiker drum bemüht haben, die Konsultationen zwischen beiden Ländern in weitere Bereiche reinzuführen. Am Anfang ging es immer im Wesentlichen um bilaterale Probleme, heute beschäftigen wir uns mehr und mehr mit den großen globalen Problemen. Dass also eine neue Bundesregierung diese Tatsachen anerkennt und versucht, in gleicher Weise weiter zu arbeiten beziehungsweise es noch besser zu machen, ist - glaube ich - selbstverständlich. Und ich gehe davon aus, dass aus chinesischer Sicht die gleiche Meinung besteht.
M: Der deutsche Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat gerade seinen ersten Chinabesuch nach seinem Amtsantritt hinter sich. Und wir haben auch bemerkt, dass bei dem Besuch von Herrn Steinmeier die Vertiefung und der Austausch der chinesisch-deutschen Beziehungen in allen Bereichen von den Politikern beider Länder immer wieder betont wurden. Als Radioleute haben wir natürlich großes Interesse für einen intensiven Austausch zwischen den Medien beider Länder. Deshalb möchte ich Professor Li noch einmal fragen, welche Chancen und Perspektiven bestehen nach Ihrer Meinung für eine Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland im Medienbereich?
Prof. Li: Ja, ich würde kurz sagen, dass der Medienaustausch sehr wichtig ist. Um uns gegenseitig besser zu verstehen, müssen die Medien beider Länder in Zukunft besser zusammenarbeiten. Diesen Vorschlag habe ich auch dem Außenminister von Deutschland, Herrn Steinmeier, unterbreitet. Und der Außenminister hat - sagen wir mal - sehr positiv darauf reagiert, und der Botschafter, Herr Stanzel, hat den Vorschlag auch sehr positiv aufgenommen. Deswegen würde ich sagen, die Kommunikation ist heutzutage so wichtig geworden, und wir Chinesen, aber auch die Deutschen, wollen nicht nur guten Handel betreiben, sondern uns auch besser verstehen. Die Funktion der Medien ist dabei sehr wichtig.
M: Wie bekannt ist, wird die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende Mai China besuchen. Die chinesische Seite hofft, dass sie ein Zeichen gibt, dass - wie in der Vergangenheit - regelmäßige Konsultationen deutscher und chinesischer Spitzenpolitiker weiterhin stattfinden werden. Welche Erwartungen knüpft die deutsche Seite an den Besuch der Bundeskanzlerin?
B: Wir erwarten, dass umgekehrt die chinesische Seite auch das Signal gibt: Wir wollen die Beziehungen nicht nur so weiterführen wie bisher, sondern noch weiter verbessern. Dieses Signal müssen beide Seiten geben, und ich glaube, das ist auch zu erwarten. Vielleicht kommen wir zu einem noch häufigeren Besucheraustausch als in der Vergangenheit. Das wäre, denke ich, ein gutes Signal. Konkret muss das bedeuten: a) Wir wollen auch weiter dafür arbeiten, dass sich die Wirtschaftsbeziehungen verbessern, indem wir in Bereiche hineingehen, zum Beispiel High-Tech-Zusammenarbeit, wo wir bisher noch weniger gemacht haben - und b) dass wir uns der globalen Verantwortung, die unsere beiden Länder haben, stellen - Deutschland als ein Land, das schon sehr lange sehr aktiv in der UNO mitarbeitet, und China als ein Land, das ein ständiges Sicherheitsrat-Mitglied ist und dadurch besondere Verantwortung hat.
M: Wir haben schon bemerkt, dass Deutschland als wichtiges Mitglied der Europäischen Union in den letzten Jahren mehr und mehr anstrebt, in internationalen Angelegenheiten mitzuwirken. China - Sie haben es eben erwähnt - spielt da als ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrates eine wichtige Rolle auf der politischen Weltbühne. Und beide Länder haben in vielen internationalen Fragen gemeinsame Interessen. Wie können die beiden Länder in diesem Zusammenhang noch verstärkt zusammenarbeiten?
B: China ist eine große kontinentale Macht am Pazifik, Deutschland ist eine mittlere Macht im Zentrum Europas. Daraus ergeben sich auch Unterschiede in unserer Sichtweise, auch unterschiedliche Interessen. Deswegen, wenn wir strategisch zusammenarbeiten wollen und eine wirkliche strategische Partnerschaft verwirklichen wollen, müssen beide Seiten darauf achten und daran arbeiten, gemeinsame Gemeinsamkeiten ihrer Interessen zu identifizieren und dann festzustellen, in welcher Richtung, in welchen Bereichen sich zusammenarbeiten lässt, so dass beide ihre Ziele verwirklichen können. Nochmal: Dass beide die gleichen Ziele haben und hundertprozentig identische Interessen, ist nicht zu erwarten. Dazu sind unsere Länder zu unterschiedlich. Aber auf der Grundlage dessen, was Sie eben auch gesagt haben - Deutschland als Land, das eine Tradition globaler Aufgabenerfüllung hat und China als Land, das ein ständiges Sicherheitsratsmitglied ist: Beide Länder sehen sich den gleichen globalen Problemen gegenüber und müssen sie lösen. Aber nicht jeder auf seine Art, sondern so weit wie möglich gemeinsam.
M: Chinas Staatspräsident Hu Jintao hat auf dem UN-Gipfel im September letzten Jahres in einer Rede erstmals die Ideen der sogenannten "Harmonischen Welt" dargelegt. Und damit wird der Willen Chinas - Streben nach einer friedlichen Entwicklung - erneut betont. Das Konzept der "Harmonischen Welt" wird von allen Seiten mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Was verstehen Sie unter diesem Konzept?
B: Nun ja, von einer harmonischen Welt würden wir im Westen sicher erst dann sprechen können, wenn alle Staaten der Welt in gleicher Weise den Zielen von Freiheit und Frieden verpflichtet sind und das auch für ihre Völker verwirklichen. So, wie der Sprachgebrauch "Harmonische Weltgesellschaft" aber andeutet, geht es der chinesischen Führung wohl eher darum, darzustellen, dass in der UNO - also unter allen Staaten der Welt - ein Verhältnis der Gleichberechtigung herrschen muss und dass Probleme friedlich gelöst werden müssen. Das sind in der Tat die Ziele der Vereinten Nationen, und die teilen wir auch.
M: Also, das waren eigentlich meine Fragen. Ich bedanke mich nochmals für Ihr Kommen, ganz herzlichen Dank!
B: Dankeschön
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