Ein künstlicher See mit Schweizer Übernamen, der aus der Vogelperspektive aussieht wie ein Drache, und von einer japanischen Firma in eine internationale Touristenhochburg verwandelt werden soll, gibt es mit Bestimmtheit nur in Anhui.
Der Taiping Hu, so der Name dieses Sees, liegt – eingebettet zwischen dem Huangshan und dessen weniger bekannten kleineren Bruder, dem Jiuhuashan – strategisch äußerst günstig gelegen. Die Provinzregierung will aus dieser geographischen Lage in Zukunft Kapital schlagen. Im Jahr 2004 beschloß sie daher, den Taiping-See zum touristischen Brückenkopf zwischen den zwei Bergen zu machen.
Mit der Umsetzung dieses umgerechnet über eine Milliarde Euro teuren Projekts wurde eine japanische Firma beauftragt. Bis zum Jahr 2015 soll um den 88 Quadratkilometer großen See herum ein Tourismusresort mit drei Fünfsterne-Hotels inklusive Wellnessbereich und Spa, einem 18-Loch-Golfplatz, Ferienwohnungen und diversen Vergnügungsanlagen entstehen.
Langfristig soll die Gegend aber nicht nur zu einem Erholungsgebiet für die ganze Familie werden, sondern auch zu einem beliebten Veranstaltungsort für Konferenzen, Ausstellungen sowie Schönheits- und Sportwettbewerben wie Motor- und Ruderbootrennen oder Triathlons. Laut Werbeprospekt der lokalen Tourismusbehörde genießt der See bereits jetzt den Ruf als „Orientalischer Genfersee".
Mit lediglich 700.000 Touristen im Jahr 2010 ist der Taiping Hu jedoch noch weit entfernt von seinem berühmten schweizerisch-französischen Namensvorbild. Dasselbe gilt für seine Größe. Mit einer Fläche von 580 Quadratkilometer ist der Genfersee sechsmal größer als sein angebliches chinesisches Pendant. Auch landschaftlich könnten die beiden Seen unterschiedlicher nicht sein. Die von dichten Nadelbäumen bewaldete hügelige Uferlandschaft erinnert eher an südeuropäische Gefilde, denn an den Alpenraum. Und von den malerischen Weinbergen des Genfersees ist weit und breit nichts zu sehen. Stattdessen wird im Hinterland des Taiping Hu der in China bekannte Huangshan Maofeng-Grüntee angebaut.
Nach einem historischen Wahrzeichen wie dem Schloss Chillon sucht man an den Gestaden des Taiping Hu vergebens. Dafür gibt es in seiner Mitte mehr Inseln. Auf einer können sich die Besucher für nicht gerade günstige 20 Yuan RMB in die Zukunft blicken lassen. Hierzu muss man aus einiger Meter Entfernung mit zwei Pfeilen zuerst auf eine achtfarbige Scheibe werfen, die sich dreht. Anhand der beiden getroffenen Farben wird anschließend eine Zahl ermittelt, die einer Karteikarte entspricht, auf der „weise" Ratschläge für die Zukunft stehen. Dem Autor wurde unter anderem empfohlen, zukünftig besser keine roten Kleider mehr zu tragen und eine nicht allzu dicke Frau zu ehelichen.
Ob das Milliarden-Projekt von Anhuis Regierung am Taiping Hu aufgehen wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich sagen. Man muss aber sicher kein Hellseher sein, um zu behaupten, dass noch sehr viel Wasser die Rhone runterfließen wird, bis der Taiping-See denselben Bekanntheitsgrad erreicht wie sein schweizerisch-französisches Vorbild.
Damit schließe ich mein Tagebuch aus Anhui. Ich hoffe, Ihnen mit meinen Berichten in den vergangenen Tagen bewiesen zu haben, dass es in dieser wirklich sehenswerten Provinz weitaus mehr gibt als nur Babysitter und Haushaltshilfen.
Abschließend möchte ich mich noch bei meiner Begleiterin Zhong Xi bedanken, ohne deren Unterstützung dieses Tagebuch nicht zustande gekommen wäre.
Mit freundlichen Grüßen vom Taiping Hu,
Simon Gisler