Vielleicht rufen manche ihre Eltern an oder mailen ihnen regelmäßig. Nach einer Gesetztesänderung in China können seit Montag ältere Eltern ihre Kinder vor Gericht bringen, wenn sie sich von diesen vernachlässigt fühlen – egal, wie weit entfernt sie voneinander leben.
Die 88-jährige, alleinstehende Frau Zhang lebt seit acht Jahren in einer Kindertagesstätte in Shenzhen, im Süden Chinas. Das Staatsfernsehen CCTV fragte sie im Februar, was ihr größter Wunsch sei. Frau Zhangs Antwort: "Wenn nur meine Tochter mich einmal in der Woche besuchen könnte."
Heute, fünf Monate danach, wäre sie theoretisch in der Lage, ihren Wunsch wahr werden zu lassen – denn nun ist ein Besuch bei den Eltern ein Gebot. Fälle wie der von Frau Zhang kommen nicht selten vor in einem Land mit einer hohen, inländischen Migrationsbevölkerung, das zugleich seit den geburtenschwachen Jahrgänge ungewöhnlich schnell altert.
Laut einem Bericht des Chinesischen Forschungszentrum für Alterungsprozesse wird bereits Ende dieses Jahres der Anteil der über 60-jährigen an der Gesamtbevölkerung Chinas fast 15 Prozent oder 200 Millionen übertreffen.
Viele junge Leute können auch nicht mehr so leicht Erwerbsarbeit am Heimatort finden. Offizielle Zahlen zeigen bereits, dass Chinas Migrationsbevölkerung Ende 2011 bei 230 Millionen Menschen lag. Das Durchschnittsalter lag bei 28 Jahren. Fast hinter jedem Einzelschicksal dieser 230 Millionen Menschen steht ein alterndes Elternpaar, das auf sich selbst gestellt leben muss.
Im neu geänderten Gesetz, das am Montag in Kraft trat, heißt es diffus, "junge Familienmitglieder sollten sich um die psychologischen Bedürfnisse der älteren Familienmitglieder kümmern", und "diejenigen, die an einem anderen Ort leben, sollten ihre Senioren oft besuchen".
Der Knackpunkt der Gesetzesänderung liegt jedoch in ihrer Umsetzbarkeit. Wie oft ist "regelmäßig"?
"Mein Sohn lebt in der gleichen Stadt wie ich. Aber was, wenn er in einer Stadt arbeitet, die 2000 Kilometer entfernt ist? Wer kann bestimmen, wie oft er nach Hause kommen und mir einen Besuch abstatten soll? Ist das überhaupt möglich? Ich selbst musste mit 18 Jahren mein Elternhaus verlassen, um in die entfernte Region Xinjiang zu ziehen, und konnte erst fünf Jahre später erstmals nach Hause fahren. Man sollte einmal der Realität ins Auge sehen."
Werden Eltern wirklich ihre Kinder vor Gericht bringen, weil diese seit geraumer Zeit an einem anderen Ort leben? Hier einige Stimmen von einem Interview:
"Ich würde so etwas nicht machen. Das ist ja kein Verbrechen."
"Was ist der Sinn von so etwas? Er ist halt beschäftigt. Das kapiere ich auch."
Noch wichtiger bleibt die Frage, ob so etwas durch ein Gesetz bestimmt werden sollte.
"Eltern werden älter und müssen gepflegt werden. Also, ich bin schon dafür, dass Kinder regelmäßig nach Hause kommen. Aber das ist doch eher eine Frage der Moral. Jetzt, wo es in ein Gesetz geschrieben wurde, berührt es mich ein wenig seltsam ."
Ein regierungsnaher Experte argumentiert, eine Gesetztesänderung sei mehr als symbolische Geste der Regierung zu bewerten. Dang Junwu, stellvertretender Direktor des Chinesischen Forschungszentrum für Alterungsprozesse, sagte: "Ich würde eher sagen, dass es mehr um PR geht. Das soll die Kommunikation zwischen Kindern und Senioren fördern."
Verpflichtung gegenüber den eigenen Eltern ist seit langem ein Teil der chinesischen Kultur. Aber da es nun den Punkt erreicht hat, wo Elternbesuche zu einem gesetzlichen Gebot werden, fragen sich viele: Was ist in China schief gelaufen? Leider gibt es darauf keine klare Antwort.
Quelle: german.china.org.cn