Pizza
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Auf chinesischen Internetseiten duftet es so mancherorts nach Tomaten, Zwiebeln und Basilikum. Es handelt sich um Bisabing oder Pisa – das, was man auf Chinesisch eine Pizza nennt. Das Netz ist voll von chinesischen Pizza-Fans und Gourmets, die den würzigen Fladen als neue Form des Lifestyles in aller Ausgiebigkeit zelebrieren. Das Spektrum reicht von wissenschaftlichen Foren über die historische Vergangenheit der Pizza, über Kochvideos und Schritt-für-Schritt-Backanweisungen, unzählige Online-Lieferdienste bis zu Pizza-Spielen.
Grundlage für die meisten Posts ist die waghalsige Theorie, dass Pizza ihren Ursprung in China hat. Blogger Chef98 fasst die Herleitung voller Überzeugung zusammen:
„Pizza hat ihren Ursprung in China – allerdings nicht ganz ohne ausländische Beteiligung. Der berühmte italienische Reisende Marco Polo lernte während seines Aufenthaltes in China einen mit Gemüse und Fleisch gefüllten Fladen sehr zu schätzen. Zurück in der Heimat vermisste er diesen sehr. Vergeblich versuchte er sich an der Zubereitung. Aus der Not heraus ließ er einen renommierten Koch einen trockenen Fladen mit den Zutaten belegen, die dem chinesischen Gebäck ursprünglich als Füllung dienten. Daraus entwickelte sich dann die Pizza. Man könnte also von einem chinesischen Gericht sprechen, das ein Italiener anpasste."
Von italienischer Seite gibt es zu dieser Theorie zahlreiche Einwände, etwa, dass Pizza lange vor Marco Polo der römischen Küche bekannt war und zudem auf die etruskische Focaccia zurückgeht, die es seit dem 8. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung gab.
Bestens belegt hingegen ist der Siegeszug der Pizza in China ab den 1990er Jahren mit dem Eindringen westlicher Fastfood-Ketten. Sehr schnell konnte sich PizzaHut gegenüber McDonalds und KFC durchsetzen. Anfang des neuen Jahrtausends folgten Papa John's, Domino's, MR pizza – und schließlich chinesische Entsprechungen wie Origus und Big Pizza. Die chinesische Internetgemeinde befindet sich gegenwärtig jedoch in einem Spaltungsprozess, den User Batman's Wife in einem Pizza-Thread auf den Punkt bringt:
„Es gibt inzwischen Pizza-Fastfooder und Pizza-Gourmets. Wenn man zu Hause sitzt und nicht vor die Tür will, dann ist Pizza-Fastfood für mich allerhöchstens noch ein vager Kompromiss. Möchte ich Pizza als Delikatesse genießen, dann muss ich entscheiden: Entweder ich stelle mich auf einen Nachmittag in der Küche ein oder ich buche einen Tisch in einer der exklusiven Pizzerien, von denen es inzwischen so einige in Beijing gibt."
Chinesische Großstädte bieten inzwischen tatsächlich eine große Auswahl an hervorragenden Steinofenrestaurants. Der Trend unter den Gourmets weist allerdings eindeutig in Richtung „self-baked". Davon zeugen unzählige Koch-Videos auf chinesischen Portalen.
In vielen Beiträgen wird Pizza als Zenit des „Slow Food" dargestellt, mit dem man sich bewusst gegen die gängigen globalisierten Formen à la Pizza Hut wendet. In diesen Tagen, in denen sich ganz China auf das Frühlingsfest vorbereitet und die zentrale Frage zu beantworten ist, was auf dem Tisch stehen soll, schaffen es einige stark ‚sinisierte' Varianten ganz oben auf die Bestenlisten. Auf Weibo schreibt eine Familienmutter:
„Zu diesem Frühlingsfest haben wir uns für eine riesige Familienpizza entschieden. Wir verwenden den gewöhnlichen Hefeteig, lassen ihn aber ein wenig dicker und mengen Sesam unter. Das ist gesund. Wir verwenden ausschließlich frische Tomaten, ganz klein gehackt, und anstelle von Basilikum frischen Koriander. Ganz wichtig sind die verschiedenen Fleischsorten, Rindfleisch, Schweinefleisch und dann noch Minikrabben. Darüber kommen aus Italien importierter Pecorino, zudem Sesamöl, Sojasoße und geröstete Erdnüsse. Das wird wunderbar knusprig. Mein Sohn und die ganze Familie lieben das."
Die Faszination für chinesische Pizza äußert sich in Internet und Social Media in jeder Hinsicht. Stark im Kommen ist derzeit das App-Spiel „Pizza Ninja Legend" für das Smartphone.
Hier schlüpft der Spieler in die Rolle eines Küchenhelden und wirbelt heroisch mit Messern und Mixern, so dass Thunfisch und Käseraspeln nur so durch die Luft fliegen. Mit entkernten Oliven und scharfen Zwiebelringen bereitet er sich auf das Pizza-Duell gegen den Küchenchef vor. Bei den heftigen Attacken kommen explodierende Champignons und Mozzarella-Bomben zum Einsatz. Als eiserne Reserve können Tiefkühlpizza gelagert werden – wie im chinesischen Offline-Alltag allzeit bereit bei knurrendem Magen.
Text: Miriam Nicholls
Foto: Quweiwu.com