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Menschen auf Ostkurs - 10 Fragen an Peter Tichauer
  2011-12-09 11:18:25  cri
     

Wo kommen Sie ursprünglich her und wie und wann sind Sie auf China gekommen?

Ich bin Berliner und wollte, weil ich viel mit meinen Eltern im Ausland gelebt habe, Außenpolitik studieren. Ich habe mich dafür beworben und da gab es die Frage: „Was hältst du davon, wenn du Sinologie studierst? Wir brauchen Sinologen." Letztendlich würde man etwas Ähnliches studieren, aber gleich auf China spezialisiert sein. Ich habe mir das dann überlegt und gedacht, meine Oma war ja auch ein großer China-Fan, wir hatten zu Hause Schallplatten zum Chinesisch lernen - das wollte sie in den 50er Jahren machen, hat es aber nie gemacht. Ich habe mich dann einfach dafür entschieden, Sinologie zu studieren und habe das nicht bereut.

China – das Reich der Mitte: Was hat das damals für Sie bedeutet, bevor Sie hier ankamen?

Ich habe mich dann natürlich erst mit Beginn des Studiums intensiver mit China beschäftigt. In den 70er Jahren, also in meinen bewussten Lebensjahren, war China nicht unbedingt ein Land, über das man viel gesprochen hat. Letztendlich habe ich sehr schnell gemerkt, dass China ein Land ist mit einer sehr interessanten Geschichte, einer Geschichte, die absolute Kontinuität aufweist. Und, dass sich dieses Land damals Anfang der 80er Jahre begonnen hat zu ändern, zu öffnen, um einen Schritt in eine neue Entwicklungsetappe zu gehen.

Erster Tag im neuen Land, können Sie sich noch an Ihre ersten Eindrücke erinnern? Wie war das?

Ich habe 1980 angefangen, Sinologie zu studieren. Und das war auch die Zeit, in der wir die ersten Gastlektoren aus China hatten. Wir waren auch der erste Jahrgang, dem es wieder ermöglicht wurde, ein Austauschstudium zu machen. Natürlich war das für uns, als sich diese Möglichkeit eröffnete, wie ein Traum. Die vorhergehenden Jahrgänge hatten alle hier an der Botschaft Praktika gemacht und wir hatten dann die Möglichkeit, nach China an die Universität zu gehen und ein ganzes Jahr hier zu studieren. Für mich war es dann Ende August 1984 so weit. Es war schon sehr beeindruckend, hier anzukommen, gerade jetzt rückblickend, wenn man sieht, wie es heute hier aussieht. Damals gab es nur Terminal 1 am Pekinger Flughafen, es gab keine Flughafenautobahn. Es gab den dritten Ring nicht, der wurde begonnen zu bauen und alles, was außerhalb des dritten Rings war, war eher ländlich. Du hast Schafe gesehen, die auf dem Weg herum liefen. Es stand das Kunlun Hotel und es gab das Changcheng Hotel, also das Great Wall Hotel. Das war das einzige, was hier am östlichen dritten Ring vorhanden war und weiter nichts. Das zweite Botschaftsviertel Sanlitun war im Prinzip das Ende von Peking.

Es war staubig, es war fremd, aber eben doch interessant und überwältigend, endlich in dem Land zu sein, mit dem du dich schon vier Jahre beschäftigt hattest.

Was genau machen Sie hier?

Nach dem Studium habe ich regelmäßig mit China zu tun gehabt. Ich bin in der glücklichen Lage, etwas studiert zu haben, was ich dann konkret anwenden konnte. Seit 16 Jahren bin ich beim OWC Verlag für Außenwirtschaft und habe dort das Magazin ChinaContact mit aufgebaut, das über wirtschaftliche Entwicklung in China berichtet, über Perspektiven der Kooperation. 2006 hat der Verlag dann entschieden, meinen Arbeitsplatz nach Peking zu verlagern, damit der Chefredakteur näher am Markt ist, um besser zu spüren, was die Unternehmer, an die wir uns ja richten, bewegt.

Ich bin also Chefredakteur der Zeitschrift ChinaContact, informiere über die wirtschaftliche Entwicklung und glaube, dass wir eins der Wirtschaftsmagazine, der Publikationen sind, die auch ganz objektiv über die Entwicklung in China berichten. Für mich ist es wertvoll, dass ich China von 1984 an - eine Zeit in der die Reform noch in den Kinderschuhen steckte - bis heute kenne und das Land deshalb einschätzen beziehungsweise schätzen kann, was China in 30 Jahren Reform erreicht hat.

