Von Leonardo bis Van Gogh, Europas große Maler haben ihre Werke ausschließlich mit Pinsel und Farbe geschaffen. In der Yangtse-Stadt Wuhu hingegen „malen" die Künstler seit rund 400 Jahren bevorzugterweise mit Hammer und Amboss. Zwei Autostunden vom Provinzhauptort Hefei entfernt hat sich im 17. Jahrhundert eine Kunstform entwickelt, die heute in China als „Tie Hua" – „Eisenbild" bekannt ist.
Wie unschwer ihrem Namen zu entnehmen ist, werden Eisenbilder aus ganz gewöhnlichem Eisen hergestellt. Bei einem „Tie Hua" übernimmt das Eisen die Funktion der Farbe, während Hammer und Amboss den Pinsel ersetzen.
Die Herstellung eines Eisenbildes erfordert mühsame Handarbeit und ist vergleichbar mit einem Mosaik. In einem ersten Schritt hämmert sich der „Maler" die erforderlichen Einzelstücke wie ein Schmied zurecht. Anschließend muss er die einzelnen Teile mit Hilfe einer Lötlampe zusammenschweißen. Das Auftragen eines speziellen Lacks am Ende sorgt dafür, dass das Eisen schwarz glänzt und nicht rostet.
Als Erfinder dieser eisernen Kunst gilt ein Schmied namens Tang Tianchi aus dem 17. Jahrhundert. Die Spielzeuge und Dekorationsgegenstände, die Meister Tang nebenbei schmiedete, sollen eines Tages das Interesse von Xiao Chimu, einem Maler aus seiner Nachbarschaft, geweckt haben. Auf Empfehlung von Maler Xiao, so die Legende weiter, begann Tang daraufhin, seine Einzelstücke zu einem Ganzen zusammenzuschweißen.
Mit beachtlichem Erfolg wie sich bald herausstellen sollte. Wenn Tang knapp bei Kasse war, bezahlte er seinen Vermieter mit Eisenbildern. Über diesen fand seine Kunst schließlich ihren Weg an den Kaiserhof im tausend Kilometer entfernten Beijing, wo sie wohlwollend aufgenommen wurde.
Auch Mao Zedong war bei seiner Inspektionsreise durch Anhui im Jahr 1958 äußerst angetan von den Eisenbildern aus Wuhu. Einige auserlesene Werke sind noch heute in der Großen Halle des Volkes in Beijing zu bewundern.
Die Zukunft von Wuhus eiserner Visitenkarte sieht allerdings nicht allzu rosig aus. Es mangelt an Nachwuchs. Seine Tochter habe kein Interesse daran gehabt, sagt Yang Wanning nicht ohne Wehmut. Yang stellt schon seit über 30 Jahren Eisenbilder her. Das Wissen hat er von seinem Vater gelernt. Drei bis fünf Jahre müsse man zum Beherrschen dieser Kunst üben, erklärt er. Für ein gewöhnliches Bild braucht Yang etwa zehn Tage.
Dass diese einzigartige Kunstform aus Wuhu in naher Zukunft von der Bildfläche verschwinden könnte, ist jedoch nur schwer vorstellbar – nicht zuletzt, weil sie einen entscheidenden Vorteil gegenüber einem herkömmlichen Gemälde hat: Wer ein Eisenbild besitzt, aber knapp bei Kasse ist wie einst Tang Tianchi, der Erfinder dieser Kunst, der kann sein Bild zumindest noch dem Alteisenhändler verkaufen.
Mit freundlichen Grüßen aus Wuhu,
Simon Gisler