F: Die chinesische Xibo-Nationalität ist eine relativ kleine Volksgruppe. Heute gehören offiziell etwa 190.000 Menschen zu den Xibo. Sie leben vor allem in den nordöstlichen Provinzen wie Liaoning, Jilin und dem nordwestlichen Autonomen Gebiet Xinjiang.
Ehrlich gesagt, ich wusste bis vor kurzem kaum etwas über diese Nationalität. Denn zum einen bin ich Han-Chinesin und zum anderen leben in meiner Heimatprovinz Shaanxi im Nordwesten des Landes nur sehr wenige der Xibo.
M: China hat jede Menge verschiedenster ethnischer Gruppen zu bieten. Wenn man erstmals zu Graben anfängt, dann entdeckt man diese Vielfalt des Landes an vielen Ecken. Die Xibo sind dabei besonders interessant. Denn es ist quasi ein geteiltes Volk und viele der Xibo leben heute etwa 5000 Kilometer entfernt von ihrer ursprünglichen Heimat im Nordosten Chinas. Die Xibo im Autonomen Kreis Chabuchaer in Xinjiang leben seit über 200 Jahren in der Gegend. Sie haben ihre Sitten und Gebräuche aus ihrer nordöstlichen Heimat Shenyang mitgebracht und bis heute erhalten.
F: Der 70jährige Bai Hechang ist ein Angehöriger der Xibo. Er wohnt in der Gemeinde Zhakuqiniulu des Kreises Chabuchaer. Er gehört zur zehnten Generation der Xibo, die aus Shenyang hierher kamen. Als Bai Hechang noch jung war, lebte er wie viele andere seiner Zeitgenossen vom Getreideanbau, der Jagd und der Viehzucht. Jetzt genießt er den Ruhestand. Gemütlich sitz er vor seinem zweistöckigen Haus und erinnert sich.
"Früher führten wir ein schwieriges Leben. Wenn es damals die Familieplanung gegeben hätte, hätte ich lieber nur ein Kind oder maximal zwei in die Welt gesetzt. Damals hatten wir einfach zu viele Kinder, deshalb konnten wir uns auch kein gutes Leben leisten."
M: Seit dem Beginn der Reform und Öffnungspolitik hat sich der Lebensstandard der Familie Bai stark verbessert. Neben dem Getreideanbau begannen sie auch eigene Unternehmen zu gründen. Sein ältester Sohn besitzt ein Bergbauunternehmen und sein zweiter Sohn hat eine Klinik für traditionelle chinesische Medizin. Bais insgesamt neun Kinder sind bereits erwachsen und haben ihre eigenen Familien. Sie haben das Haus für ihren Vater finanziert.
"Seit dem Beginn der Reform und Öffnung konnten wir viel Geld verdienen. Meine Kinder konnten alle in die Schule gehen und begannen dann mit ihrer Arbeit. Sie schicken mir immer noch monatlich Geld. Das Leben ist viel besser geworden."
F: Obwohl Bai Hechang sich keine Sorge um seinen Lebensabend zu machen braucht, steht er jeden Tag sehr früh auf, um auf dem Feld zu arbeiten. Am Abend setzt er sich dann gern mit seinen Kindern und Enkelkindern zusammen, um sich auf der Sprache der Xibo über die Ereignisse des Tages zu unterhalten.
"Wir fordern unsere Kinder auf, zu Hause die eigene Sprache der Xibo zu sprechen. Ohne die Sprache und Schriftzeichen würde unsere Nationalität nicht mehr existieren. Ich finde es auch sehr gut, dass die Kinder an lokalen Schulen unsere Sprache erlernen."
F: Das wichtigste Fest der Xibo-Nationalität in Xinjiang ist das "Xiqian", was auf Deutsch etwa so viel heißt wie „der lange Marsch gen Westen". Im Jahr 1764 mussten über 4000 Beamte und Soldaten der Xibo-Nationalität nach Xinjiang umziehen. Sie wurden dort auf Befehl des Kaisers Qianlong der Qing-Dynastie im Xinjianger Grenzgebiet stationiert. Sie verabschiedeten sich am achtzehnten Tag des vierten Mondmonats von ihren Verwandten und Freunden vor dem Tempel der Xibo in Shenyang. Dieser Tag des Abschieds wird seitdem jedes Jahr von den Xibo in Xinjiang als "Xiqian-Fest" gefeiert.
M: An diesem Tag gibt es auch zahlreiche Wettkämpfe im Ringen und Bogenschiessen. Außerdem wird viel gesungen und getanzt. Vor den Häusern wird das Symbol der Schutzgöttin der Familie „Xilimama" aufgehängt. Allerdings handelt es sich dabei nicht um Gottesabbilder, wie man die sich so normalerweise vorstellt. Denn die Rede ist hier von einem über sechs Meter langem Seil, welches mit kleinen Bögen, Stiefeln, Pfeiltaschen, Wiegen, Bronzemünzen, Stoffstreifen, Holzschaufeln, Holzgabeln und vielem mehr behängt wird.
F: Dabei symbolisieren Bögen und Stoffstreifen jeweils Jungen und Mädchen. Stiefel und Wiegen stehen für viel Nachwuchs. Die Pfeiltaschen sollen zeigen, dass die Jungen zu guten Bogenschützen heranwachsen. Die Bronzemünzen sollen ein reiches Leben bescheren und die Schaufeln und Gabeln eine gute Ernte. Je mehr Symbolgegenstände auf dem Seil, desto mehr Glück soll es am Ende bringen.
M: Ich könnte mir vorstellen in Beijing würde man wahrscheinlich andere Glücksbringer an die Leine aufhängen. Vielleicht Laptops, Handys, Aktien oder ähnliches.
F: Ich würde wohl noch etwas an die Leine hängen, das frische Luft und eine saubere Umwelt symbolisiert.
M: Das würde Beijing sicherlich nicht schaden. Doch zurück nach Xinjiang. Bai Hechang sagt, das „Xiqian-Fest" ist eines der wichtigsten Familienfeste der Xibo. An diesem Tag kommen alle Kinder nach Hause und man feiert im Rahmen der ganzen Familie. Es ist auch ein Tag der Rückschau und Erinnerung an die alte Zeit.
F: China bemüht sich seit geraumer Zeit darum, die Traditionen und Bräuche nationaler Minderheiten zu bewahren. So wurde auch im Kreis Chabuchaer ein Komitee zum Schutz des immateriellen Kulturerbes eingesetzt. Heute gibt es viele lokale Experten, die die Geschichte, Kultur und Bräuche der Xibo erforschen.
Moderatoren: Lü Xiqian, Michael Koliska