„Mr. Iron" empfängt die Gruppe von Journalisten mit einem Megafon in der Hand. Kaum ist man aus dem Bus gestiegen, schon beginnt die Führung. In einem Vorort der Kleinstadt Jiaxing in der Provinz Zhejiang hat Zhu Kefeng, so der richtige Name des KP-Mitglieds, ein Gelände gemietet, in dem Altmetall zu Kunstgegenständen verarbeitet wird.
Der Unternehmer hat in seiner bisherigen Karriere schon einiges ausprobiert. Aufgewachsen in einem ländlichen Gebiet in Jiangxi schaffte er die Aufnahmeprüfung an die Hochschule und studierte Englisch. Lange Zeit war er Lehrer, doch hielt es ihn nicht in einer Position. Er kündigte, arbeitete unter anderem als Journalist und landete später bei einem deutschen Heizkessel-Hersteller. Lange Zeit war er für den gesamten China-Vertrieb zuständig und eigentlich ein gemachter Mann. Doch auch hier hielt es ihn nicht in dem Sessel. Zhu Kefeng beschloss, aus dem Heizkessel-Geschäft auszusteigen und sich in der Kunst zu versuchen. Und als Schaffensort hat er das beschauliche Jiaxing ausgewählt:
„Ich bin zurückgekehrt, weil es meine eigentliche Heimat ist. Meine beiden Elternteile stammen von hier. Ich hab zwar den Großteil meines Lebens woanders verbracht, habe woanders studiert und gearbeitet. Aber als ich zurückgekommen bin, habe ich gesehen, wie viel sich hier verändert hat. Und wer liebt schon seine alte Heimat nicht?"
Mit einigen Freunden hat er dann die „Tie Gemenr" gegründet. Der umgangssprachliche Begriff steht im Chinesischen für „unzertrennliche Freunde". Wobei „Tie" allein Eisen heißt und der Name somit auch als „Eisenkumpels" übersetzt werden kann. Heute haben sich etwa 20 Künstler zu einem Kollektiv zusammengetan. Zhu Kefeng ist der geschäftliche Leiter der Gruppe. Er ist zuständig für den Ankauf von Altmetall sowie für die Öffentlichkeitsarbeit.
Der Durchbruch schafften die „Tie Gemenr" mit ausrangierten BMWs, die in futuristische Transformer-Figuren verwandelt wurden. Die Medien hielten die Idee für originell und haben über sie berichtet. Doch ist das Sortiment der Künstler damit noch lange nicht erschöpft. Auf dem Gelände stehen riesige Plastiken aus der chinesischen Mythologie, die aus verrostetem Blech hergestellt wurden. Daneben gibt es überdimensionale Motorräder, Hubschrauber und alle zwölf Vertreter des chinesischen Tierkreiszeichens. Doch geht es hier nicht um Kunst um der Kunst willen. Die Gäste von Zhu Kefeng sollen aus dem Besuch auch was lernen können.
„Wir haben auch einige pädagogisch wertvolle Sachen gemacht. So haben wir zum Beispiel einen völlig ausgebrannten und kaputten Minibus genommen. Und weil dieses Jahr das Jahr des Hasen ist, haben wir mehrere Hasen hineingesetzt. Dieser Bus mit dem Stein davor erzählt die Geschichte einer gefährlichen Reise der Hasen. Ich will auf diese Weise die Fahrer von sicherer Fahrweise überzeugen. Und durch den Schock soll auch den Kindern die Bedeutung von Verkehrssicherheit nahe gebracht werden."
Die Haupteinnahmequelle des Unternehmens ist zurzeit der Weiterverkauf der Kunst. Denn was noch heute ein zerbeultes Autowrack ist, der für ein paar Tausend Yuan erworben wurde, kann schon morgen ein mehrere Tausend Euro teueres Kunstwerk sein. Doch Zhu Kefeng will höher hinaus, das verrät schon der Name des Ausstellungsgeländes.
Genauso wie in Europa steht man auch in China vor der Frage, wie man der alten Industrielandschaft, die in der neuen Wirtschaft keinen Platz mehr hat, ein neues Leben einhauchen kann. Und ähnlich wie bei der Zeche Zollverein in Essen oder beim Wiener Gasometer erscheint Kunst als ein passendes Vehikel, mit dem Gelder in die ansonsten trostlosen Fabrikgebäude gelockt werden können. Diese Entwicklung ist wohl auch Zhu Kefeng nicht entgangen, der seinem Gelände den Namen 523 verliehen hat. Das ist eine deutliche Anspielung an die berühmte „Art-Zone" 798 in Beijing. Auf dem ehemaligen Fabrikgelände in der chinesischen Hauptstadt kann man heute Ausstellungen mit moderner Kunst besuchen, schick einkaufen oder Partys machen. Und all das ist natürlich ein profitables Geschäft.
Doch bis dorthin ist es man Jiaxing noch weit entfernt. Jetzt gilt es, die Menschen auf das Projekt aufmerksam zu machen und Besucher in das Industriegebiet am Rande der Stadt zu locken.
Wo bleibt aber der Klassenkampf, die Diktatur des Proletariats und die Kritik der Produktionsverhältnisse? Nichts davon geht Zhu Kefeng über die Lippen. Lassen wir ihn selbst das Schlusswort zur Rolle der Partei sprechen:
„Zum Beispiel wir, die „Tie Gemenr". Wir machen Kunstgegenstände aus Altmetall. Und wir verbinden das mit den neuesten Ideen über erneuerbare Energien, Umweltschutz und Reduzierung von Karbondioxid. Wir verbinden sie mit Bildung, Wissenschaft und Technik oder auch Reisen. Damit möchten wir die Entwicklung in eine bessere Richtung lenken und uns stärker und unabhängiger machen. Wir wollen ein gutes Vorbild abgeben. Deswegen sage ich, dass die Mitglieder der Kommunistischen Partei die ersten sein sollen, die für die Reform- und Öffnungspolitik und den Kampf gegen Korruption eintreten."
Interview von Jörg Pensin und Wu Shiyun
Text von Jörg Pensin und Wu Shiuyun
Gesprochen von Xu Wei