Wie unterscheidet sich ein ganz normaler Arbeitstag in Beijing von einem Arbeitstag in Deutschland?

Der größte Unterschied ist wahrscheinlich, dass jeder, der für ein ausländisches Unternehmen in China arbeitet, viel länger arbeitet als in Deutschland. Das bedingt schon der Zeitunterschied. Natürlich muss ich hier als Journalist auch früh anfangen, aber ich muss natürlich auch stark mit Deutschland kommunizieren. Die wachen um 16, 17 Uhr auf und dann geht's nochmal richtig los. Oftmals realisieren die Partner in Deutschland nicht, dass man hier schon acht Stunden hinter sich hat. Ansonsten unterscheidet sich der Arbeitstag relativ wenig.

Was ist Ihrer Meinung nach „typisch" für Beijing beziehungsweise „typisch" chinesisch?

Wenn man sich die Geschäftswelt anschaut, meine ich, dass sie sich nicht unterscheidet von dem, was wir in Europa gewohnt sind. Wenn ich mich gegenüber Chinesen so verhalte, wie ich es auch in Deutschland machen würde, dabei aber auch Respekt zeige und nicht als Lehrmeister hierher komme, wenn ich mit meinen Partnern auf Augenhöhe umgehe, dann funktioniert das und dann gibt es überhaupt keine großen Unterschiede. Sicher ist vielleicht für uns ungewohnt, dass man in China oder generell in Asien nicht so langfristig plant. Bei Interviewfragen bekomme ich nie zwei Wochen vorher eine Antwort. Das wird alles erst kurzfristig zugesagt. Vielleicht ist auch ein Unterschied, der mir persönlich stark auffällt zwischen Berlin und Peking, die Tatsache: Peking schläft nie, während in Berlin um 19, 20 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden. Der Unterschied zwischen Deutschland und China ist, dass in China das Leben immer pulsiert.

Welche Eigenschaft der Chinesen (oder einfach der Menschen hier), welche Gewohnheit würden Sie gern in Ihrer Heimat übernehmen?

Optimismus. Das Faszinierende an China und generell an den asiatischen Ländern ist, dass du hier Dynamik spürst, Bewegung spürst und, dass die Menschen optimistisch sind. Sie sehen selbst, dass sich ihr Leben verbessert und sie blicken in die Zukunft mehr als in die Vergangenheit. Dieser Grundoptimismus macht das Leben hier einfach schön.

Und womit kommen Sie überhaupt nicht zurecht?

Gibt's eigentlich nichts. Das ist so eine Sache. Wir dürfen China oder Asien generell nicht aus europäischem Blickwinkel betrachten. Wir müssen, wenn wir hier leben, unsere europäische Brille absetzen und auch akzeptieren, dass es Länder gibt, die eine andere Kultur haben, die eine andere Geschichte haben. Letztendlich bin ich Gast in diesem Land und ich muss mich damit arrangieren. Klar könnte ich jetzt lange palavern über Unhöflichkeit. Die Höflichkeit ist in China sicherlich auch aufgrund der Kulturrevolution verloren gegangen, wird aber zunehmend wiederbelebt. Aber ich finde das müßig. Man muss mit den Menschen umgehen und sie akzeptieren, wie sie sind.

Es gibt schon im Alltag Sachen wie Bankgeschäfte, die sehr kompliziert sind, wo man lange warten muss, aber das ist nun mal so. Vor allem sage ich mir, das ist ein Teil meines Lebens, den ich hier verbringe und wenn ich mir ständig nur darüber Gedanken mache, was mich nervt, zerstöre ich mir ja mein eigenes Leben. Deswegen stehe ich auf dem Standpunkt: Das ist so, und damit muss man leben, und dann kommt man damit auch klar.

Auf welche Weise hat Sie das Leben hier in dieser Stadt, in China verändert, beeinflusst, was bedeutet China heute für Sie?

Wenn du im Ausland lebst, wirst du sowieso beeinflusst, durch andere Kulturen, durch andere Verhaltensweisen, durch den Umgang mit den Menschen. In gewisser Weise fehlt dir dann diese Dynamik, wenn du nach Europa kommst. Man wird offener, muss aber auch bereit sein, offener zu werden und das fehlt, glaube ich, vielen Ausländern.

