Die letzte Nacht des alten Jahres nach dem chinesischen Mondkalender wird voller Freude im Kreis der Familie mit buntem Feuerwerk und den besten Speisen begangen. Schließlich handelt es sich um den Auftakt zu den 15 Tagen des groß gefeierten chinesischen Frühlingsfestes. Traditionell werden Groß und Klein an diesem Abend kaum ein Auge schließen. Einem uralten Brauch zufolge begeben sich Familie und Freunde dennoch am darauf folgenden ersten Tag des neuen Jahres in aller Frühe zu einem der zahlreichen buddhistischen Tempel, um für Glück und Wohlstand zu beten. Schon seit jeher haben Kaufleute und Volkskünstler diese Gelegenheit beim Schopf gepackt, um hier ihre Künste aufzuführen, Imbisse und Kuriositäten anzubieten. So hat sich über die Jahre die Tradition des Tempelmarktes entwickelt.
Kaum eine andere chinesische Stadt kann mit so vielen traditionellen Tempelmärkten aufwarten, wie die chinesische Hauptstadt. Für den 75-jährigen Ma Guibao sind die Beijinger Tempelmärkte mit ganz besonderen Erinnerungen verknüpft. Von klein auf trainierte er als Volkskünstler die Kunst des Ringens, das traditionelle „Shuaijiao". Ab seinem 16. Lebensjahr konnte er mit seinen Handfertigkeiten auf öffentlichen Plätzen - und eben auch auf Tempelmärkten, wo sich viele weitere Volkskünstler tummelten, in einer Künstlergruppe auftreten. Er erinnert sich an die feierliche Atmosphäre: Gäste kamen auf Eseln angeritten, es duftete nach köstlichen Gerichten, man verkaufte kandierten Hagedorn auf zwei Meter langen Stäben und der Klang der „komischen Dialoge" - des „Xiangshengs" - war weithin zu vernehmen. Darüber hinaus gab es faszinierende Artistendarbietungen mit seltenen Tieren. Die Gäste präsentierten sich in ihrer schönsten Kleidung, um würdevoll Weihrauch zu verbrennen und zu beten. Auch Frauen und Mädchen, die früher nur selten ausgingen, durften den Tempelmarkt in voller Blumenpracht besuchen - womit selbstredend gleichermaßen junge Männer angelockt wurden. Der „Tempel der weißen Wolke" - „Baiyunguan" - bot eine besondere Attraktion: Ein Brauchtum sagte, würde man den dortigen Steinaffen am Neujahrstag berühren, so könne man in der nahen Zukunft zu einem hochrangigen Staatsbeamten aufsteigen.
Ma Guibao bedauert sehr, dass in den 1960er Jahren im Zuge der Kulturrevolution viele Tempelmärkte geschlossen wurden. 20 Jahre später setzte sich Ma für die Wiederbelebung der Beijinger Tempelmärkte ein. Besonders stolz ist er, dass der Tempelmarkt am „Erdtempel" im Ditan-Park wieder eröffnet werden konnte. Trotz seines hohen Alters führte er dort weiterhin die Kunst des Ringens vor. Er ist sehr glücklich, auf diese Weise zum Erhalt chinesischer Künste beitragen zu können.