Ich muss zugeben, als ich über das neue Interviewthema von meinen Kollegen aus Beijing gehört habe, fühlte ich mich etwas ratlos. Obwohl ich mich schon sehr lange mit Deutschland beschäftige und mittlerweile seit einem Jahr in Berlin arbeite, habe ich noch niemanden getroffen, der sich in der Geschichte der Kommunistischen Partei China so gut auskennt, dass er die von uns gestellten Fragen ausführlich beantworten könnte. Die politische Landschaft in Deutschland ist eine ganz andere und die meisten Menschen hier haben kein Interesse an Kommunismus. Glücklicherweise konnte mich die chinesische Botschaft an Dr. Helmut Ettinger verweisen, einen Experten von der Partei DIE LINKE. Eine E-Mail ist schnell geschrieben und schon war ich bei Herr Ettinger zu Hause eingeladen. Mein Gesprächspartner hat seinerzeit für die Botschaft der DDR in Beijing gearbeitet und hat auch danach China mehrmals besucht. Er kennt sich sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart meiner Heimat sehr gut aus.
Nach dem Interview war ich wirklich sehr froh, dass ich die Gelegenheit gehabt habe, mit Dr. Ettinger zu sprechen. Als ein chinesischer Korrespondent in Berlin habe ich überwiegend mit Beamten und Journalisten über China diskutiert. Ich habe bis jetzt noch niemanden getroffen, der so richtig und objektiv die Situation Chinas beurteilen kann. In Deutschland sagt man, daß Kritik die Aufgabe von Journalisten sei. Die deutschen Journalisten kritisieren praktisch alles, und China ist da keine Ausnahme. Doch verstehe ich manchmal nicht, wie ein Mensch, der noch nie in China gewesen ist, das Land kritisieren kann. Natürlich darf man Kritik üben, aber man sollte immer objektiv bleiben. Als Chinese weiß ich auch, dass es in China viele Probleme gibt. Doch ist es ganz normal, Probleme gibt es überall, sowohl in einem Entwicklungsland als auch in einem Industriestaat, sowohl in China als auch in Deutschland. Dr. Ettinger war schon vor 30 Jahren mal in China und konnte die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten mitverfolgen. Auch er ist der Meinung, dass es einige Probleme gibt, die gelöst werden müssen. Aber er erkennt auch die Entwicklung und den Wohlstand an, der seit dem Beginn der Reform- und Öffnungspolitik erreicht wurde.
Meine Arbeit in Berlin besteht darin, dem chinesischen Publikum über Deutschland zu berichten. Ich bin immer daran bedacht, objektiv und unvoreingenommen zu berichten. Denn ich weiß, dass es in China viele Menschen gibt, die noch nie in Deutschland gewesen sind und sehr wenig darüber wissen. Meine Berichte richten sich an solche Leute und sollen ihnen einen besseren Einblick in ein unbekanntes Land geben. Man muss nicht ein ausgewiesener Experte wie Dr. Ettinger sein, um über China zu schreiben. Und doch hoffe ich, dass die deutschen Journalisten wenigstens einmal nach China reisen, bevor sie sich ihre Meinung bilden.
(Dr. Helmut Ettinger)
Übersetzt und gesprochen von Kong Jie