Wang Anyi gehört zu den produktivsten Autorinnen der chinesischen Gegenwartsliteratur. Zu ihrem im Ausland bekannt gewordenen Werken gehört der Roman „Chang Hen Ge", übersetzt " Lied von der ewigen Reue". Für dieses Werk wurde die 59-Jährige im Jahr 2000 mit dem höchsten Literaturpreis Chinas ausgezeichnet, mit dem Mao-Dun-Literaturpreis.
Wang Anyi begann ihr literarisches Schaffen in den späten 1980er Jahren. Mit einer eleganten Handschrift schafft sie in ihren Werken ein feministisch geprägtes detailliertes Abbild der Realität.
In Literaturkreisen gilt Wang Anyi als exzellente Schriftstellerin, die Literatur und Ästhetik virtuos miteinander verbindet. Ihre Werke sind langsam, fast still. Li Jingzhe, Literaturkritiker und Professor an der Peking-Universität, sagt, Wangs Romane würden Lesern in einer schnell drehenden Zeit eine Chance zum Durchatmen geben:
„Wir leben heute in einer schnellen Gesellschaft. Alles muss innerhalb kürzester Zeit erledigt werden. Leute lieben es, schnell zu sein. Die Werke von Wang Anyi sind genau das Gegenteil. Sie lässt uns mit ihren Romanen darüber nachdenken, ob wir auch weiterhin bei unserem schnellen Tempo bleiben wollen oder etwas langsamer treten sollten."
In den 1990er Jahren wurden Wangs Werke reifer, als sie der spirituellen Seite ihres Lebens mehr Aufmerksamkeit schenkte. Ihr ruhiger Schreibstil blieb jedoch. Ihr Roman „Lied von der ewigen Reue" ist ein typisches Werk dieser Schaffensphase von Wang.
Der Roman erzählt die Geschichte der Shanghaier Schönheit, Wang Qiyao. Mit der Auszeichnung als Drittplatzierte bei den „Miss Shanghai-Wahlen" im Jahr 1940 beginnt ein turbulentes und tragisches Lebens für die junge Frau.
Sie wird die Geliebte eines Kuomintang-Beamtens. Dieser kommt später, kurz vor der Befreiung von Shanghai im Zweiten Weltkrieg, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Während alle die neue Ära begrüßen, erscheint Wang zurückhaltend.
Die folgenden vier Jahrzehnte lebt die Shanghaier Schönheit ein dekadentes Leben. Die Blütezeit von Shanghai scheint ein Ende zu haben, doch der Beginn der Reform und Öffnung in den 1970ern und frühen 1980ern bringt der Stadt neuen Wohlstand. Wang hofft, ihren glitzernden Lebensstil wieder zurückzubekommen. Doch die Autorin Wang Anyi präsentiert ihren Lesern ein absurdes Ende, in dem sie ihre Protagonistin in einem Streit mit einem Dieb ums Leben kommen lässt.
Zhang Qinghua ist Literaturprofessor an der Pädagogischen Universität Beijing. Er erklärt, was die Leser aus seiner Sicht an dem Roman fesselt:
„Die Grundidee dieses Buches stimmt mit dem überein, was die meisten Chinesen denken. Nämlich, dass hübsche Frauen in Leid leben. Wang Qiyaos tragisches Leben bestätigt das. Der Name des Romans ist einem Gedicht aus der Tang-Dynastie entnommen. Es ist die moderne Version eines weiblichen Schicksals."
Wang Anyis tiefgründige Worte zeichnen das Bild einer Heldin. Zudem wirft der Roman Licht auf ein Stadtleben während einer bestimmten Zeitperiode. Wang Qiyaos zwiespältiger Charakter und ihr turbulentes Leben sind eng mit der damaligen Zeit verknüpft. Li Jingzhe von der Peking-Universität sieht auch in diesem Punkt einen Denkanstoß für Wangs Leser:
„China hat eine reiche und komplizierte Vergangenheit. Manchmal ist es schwer für Menschen Charaktere aus einer anderen Ära wirklich zu verstehen. Wang Anyi ist eine talentierte Schriftstellerin, die es schafft, Menschen über ihre Ära und ihren Platz darin nachdenken zu lassen."