Mir ist in jüngster Zeit aufgefallen, dass die Chinesen nicht mehr nur an ihren eigenen Wohlstand denken, sondern sich zunehmend auch mit Fragen auseinandersetzen wie Umwelt, Erhalt des kulturellen Erbes. Ich finde, das ist ein gewaltiger Fortschritt. Grundsätzlich ist mein Eindruck, dass Chinesen ziemlich unpolitisch sind, schon allein auch aufgrund der Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Entwicklung und, dass sie erleben, dass es besser wird und zwar überall im Land, auch in den sogenannten armen Gebieten. Das vergessen wir ja auch oft festzustellen. Mit diesem Wohlstand entsteht eben auch ein Bewusstsein, das Leben insgesamt besser zu machen und das finde ich faszinierend. Faszinierend aus meiner Sicht ist auch - eine Sache, die in Deutschland auch sehr stark ignoriert wird - dass Chinesen in vielen Gesetzgebungsverfahren, die sie letztendlich dann auch persönlich betreffen, sehr stark eingebunden sind. Beispielsweise die Reform der Einkommenssteuer: Da wurde ein Entwurf veröffentlicht und das wurde über Internet – und das gibt es, glaube ich, in Deutschland überhaupt nicht – in den verschiedensten Foren diskutiert, und diese Diskussion hat am Ende auch noch eine Änderung des Gesetzes herbeigeführt. Das finde ich einfach faszinierend. Wir reden ja gerne über Demokratie und Menschenrechte und was nicht alles, aber ich finde diese Art der Beteiligung der Menschen, sowas sollten wir in Deutschland auch übernehmen.

Dann ist natürlich an China noch faszinierend, wie sie hier in der Lage sind, für notwendig Erkanntes umzusetzen. Dass Infrastrukturvorhaben in kürzester Zeit realisiert werden. Da kann man natürlich wieder diskutieren, dass die Menschen dabei nicht berücksichtigt werden. Man kann das gut oder schlecht finden. Aber ich finde, so wie wir in Deutschland bei Infrastrukturvorhaben vorgehen, ist das eine große Verschwendung von Mitteln. Es ist schon peinlich, wenn in Deutschland eine fortschrittliche Technologie erfunden wird, wie der Transrapid, und wir nicht in der Lage sind, die auch in Deutschland zu bauen. In China geht das anders. Und bei diesen ganzen Umsiedlungsfragen: Es ist natürlich klar, dass das für die Menschen nicht einfach ist. Jeder, überall auf der Welt, möchte gerne da bleiben, wo er geboren ist, in seinem Heim. Wir vergessen aber, wenn wir das beurteilen, dass sie in viel bessere Bedingungen umgesiedelt werden. Was ich sagen will: Wir dürfen China nicht nur aus europäischer Sicht beurteilen, sondern müssen uns auch in die hiesige Situation versetzen. Vor allen Dingen tut es den Deutschen und Europäern wirklich gut, das anzuerkennen, was China in den vergangenen 30 Jahren geschafft hat.

Und, wie lange wollen Sie bleiben? Schon Rückflugticket gebucht?

Das ist ja nun eine Frage, die, wenn man angestellt ist, nicht unbedingt in der eigenen Macht der Entscheidung steht. Aber für mich steht fest, dass es im Moment keine Alternative wäre, zurück nach Deutschland zu gehen.

Protokoll und gesprochen von Marie Bollrich

Forum Meinungen
• mengyingbo schrieb "Leben in Changshu"
seit etwas über einer Woche ist nun Changshu 常熟 in der Provinz Jiangsu 江苏 meine neue Heimat - zumindest erstmal für rund 2 Jahre.Changshu (übersetzt etwa: Stadt der langen Ernte) liegt ungefähr 100 km westlich von Shanghai und hat rund 2 Millionen Einwohner, ist also nur eine mittelgroße Stadt.Es gibt hier einen ca. 200m hohen Berg, den Yushan 虞山 und einen See, den Shanghu 尚湖...
• Ralf63 schrieb "Korea"
Eine schöne Analyse ist das, die Volker20 uns hier vorgestellt hat. Irgendwie habe ich nicht genügend Kenntnisse der Details, um da noch mehr zum Thema beitragen zu können. Hier aber noch einige Punkte, welche mir wichtig erscheinen:Ein riesiges Problem ist die Stationierung von Soldaten der USA-Armee in Südkorea...
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