Spricht man von der Politik der Reform und Öffnung Chinas, dann ist damit der Name jenes Politikers und Staatsführers untrennbar verbunden, der die Wende von der strikten Plan- und Kommandowirtschaft hin zu einem freieren Staats- und Wirtschaftssystem eingeleitet hat. Deng Xiaoping ist nicht nur der Vater der Reform- und Öffnungspolitik. Seine Reformen waren auch die Grundlage für einen fast atemberaubenden wirtschaftlichen Erfolg Chinas. Es ist kaum fassbar, dass sich das Land in vier Jahrzehnten von einem in großen Teilen rückständigen Dritte-Welt-Land zu einer der führenden Wirtschaftsnationen der Welt entwickelt hat. Ein Beispiel: Bereits im Jahr 2008, also noch vor dem 30. Jahrestag der eingeleiteten Reform- und Öffnung, wurde Deutschland im Hinblick auf die Wirtschaftskraft von China überflügelt. Auch im hochtechnologischen Bereich ist China mittlerweile führend. Die Innovationskraft chinesischer Ingenieure ist beeindruckend. Ein besonders anschauliches Beispiel für die Veränderungen, die aus Dengs Öffnungs- und Reformpolitik resultieren, ist die Firma Haier in Qingdao, die ich im Jahr 2008 besuchen konnte. Aus einem einst defizitären, von staatlichen Subventionen abhängigen Staatsbetrieb ist inzwischen ein weltweit führender Konzern erwachsen – von der praktischen Küchenmaschine bis hin zu hochintegrierten Halbleitern ist in der Produktpalette der Firma Haier fast alles vertreten. Gern erinnere ich mich noch an die beeindruckend futuristische Architektur des Verwaltungsgebäudes und an die schönen Gartenanlagen auf dem Firmengelände.
Ohne Deng Xiaopings Reform- und Öffnungspolitik hätte es vermutlich auch keine Liberalisierung im politischen und gesellschaftlichen Bereich gegeben. China ist mittlerweile eine weltoffene Gesellschaft geworden. Während meiner Aufenthalte in China in den vergangenen Jahren gab es nach meinem Ermessen in Gesprächen keine Tabuthemen und auch keine Probleme mit kontroversen Diskussionen. Ich war anfangs überrascht über die Diskussionsfreudigkeit und die Bereitwilligkeit meiner Gesprächspartner zu offenen Dialogen. Bei solchen Gesprächen ging es keineswegs nur um Nichtigkeiten. Auch kompliziertere Themen wie z.B. die Taiwan-Frage, die Beziehungen Chinas zum japanischen Nachbarn oder auch die Lage in Tibet oder Xinjiang habe ich mit verschiedenen Gesprächspartnern offen und kontrovers diskutiert – und dabei auch einiges hinzugelernt. Wichtig ist, dass man seinen chinesischen Gesprächspartnern möglichst offen begegnet und zum Zuhören bereit ist.
Mit der Öffnung des Landes nach außen gelangten zwangsläufig auch neues Gedankengut und neue Ideen nach China. Andererseits ist auch China selbst in zunehmendem Maße daran interessiert, die eigene Kunst, Kultur und Sprache der Welt zu präsentieren. Konfuzius-Institute in vielen Ländern der Erde, weltweiter Studenten- und Schüleraustausch, Freundschaftsvereine, Partnerstädte – es gibt mittlerweile eine fast nicht mehr zu überblickende Vielfalt gegenseitigen, weltweiten Austauschs. Dass sich dabei immer auch die Menschen direkt begegnen, miteinander in Kontakt treten, sich Ihre Gedanken vermitteln und gegenseitig voneinander lernen, ergibt sich dabei von selbst.
Auch auf kultureller Ebene findet man im heutigen China eine vor einigen Jahren noch unvorstellbare Blüte und Mannigfaltigkeit: Von der Pekingoper zum experimentellen Theater, vom traditionellen Volkslied über klassische chinesische und europäische Musik bis hin zu Techno und Rap ist im Musiksektor fast alles vertreten. Ähnlich bunt sieht es in der darstellenden Kunst oder im schriftstellerischen Bereich aus. Im Jahr 2009 war China als Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse vertreten. Ich selbst konnte mit meinem Roman „Im Zauber der weißen Schlange" einen kleinen Beitrag zum breit gefächerten Spektrum der chinesischen Bücherlandschaft leisten. Das Buch wurde vom Beijinger Fremdsprachenverlag FLTRP (www.fltrp.com) in einer deutsch-chinesischen und einer englisch-chinesischen Edition herausgegeben.
