Alle Jahre wieder sorgt ein Buch über Erziehung für hitzig geführte Debatten in den Medien und in der Bevölkerung. Dieses Jahr ist es nun Amy Chuas Buch „Battle Hymn of the Tiger Mother", das in Deutschland unter dem Titel "Mutter des Erfolgs" verkauft wird. Es hat nicht nur in den USA heftige Reaktionen ausgelöst, von eingeschränkter Zustimmung bis hin zu strikter Ablehnung. Wie aber äußern sich Fachleute aus den USA und China über Erziehung und Chuas Methoden?
Anna Lau ist Dozentin für klinische Psychologie an der University of California Los Angeles (UCLA). Sie ist der Meinung, dass vieles in Amy Chuas Buch überzogen ist. Die zugrunde liegende Philosophie jedoch hält sie stellenweise für sinnvoll und nützlich. Zum Beispiel empfindet sie das Engagement, das die „Tiger Mom" in die Erziehung ihrer Kinder steckt als sehr positiv, da es viel elterliche Zuwendung zeige. Auch sei es wichtig, Kinder anzuspornen, das Beste aus sich herauszuholen. Und dies gehe eben nur durch Üben, Üben, Üben:
„Es ist von unschätzbarem Wert, seinen Kindern beizubringen, dass Fleiß zu Erfolg führt. Das heißt nicht, dass jeder ein weltberühmter Pianist werden kann. Aber man kann den Kindern dadurch vermitteln, was Carol Dweck „incremental theory of ability" nennt, die schrittweise Aneignung von Fähigkeiten: Je mehr man an etwas arbeitet, desto besser wird man."
Des Weiteren macht sie kulturelle Unterschiede in der „asiatischen" und „US-amerikanischen" Erziehung aus. Die Stile unterscheiden sich ihrer Meinung nach zum einen in der Wichtigkeit, die dem positiven Selbstwertgefühl der Kinder zugemessen wird. In den USA sei dies sehr wichtig. Es führe jedoch dazu, dass den Kindern manchmal zu schnell Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt würden. Im asiatischen Raum sei das positive Selbstbild nicht so wichtig. Es gehe eher darum, seine Fähigkeiten zu verbessern, in dem man ständig daran arbeitet. Deshalb kritisierten asiatische Eltern ihre Kinder häufig, um sie anzuspornen, während man in den USA eher lobe. Zum anderen sei die Definition des Begriffs „Fähigkeiten" unterschiedlich:
„In den östlichen Kulturen sehen die Menschen „Fähigkeiten" als etwas, dass durch harte Arbeit erreicht wird, während man in den USA eher einen gesamtheitlichen Ansatz verfolgt. Man wird entweder mit Begabungen geboren, wie zum Beispiel mit musikalischem Talent oder nicht. Wird man nicht mit bestimmten Talenten geboren, kann man nicht viel dagegen tun."
Auf der anderen Seite sieht sie aber auch, dass sich die Erziehungsmethoden in China, vor allem in den Städten, inzwischen geändert haben und Amy Chua einen etwas altmodischen chinesischen Erziehungsstil pflegt.
Dies kann Ming Luo nur bestätigen. Sie ist Mitgründerin des Peekabook House, einer englisch-chinesischen Kinderbücherei in Peking und hat selber einen Sohn. Ihre Erziehungsphilosophie deckt sich kaum mit Amy Chuas striktem Regime. Und auch die meisten ihrer Freunde können den Positionen wenig abgewinnen
„Ich habe das Gefühl, dass die meisten ihre Ansichten für zu extrem halten. Amys Art der Erziehung ist heute in China nicht mehr üblich, sondern war es vor vielleicht 20 Jahren. Heute orientieren sich die Mütter und Väter in China eher an westlichen oder internationalen Erziehungsmethoden. Sie versuchen, ihre Kinder so zu erziehen, dass sie schulische Erfolge haben, aber auch ein ausgewogenes Leben."
Den Bemühungen der Eltern in China steht jedoch immer noch das sehr strenge Schulsystem des Landes gegenüber, in dem vor allem Wert auf Auswendiglernen und gute Testergebnisse gelegt wird. Auch wenn es inzwischen Versuche gibt, dies zu ändern wird eine freiere Erziehung dadurch erschwert.
„In China bringen die Beschränkungen und die Struktur des momentanen Schulsystems die Eltern in ein Dilemma. Auf der einen Seite wollen sie ihren Kindern mehr Freiheit geben, auf der anderen Seite müssen sie ihre Kinder einschränken, damit sie in das derzeitige Test-System passen, die Tests bestehen und in Zukunft eine gute Arbeitsstelle bekommen."
Was die Erziehung angeht, ist Ming Luo für eine Mischung aus strengem und liberalem Erziehungsstil. Sie findet es wichtig, Kinder zu fördern und zu fordern und gleichzeitig ihre Bedürfnisse nicht aus den Augen zu verlieren.
„Ich glaube, das Beste ist eine Kombination: Einerseits sollte man seine Kinder dazu ermutigen, besser zu werden und herausfinden, wo ihre Talente liegen. Man sollte ihnen helfen, sie unterstützen, wenn sie Schwierigkeiten haben, etwas zu Ende zu bringen und sie nicht einfach aufgeben lassen. Aber wenn man merkt, dass den Kindern eine Sache wirklich nicht liegt, sollte man ihnen erlauben, etwas anderes auszuprobieren."
Ihr Ansatz scheint ihr Recht zu geben. Als sie ihrem Sohn von der „Tiger Mom" erzählte, meinte er, dass er froh sei, keine solche Mutter zu haben.
Text und Gesprochen von Stephanie



Wir über uns





