Die traditionelle chinesische Architektur ist ein Sinnbild für die traditionelle chinesische Kultur. An den traditionellen Bauten sind Einflüsse der traditionellen Kultur und der Lebensphilosophie der Chinesen deutlich erkennbar.

Die traditionelle chinesische Architektur weist im Vergleich zur westlichen Architektur wesentliche Unterschiede auf. An den Stilen und wichtigen Details von Bauwerken zeigen sich Einflüsse der traditionellen Baukunst sowie der ostasiatischen Philosophie.

Im Unterschied zu den westlichen Ländern, wo hauptsächlich Steine als Baumaterial eingesetzt wurden, prägten in China Bauten aus Erde oder Holz. Ein bis heute erhaltenes Charakteristikum der Architektur von Gebäuden ist ein Gerüst aus Holz oder Bambus mit Pfeilern, Querbalken und Lehmwänden an drei Seiten des Gebäudes. Die Haupttür sowie die Fenster befinden sich an der Frontseite. Seit Jahrtausenden wird in China hauptsächlich Holz als Baumaterial verwendet; Holz ist für die Chinesen der Inbegriff von „Aktivität", die sich im Wachstum und im Leben widerspiegelt. Vor allem dem „Leben" wird in der chinesischen Kultur in verschiedenen Formen Ausdruck verliehen.

Hauptmerkmal der chinesischen Architektur ist die Verbindung von rechteckigen Einheiten zu einem Ganzen, wobei jede Fläche und jedes Detail klar voneinander getrennt ist. Daraus ergibt sich, daß im traditionellen Stil errichteten Gebäude einen verblüffend dynamischen Eindruck vermitteln.

Nach dem alten chinesischen Weltbild war der Himmel rund und die Erde quadratisch. Demnach wurden in China die meisten Bauten nach geometrischen Formen ausgerichtet. Die Struktur der Flächen zeugt von den Grundsätzen der Ausgewogenheit und Symmetrie. Wichtiges Merkmal der chinesischen Baukunst ist die Anordnung entlang einer Nord-Süd-Achse. Zu beiden Seiten der Achse befanden sich die Gebäude mit den Hauptwohnräumen. Nach diesem Grundprinzip wurden alle Wohnhäuser, öffentliche Gebäude, Tempel und Paläste errichtet. Die Aufteilung der Innenräume spiegelt die sozialen und moralischen Werte der Chinesen wider. In herkömmlichen Wohnhäusern erhielten die einzelnen Familienmitglieder Räume, die ihre Stellung in der Familie repräsentierten. Der Hausherr erhielt den Hauptraum, die älteren Familienmitglieder verschiedene hintere Teile des Gebäudes, die jüngeren Familienmitglieder wohnten in den rechten und linken Seitenflügeln; wobei die älteren im linken und die jüngeren im rechten Flügel wohnten.

Aus der Verwendung von Holz resultieren einige besondere architektonische Merkmale. So wird die Tiefe und Breite des Innenraumes von dem hölzernen Tragegerüst bestimmt, und die beim Holzgerüst verwendeten farbigen Lacke dienten gleichzeitig als Holzschutz. Diese farbige Lackierung in kräftigen und leuchtenden Farben wurde zu einem der aufschlußreichsten Erkennungsmerkmale der traditionellen chinesischen Architektur. Das hölzerne Tragegerüst des Gebäudes steht auf einer erhöhten Plattform. Dadurch wurde das Gebäude vor Feuchtigkeit geschützt. Die Höhe der Plattform hing von der Größe des Gebäudes ab. Eine hohe Plattform verlieh großen Gebäuden eine imposante Wirkung und eine besondere Würde.

An den Gebäuden im traditionellen Stil finden sich unterschiedlichste farbige Wandgemälde, die sowohl eine symbolische wie auch eine ästhetische Bedeutung haben. Die Gemälde zeigen Darstellungen von Drachen und Phoenix, Motiven aus Mythen, oder von Landschaften, Blumen und Vögeln. Eine bemerkenswerte architektonische Besonderheit an Gebäuden in Südchina sind die Holzschnitzereien. Diese verliehen dem Gebäude zusammen mit den Wandgemälden eine ganz besondere Eleganz.

Die Dächer der Gebäude fallen traditionell zu beiden Seiten nur leicht ab. Traditionelle südchinesische Wohnhäuser besitzen mit Keramiken verzierte Dachfirsten, welche die sonst fließenden Außenlinien des Gebäudes unterbrechen. Das charakteristische geschwungene Dach, das von vielen ausländischen Besuchern bewundert wird, hat sich zu einem Symbol für die chinesische Kultur entwickelt. Im Gegensatz zu den Gebäuden, die relativ einfach und schlicht gestaltet sind, bringen die aufwärtsgeschwungenen Dächer und kreativ gestalteten Dachfirsten Bewegung ins Bild. Dies entspricht dem Charakter der Chinesen, die bodenständig und ehrlich, aber doch voller Vitalität sind. Dabei lassen sich Parallelen zwischen den Linien der klassischen chinesischen Architektur und den Pinselstrichen der Kalligraphie ziehen. Seit der Han-Dynastie von 200 v. Chr. bis 220 n. Chr. zeigt die chinesische Malerei und dekorative Gestaltungskunst mehr dynamisch fließende und geschwungene Linien. Einem Kunstwerk einen „lebendigen Rhythmus" zu verleihen, gilt als das höchste Prinzip der chinesischen Kunst.

Eine große Bandbreite architektonischer Stile findet sich auch bei den Tempelbauten. Ob Tempel von Buddhisten, Taoisten oder anderer Volksreligionen, alle weisen den gleichen Grundriss auf. Das Dekor der traditionellen Gebäude Chinas gleicht einer umfassenden Ausstellung der chinesischen Volkskunst. Betrachtet man die Gebäude genauer, so findet man die verschiedensten Stilmittel: farbige Malereien, Kalligraphien, Keramik und Schnitzereien sowie Holz-, Stein- und Tonskulpturen. Die Begegnung mit der traditionellen chinesischen Architektur eröffnet einem zugleich den Weg zu einem besseren Verständnis der reichen chinesischen Volkskultur.