Die 77jährige Han Baoling und ihr Mann Wu Shixin wohnen in einem traditionellen Wohnhof in Beijing. Sie versuchen gerade, per Webcam mit ihrem Sohn in den USA zu telefonieren. Zwei Söhne hat das alte Ehepaar. Vor 20 Jahren sind die beiden in die USA gezogen. Han zeigt Fotos von den anderen Mitgliedern der Familie.
"Das ist ein Familienfoto von meinem ersten Sohn. Sein jüngerer Bruder ist noch ledig. Er arbeitet jetzt in einem Labor an der Universität Minnesota. Die beiden leben seit 20 Jahren in den USA. "
Han ist stolz auf ihre Söhne, aber sie ist auch ein bisschen traurig
"Es ist ein gemischtes Gefühl. Am Anfang freuten wir uns über ihre guten Leistungen. Aber wenn man genauer nachdenkt, fühlen wir uns ein bisschen einsam. Besonders in so einem hohen Alter müssen wir uns noch selber um uns kümmern. Es ist wirklich nicht so einfach."
Mit der sprunghaften Entwicklung gibt es in China immer mehr Familien, wie die von Han Baolin. Die Kinder leben nicht mehr in der Nähe der Eltern. Ältere Menschen, deren Kinder ausgezogen sind, werden als "Senioren im leeren Nest" bezeichnet. Offiziellen Angaben des Büros des chinesischen Landeskomitees für Alterswesen zufolge gab es Ende 2012 194 Millionen ältere Menschen in China. 99 Millionen davon wohnen allein. 2013 soll die 200 Millionen-Marke geknackt werden. Bei rund der Hälfte davon handelt es sich dann um Senioren im leeren Nest. Wie neben dem materiellen Bedarf auch ihre psychischen Bedürfnisse gedeckt werden, zählt zu den Herausforderungen der Überalterung der chinesischen Gesellschaft.
Die chinesische Regierung hat den "Senioren im leeren Nest" unlängst größere Aufmerksamkeit geschenkt. Ende November 2012 hat der ständige Ausschuss des Chinesischen Nationalen Volkskongresses das Gesetz zum Schutz der Rechte und Interessen der Senioren revidiert. In dem Dokument wurde festgeschrieben, dass Kinder, die nicht mehr bei ihrern Eltern wohnen, sie oft besuchen bzw. kontaktieren müssen. Diese Entscheidung betrachtet Guo Ping, Experte im chinesischen Forschungsinstitut für Alterung, als einen wichtigen Schritt. Eine umfassende Umsetzung dieses Gesetzes brauche noch weitere Unterstützungsmaßnahmen.
"Ohne detaillierte Unterstützungsmaßnahmen kann dieses Gesetz aber nicht umfassend umgesetzt werden. Die moderne Kommunikationstechnologie vereinfacht zwar den häufigen Kontakt zu den Eltern. Aber für manche ist es nicht so einfach, ihre Eltern oft zu besuchen. Zum Beispiel fällt es den Wanderarbeitern schwer, am Frühlingsfest auch ihren Eltern in der Heimat einen Besuch abzustatten. Für die, die im Ausland arbeiten, ist ein regelmäßiger Besuch auch unmöglich. Deshalb muss man noch weitere entsprechende Unterstützungsmaßnahmen hinzufügen."
Guo will noch engeren Kontakt mit den Eltern fördern, da die Beziehungen zwischen Familienmitgliedern durch irgendwelche Sozialdienstleistungen nicht zu ersetzen sind. Zudem bietet Guo den "Senioren im leeren Nest" einige Ratschläge an, um die Furcht vor Einsamkeit zu lindern.
"Für Senioren im leeren Nest ist es sehr wichtig, aktiv an sozialen Veranstaltungen mitzuwirken. Sie können sich beispielsweise für verschiedene Veranstaltungen in den Wohnvierteln anmelden oder als Freiwillige tätig sein. Zudem sollen sie ihre eigenen Interesse bzw. Hobbys entfalten. Dafür sollen zuständige Regierungsbehörden genügend Räumlichkeiten bzw. entsprechende Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen."
Verfasst von Zhang Chen