In den chinesischen Provinzen finden sich auch heute noch große wirtschaftliche Unterschiede und soziale Differenzen. Es gibt den reichen Osten und den schwächer entwickelten Westen. Vorwürfe einiger westlicher Medien, China würde seine westlichen Provinzen zugunsten des Ostens vernachlässigen, sind wenig differenziert und werden der Realität kaum gerecht. Den in der Entwicklung zurückhängenden Gebieten im Westen werden schon seit vielen Jahren Steuervergünstigungen gewährt, damit diese die Chance bekommen, den Anschluss an die reicheren Provinzen im Osten zu finden. Bereits im Jahr 2007 wurde in Nordostchina das Mehrwertsteuersystem reformiert, um ausgeglichene regionale Einnahmen zu erreichen und die wirtschaftliche Entwicklung in den unterentwickelten Gebieten zu fördern. In ähnlichem Maße reagiert die chinesische Regierung auf das Gefälle zwischen Stadt und Land: Der Staat unterstützt die Bauern beim Kauf von Landmaschinen oder bei der Beschaffung von hochwertigem Saatgut, das Bildungswesen im ländlichen Raum wird gefördert und entwickelt, Kinder ärmerer Bauern sind vollständig von den Schulkosten befreit. Ohne die wirtschaftliche Blüte in den erfolgreichen Regionen wäre die umfassende Entwicklung und Förderung der weniger entwickelten Gebiete, wie sie die chinesische Regierung heute praktiziert, gar nicht möglich. Es gibt nur wenige Länder der Erde, in denen die Staatsführung so große Anstrengungen unternimmt, Entwicklungsdifferenzen in den verschiedenen Sektoren zu nivellieren und soziale Ungerechtigkeiten auszugleichen, wie in China. Natürlich kann man nicht übersehen, dass es auch in China eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich gibt. Im Gegensatz zu westlichen Ländern sucht die chinesische Staatsregierung aber kontinuierlich nach Ideen und Konzepten zur Abmilderung der größten Widersprüche mit dem Ziel einer möglichst harmonischen Gesellschaft.
Einseitig sind oft Berichte in westlichen Medien, die sich mit der Menschenrechtslage in China befassen. Sicher, es gibt im heutigen China noch Kritikwürdiges. Die gegenwärtige Situation aber auf das Bild eines Staates zu reduzieren, der permanent die Freiheitsrechte seiner Bürger missachtet, ist ebenso ungerecht und unwahr, wie kränkend für China. Ich denke dabei beispielsweise an jene Form der Berichterstattung in westlichen Zeitungen, in denen das Land gezielt manipulativ und einseitig in einem negativen Licht präsentiert wird. Ein Beispiel: Im Jahr 2009 war China Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse. Ich habe damals an mehreren spannenden und lehrreichen Diskussionsrunden teilgenommen und viel über die vielfältige Bücherlandschaft in China gelernt – auch dass in vielen zeitgenössischen chinesischen Publikationen an Sozial- und Gesellschaftskritik nicht gespart wird. Von alledem hat die deutsche Öffentlichkeit wenig wahrgenommen. Die deutschen Zeitungen haben diese Tatsachen weitgehend verschwiegen. Ich habe den Eindruck, dass unsere Medienvertreter es sich oft zu einfach machen, indem sie vorgefertigte Meinungen gegenseitig kopieren und der Öffentlichkeit als Wahrheit präsentieren, anstatt sich selbst mit der Wirklichkeit in China auseinander zu setzen. „Einmal sehen ist besser als hundert Mal hören", sagt man in China. Ich kann dies nur bestätigen und jedem, der es sich zur Aufgabe macht, über China zu berichten, den Rat geben, sich selbst einmal mit eigenen Augen von der Wirklichkeit im Land zu überzeugen. „Nein, ich kann es einfach nicht akzeptieren, dass China so ein dunkles Reich sein soll, wie das hier im Westen behauptet wird. Ich liebe China und ich bin glücklich in meinem Land." Das sagte mir eine chinesische Freundin, die in Freiburg lebt und dort ein erfolgreiches Unternehmen betreibt, angesichts der medialen Kampagne im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Olympischen Spiele in Beijing im Jahr 2008. Im Vorfeld der Olympiade war damals die Stimmung in westlichen Ländern so aufgeheizt, dass es in Paris zu gar zu einem tätlichen Übergriff gegen eine behinderte chinesische Fackelläuferin kam.
