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Zhu Xueqin ist heute 38 Jahre alt und arbeitet als Verkaufsleiterin in einem bekannten Bekleidungsunternehmen in Shanghai. Bereits als Siebzehnjährige verließ sie ihr Heimatdorf in der Provinz Jiangsu, um in der benachbarten Metropole Shanghai einen Job als Wanderarbeiterin anzunehmen. Das war kein leichter Schritt, allerdings war ihre sozial schwach gestellte Familie auf das zusätzliche Einkommen angewiesen.
Mit lediglich einem High-School-Abschluss in der Tasche war es schwer für Zhu Xueqin, in Shanghai Fuß zu fassen. Doch hatte sie ihre Ziele klar vor Augen und ließ sich von Rückschlägen nicht verunsichern. Durch Fleiß und harte Arbeit konnte sie schon nach drei Monaten eine elektrische Nähmaschine bedienen. – Und es stellte sich heraus, dass sie in dieser Branche mit einem besonderen Talent gesegnet war. Dies erkannten auch ihre Vorgesetzten, die ihr drei Jahre später die Möglichkeit in Aussicht stellten, in Japan Modedesign und Management zu studieren. Natürlich ließ sich Zhu Xueqin diese Gelegenheit nicht entgehen. Auch an der Universität konnte sie mit hervorragenden Leistungen brillieren, so dass nach ihrer Graduierung gleich mehrere japanische Firmen um sie warben. Zhu hatte jedoch keineswegs die Großzügigkeit und Unterstützung der heimischen Firma vergessen, so dass sie die Angebote in Japan vehement ablehnte und stattdessen wie ursprünglich vorgesehen nach Shanghai zurückkehrte.
Zhu Xueqins Karriere weitete sich vom akademischen und gewerblichen Bereich bis in die Politik aus. So wurde sie im Jahr 2008 als Vertreterin der Wanderarbeiter zur NVK-Abgeordneten gewählt. Zurzeit befindet sie sich in ihrer zweiten fünfjährigen Amtszeit, die bis zum Jahr 2018 fortdauern wird. Wer könnte die Volksgruppe der Wanderarbeiter besser vertreten als Zhu Xueqin?
"Als ich versuchte, in Shanghai Fuß zu fassen, musste ich viele Schwierigkeiten überwinden. Jedes einzelne Problem und all die Ungerechtigkeiten und unfairen Behandlungsweisen, mit denen Wanderarbeiter kämpfen müssen, habe ich am eigenen Leib erfahren. Mein Ziel ist es, Wanderarbeitern einen festen Platz in den Großstädten zu geben."
Zhu Xueqin betrachtet ihre Rolle als NVK-Abgeordnete sowohl als eine große Ehre als auch eine immense Verantwortung. Eine ihrer grundlegenden Aufgaben besteht darin, das oberste legislative Organ Chinas über die Bedürfnisse und die Situation der Wanderarbeiter zu unterrichten. Zhu zufolge ist das keine leichte Aufgabe, da diese Bevölkerungsgruppe schließlich sehr groß sei. Umso weniger dürften die Wanderarbeiter einfach ignoriert werden.
Um den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, arbeitet Zhu Xueqin nicht nur in ihrer Firma, sondern ebenfalls in einem nach ihr benannten Rechtshilfezentrum für Wanderarbeiter. Das Zentrum bietet Wanderarbeitern umfassende Rechtsberatung sowie praktische Hilfe an und verfügt über die Kompetenz, Informationen aus erster Hand zu erlangen.
Schon seit mehreren Jahren steht Zhu Xueqin mit diesem Ansinnen nicht mehr alleine da: Im Jahr 2008 wurden unter anderen zwei weitere ehemalige Wanderarbeiter zu NVK-Abgeordneten gewählt, die aus der Provinz Guangdong und der regierungsunmittelbaren Stadt Chongqing stammen. Gerade aus diesen beiden Gegenden kommt eine Vielzahl an Wanderarbeitern, die sich daher durch die beiden Abgeordneten gut vertreten sehen.
Es gibt noch vieles für die Gruppe der Wanderarbeiter zu erreichen, finden die drei Abgeordneten. Chinesische Wanderarbeiter haben zum Wirtschaftswachstum Chinas einen großen Beitrag geleistet. Dafür nehmen sie eine große Last auf sich, leben und arbeiten fern ihrer Heimat, schuften am Bau, in einer Fabrik, als Fahrer oder als Restaurant- und Hauspersonal. Ungeachtet dieses harten Lebens werden sie stark benachteiligt, etwa durch die verspätete Zahlung von Löhnen, durch Arbeitsplatzverletzungen, ein mangelhafte medizinische Versorgung und Probleme bei der Ausbildungsfinanzierung für ihre Kinder. Um diese Ungerechtigkeiten zu mildern, hat Zhu Xueqin in den vergangenen Jahren zahlreiche Anträge gestellt: Anträge zur Sozialversicherung von Wanderarbeitern, für den Schulbesuch ihrer Kinder und für die Vorbeugung von Kriminalität.
Nachdem Zhu Xueqin im Jahr 2008 die Gelegenheit zum Besuch einer Shanghaier Vollzugsanstalt für Jugendliche bekam, stand für sie fest, dass die Ausbildungsmöglichkeiten für Kinder der Wanderarbeiter dringend verbessert werden mussten.
"Obwohl ich mich innerlich eigentlich schon auf das Ärgste eingestellt hatte, war ich schockiert: Über 85 Prozent der Insassen waren Migrantenkinder. Gerade vor solchen Hintergründen fühle ich mich aufgrund meiner Herkunft dazu verpflichtet, über diese Schwierigkeiten der Wanderarbeiter zu berichten. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass die Regierung verstärkt Maßnahmen ergreifen wird, um Migrantenkindern bessere Chancen für eine Berufsausbildung zu bieten."
Die Defizite im Leben der Wanderarbeiter sind also nach wie vor sehr gravierend und es gilt viele Aspekte zu verbessern. Zur Beschleunigung dieses Prozesses treten zurzeit insgesamt über 20 ehemalige Wanderarbeiter wie Zhu Xueqin als NVK-Abgeordnete für die Rechte und Interessen ihrer Mitmenschen ein.
Übersetzt von Li Yan
Gesprochen von Kong Jie