Von Marie Bollrich
Es ist 18 Uhr, während viele Kollegen an diesem Mittwochabend nach Hause gehen, tönt es aus einem Büro des Beijinger Sunflower Towers: Women shang ke! Für Insa Eekhoff und Robin Cohrs beginnt der Chinesisch-Unterricht. Die beiden Hochschulabsolventen leben und arbeiten sechs Monate lang in der chinesischen Hauptstadt.
Seit China als aufstrebende Volkswirtschaft ernst genommen wird, interessieren sich nicht mehr nur Sinologen oder Abenteurer für das ferne Land. An chinesischen Universitäten waren 2012 über 4000 deutsche Studenten eingeschrieben. 2006 lag diese Zahl noch bei 1200. Über 5000 deutsche Unternehmen sind laut Auswärtigem Amt in der Volksrepublik aktiv. Während Chinesisch heute an manchen Gymnasien als Wahlfach angeboten wird, galt das Sinologiestudium bis vor wenigen Jahren als exotisch. Wer länger bleiben will, kommt an Sprachkenntnissen kaum vorbei. Vor allem, wenn sich der Aufenthalt nicht ausschließlich in Expat-Blasen abspielen soll. Chinesisch macht Spaß, ist aber kein Kinderspiel.
Mit „wo bu dong", ich verstehe nicht, versucht der Anfänger üblicherweise nach den ersten zaghaften Schritten in der fremden Sprache die Grenze seines Verständnisses zum Ausdruck zu bringen. Chinesen beweist das allerdings schon ein Übermaß an Sprachkenntnis, schließlich wird hier schon nach einem einfachen „nihao" (Hallo) und „xiexie" (Danke) mächtig gelobt. „Yi, er, san…", eins, zwei, drei: Insa Eekhoff zählt. Sie kommt natürlich viel weiter, das hat aber eine Weile gedauert. Die Zahlen seien bisher ihre größte Errungenschaft. Um sich im Alltag besser zurechtzufinden, nehmen Insa und Robin einmal pro Woche Privatunterricht. Wang Bo ist ausgebildete Chinesischlehrerin und hat 13 Jahre Berufserfahrung. Seit 2008 unterrichtet sie freiberuflich vor allem Deutsche. Heute ist sie zum fünften Mal im Sunflower Tower. Bei „lei" legt sie sich ganz langsam auf den Tisch. Theorie ist eine Sache, Praxis eine andere. Robin und Insa sind dankbar für die Veranschaulichung der Töne. Bei „lei" für müde ist es der vierte. „Wo ye shi – ich auch", gähnt Robin nach einem langen Tag und schreibt sich den Ausdruck gleich auf. Betonung, da stimmen beide überein, ist die große Crux. „Man denkt, man kennt ein Wort, und dann kommt doch was ganz anderes raus, bei ‚lü' zum Beispiel." Insa erklärt, dass „lü" grün bedeuten kann, aber eben auch Esel, je nach Ton. Wang Bo lässt unermüdlich wiederholen. Nach einer Stunde klopft es. Die nächste Schülerin ist da.
Neben Studenten kommen auch immer mehr Berufseinsteiger wie Eekhoff und Cohrs in die chinesischen Metropolen. Über Schülernachschub muss sich die Chinesischlehrerin jedenfalls keine Gedanken machen.
Foto: Marie Bollrich