Wer fordert, in einem einst sehr strikt geführten Staatswesen von heute auf morgen alle Schranken zu öffnen, der verkennt die Wirklichkeit. Dass der kontinuierliche Reformprozess von Verwaltung und Justiz die Menschenrechtslage ganz erheblich verbessert hat, findet in westlichen Medien nur wenig Erwähnung. Man könnte es besser wissen: Aus Gesprächen mit Freiburger Professoren und Fachleuten weiß ich, dass auch deutsche Rechtsexperten beratend an den chinesischen Justizreformen beteiligt sind und dass zahlreiche Passagen des deutschen Rechtskodex Eingang in die chinesischen Reformvorhaben gefunden haben. Auch Freiburger Professoren waren beratend an der Kodifizierung und der Reform des chinesischen Rechtswesens beratend tätig. „Die Unparteilichkeit der Rechtsprechung stellt einen wichtigen Garanten für die soziale Gerechtigkeit dar." Das ist ein wichtiger Grundsatz chinesischer Innenpolitik und zugleich der Grundpfeiler der Justizreformen im Land. Wie in vielen anderen Bereichen ist auch in der Justiz noch vieles zu tun. Ziel ist es, die sozialistischen Werte mit rechtsstaatlichen Prinzipien in Einklang zu bekommen und den Menschen ein möglichst hohes Maß an Rechtssicherheit zu gewähren. Die Reformen sind aber noch nicht abgeschlossen – auch hier befindet sich China in einem Prozess der kontinuierlichen Entwicklung. Davon aber, dass Gedanken- und Gewissensfreiheit im heutigen China keine leeren Phrasen mehr sind, kann sich jeder selbst überzeugen, indem er China besucht.
Nicht nur die Chinesen profitieren von der erfolgreichen Reform- und Öffnungspolitik Deng Xiaopings. China ist mittlerweile zu einem der wichtigsten Motoren der Weltökonomie geworden. Während die Menschen in westlichen Ländern von ebenso preiswerten, wie hochwertigen Produkten profitieren, bietet sich China als einer der größten und profitabelsten Absatzmärkte der Welt an. China ist mittlerweile führend in vielen Bereichen der Hochtechnologie. Ein Beispiel: Auf dem Dach meines Hauses ist eine Photovoltaikanlage aus chinesischer Produktion montiert. Für mich hatte die Entscheidung für einen starken, erfahrenen und verlässlichen Hersteller oberste Priorität bei der Auswahl der Solarmodule.
Ich denke, man kann auch das verantwortungsvolle Engagement Chinas im Zusammenhang mit der europäischen Finanzkrise nicht hoch genug schätzen. Hier hat sich einmal mehr gezeigt, wie wichtig die chinesische Partnerschaft und Freundschaft ist. Das hohe Maß an Wohlstand, das wir heute in unserer Welt genießen, wäre ohne die chinesische Wirtschaftskraft überhaupt nicht möglich.
Mit neuen Ideen und Initiativen reicht Chinas heutiger Staatspräsident allen Staaten die Hand zur Zusammenarbeit in einer menschlichen Schicksalsgemeinschaft. Nur im harmonischen Miteinander aller Länder kann es gelingen, die großen politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Themen dieser Tage zu bewältigen und neu geschaffene Gräben zu überbrücken. Beeindruckendes Beispiel des chinesischen Willens, die ganze Welt an der Kraft und dem großen ökonomischen Willen Chinas zu beteiligen, ist das Konzept der Neuen Seidenstraße, das mittlerweile schon recht weit gediehen ist. Inzwischen sind mehr als 70 Staaten und internationale Organisationen aktiv an dem Seidenstraßenprojekt beteiligt. China hat mittlerweile mit zahlreichen Ländern Vereinbarungen über eine Zusammenarbeit im Produktionssektor getroffen und fast viele Kooperationszonen in den Anrainerstaaten eingerichtet. Es ist beeindruckend, mit welcher Dynamik die chinesische Regierung das Projekt vorantreibt. Kein Zweifel, die Seidenstraße ist bereits im Begriff, neu zu erstehen. Ein wertvoller Schritt für China und die Welt.
Ich denke, die wichtigsten Faktoren für solche beeindruckenden Erfolge sind immer die Menschen selbst – und in dieser Hinsicht hat China die besten Voraussetzungen!
Herbolzheim
Helmut Matt