Für einen Schluck Trinkwasser muss die 69-jährige Wang Lianying derzeit einen 20-minütigen Fußmarsch auf sich nehmen. Der Brunnen hinter ihrem Haus im Kreis Songming in der südwestchinesischen Provinz Yunnan liefert schon länger kein ausreichendes Wasser mehr und das Wasserreservoir des Ortes droht auszutrocknen.
Der Südwesten Chinas erlebt das vierte Jahr in Folge eine schwere Dürre. Gleich mehrere Provinzen sind betroffen, darunter Gansu, Shaanxi, Henan, Hubei und Sichuan. Besonders schwer hat es jedoch die sonst eigentlich regen- und wasserreiche Provinz Yunnan erwischt. In den ersten beiden Monaten des laufenden Jahres lag die Niederschlagsmenge um mehr als 60 Prozent unter dem normalen Durchschnitt. Insgesamt 5,58 Millionen Menschen in Yunnan leiden unter der anhaltenden Trockenheit. Von diesen haben 1,2 Millionen wie Wang Lianying nur noch beschränkten Zugang zu Trinkwasser.
Ganze Flüsse und Stauseen trocknen aus mit verheerenden Folgen für die Landwirtschaft. Die Behörden rechnen mit Ernteausfällen in Höhe von ca. 343,65 Millionen Euro. Die Kleinbauern versuchen ihre Landwirtschaft an die Dürre anzupassen.
Experten des Landes machen den Klimawandel für die geringen Niederschläge verantwortlich. Nach Angaben der Meteorologischen Behörde in Yunnan hat sich zudem die Durchschnittstemperatur um zwei Grad erhöht. Diese Kombination erschwere die Lage in der Provinz, sagt Li Xie, der als Ingenieur an einem Wasserkonservierungsprojekt der Wasserbehörde im Kreis Songming mitarbeitet. „Denn die höhere Temperatur lässt das wenige Wasser in den Stauseen und Teichen zusätzlich verdunsten", so Li.
Die Provinzregierung und Lokalbehörden versuchen, mit Wassertransporten sowie dem Bau von Brunnen und einfachen Wasserspeichersystemen zu helfen. Der Fokus der Helfer liegt auf der Versorgung der Menschen in den abgelegenen bergigen Regionen. Nahezu 90 Prozent der Landschaft sind bergig, was die Durchführung von Wasserversorgungsprojekten deutlich erschwert. Auch die Zentralregierung hat Hilfsgelder in Höhe von 14,78 Millionen Euro für die Dürregebiete in Südwestchina bereitgestellt.
Vor dem Hintergrund, dass „die saisonale Dürre in Zukunft eher die Regel als die Ausnahme sein könnte", erscheinen Zheng Xiaoyun, Experte für Wasserressourcen an der Akademie für Sozialwissenschaften in Yunnan, die staatlichen Hilfsmaßnahmen als zu kurz gegriffen. Der Dürre als langfristiges Problem müsste vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt werden. „Die anhaltende Trockenheit wird die Regierung zu weiteren finanziellen Hilfen zwingen, die aus anderen wichtigen Bereichen abgezogen werden müssen – was sich auf die lokale Entwicklung auswirken wird", so Zheng.
Übersetzt von Tabea Nehrbaß