Li Baolin (54) ist Angestellter in Beijing und führt ein regelmäßiges Leben: Büroarbeit von 8 Uhr 30 bis 17 Uhr 30, an jedem Werktag. Auch äußerlich unterscheidet sich der Angehörige der chinesischen Hui-Minderheit (Chinesen muslimischen Glaubens) kaum von den meisten seiner Landsleute gleichen Alters. Doch innerlich hat er den starken Willen, ein frommer Muslim zu sein. „Was meine Essgewohnheit angeht, halte ich mich streng an den Koran." Er kaufe sein Rind- und Lammfleisch nur in der hauptsächlich von Muslimen bewohnten und schon Jahrhunderte alten Beijinger Niujie-Straße (wörtlich übersetzt „Rindfleisch-Gasse"), denn nur dort würden die Tiere von einem Imam rituell geschächtet.
Li gibt jedoch zu, dass es das moderne Leben einem Muslim schwer mache, jede im Koran stehende Sure im Alltag umzusetzen, besonders die strengen Auflagen im Fastenmonat Ramadan: „Ein frommer Muslim, der sich streng an den Koran hält, darf nach drei Uhr in der Frühe nichts essen oder trinken. Nicht mal deinen Speichel darfst du schlucken." Das sei für ihn unmöglich. Er leide unter Bluthochdruck und müsse täglich zweimal pünktlich Tabletten nehmen. „Dafür brauche ich Wasser."
Auch die vorgeschriebenen regelmäßigen Gebete kann er nicht einhalten: „Wie kannst du fünfmal am Tag in die Moschee gehen, wenn du festangestellt bist?" Als Ausgleich dafür gehe er in seiner Freizeit regelmäßig in die Moschee, um den Imam den Koran erklären zu hören. Im Ramadan gehe er mit seiner Frau sogar häufiger in die Moschee: „Gebete im Ramadan bringen einem mehr Segen als in anderen Monaten."
Sein 22-jähriger Sohn studiert bereits im vierten Semester. Den Jungen habe er möglichst nach den Lehren des Koran erzogen, sagt Li. Er solle stolz auf seine Identität sein. „Ich sage ihm oft, niemand wird dich respektieren, wenn du selbst keinen Respekt vor deinem Glauben hast."