„Nichts!" Ungläubig über diese doch ein wenig kurze Antwort frage ich meine chinesische Bekannte noch einmal. „Mir fällt wirklich nichts ein, Simon!", antwortet die Beijingerin mit Nachdruck und ganz offensichtlich auch schon ein wenig gereizt auf meine simple Frage, was sie denn mit der Provinz Anhui verbinde. Nach einer mehrstündigen Bedenkzeit fügt sie noch an, dass es in Beijing viele Haushaltshilfen und Babysitter aus Anhui gäbe. Warum dem so ist, kann sie mir jedoch nicht sagen.
Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Menschen aus Anhui als besonders zuverlässig betrachtet werden. Grund für diese Annahme bietet zumindest Bao Zheng. Der wohl berühmteste Sohn von Hefei, dem Hauptort der Provinz Anhui und erste Station unserer Reise, gilt in China auch fast ein Jahrtausend nach seinem Tod noch immer als Symbol für Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit schlechthin.
Der „weise Richter" Bao brachte während seiner Amtszeit mehrere Dutzend Beamte und Adlige zu Fall, die ihre Machtbefugnisse missbraucht oder sich der Korruption schuldig gemacht hatten. Seine Taten leben in zahlreichen Erzählungen, Fernsehserien und sogar in einem Computerspiel fort. Bao Zheng soll auch Bertold Brecht als Vorbild für seinen Armeleuterichter Azdak im Theaterstück „Der kaukasische Kreidekreis" aus dem Jahr 1945 gedient haben.
Nicht ganz so eindeutig fällt das Urteil der Geschichte über Li Hongzhang aus, einen der einflussreichsten Beamten aus der späten Qing-Zeit, der wie Richter Bao aus Hefei stammt. Während der deutsche Kaiser Wilhelm II. ihn als „Erzhalunken und Lügner" beschimpft haben soll, wurde er vom großen deutschen Soziologen Max Weber 1919 als „humanistisch gebildeter Literat" gewürdigt. In China selbst galt Li Hongzhang lange als Verräter, unter anderem weil er nach der Niederlage im Krieg gegen Japan 1895 einen der sogenannten ungleichen Verträge unterzeichnet hatte. Seine ehemalige Residenz liegt ebenso wie das Grab von Bao Zheng im Zentrum von Hefei.
„Hefei: eine schöne Stadt mit einem zivilisierten Flughafen" (Werbetafel am Flughafen)
Ebenfalls im 1.200 Kilometer von Beijing entfernten Hefei geboren wurde Yang Zhenning, der 1957 zusammen mit Li Zhengdao den Nobelpreis für Physik erhielt. Letztmals von sich reden machte der amerikanische Wissenschaftler mit chinesischen Wurzeln im Jahr 2004, als er im Alter von 82 Jahren eine 28-Jährige heiratete.
Falls es bei den beiden unverhofft noch Nachwuchs geben sollte, dann wissen sie zumindest, wo sie einen guten Babysitter finden können.
Was es in Anhui sonst noch Interessantes zu entdecken gibt, erfahren Sie in den nächsten Tagen.
Mit freundlichen Grüßen aus Hefei,
Simon Gisler