Chinas experimentale „künstliche Sonne“, ein nuklearer Fusionsreaktor, hat unlängst seinen ersten Probelauf begonnen. Den Forschern zufolge wird China voraussichtlich im Jahr 2050 sein Ziel einer kommerziellen Verwendung von Fusionsenergie erreichen.
Der in Chengdu, der Hauptstadt der südwestchinesischen Provinz Sichuan, eingerichtete Fusionsreaktor arbeitet nach dem sogenannten Tokamak-Prinzip: Es handelt sich um einen Fusionsreaktor, bei dem das heiße Plasma in einem Torus von Magnetfeldspulen eingeschlossen wird.
Der HL-2M Tokamak der neuen Generation hat im Dezember 2020 seinen simulierten Betrieb aufgenommen. Seitdem sei eine fortlaufende Plasma-Entladung erzeugt worden, hieß es in einer Mitteilung der China Nation Nuclear Corporation (CNNC).
Die Anlage in Chengdu wurde dazu ausgelegt, anhand von Wasserstoff und Deuteriumgas, die im supraleitenden Fusionsverfahren als Brennstoffe dienen, die innere Reaktion der Sonne nachzubilden. Durch diese kontrollierte Nuklearfusion kann die Anlage saubere Energie erzeugen. Ein erfolgreicher Probelauf bedeute einen sprunghaften Fortschritt bei der Forschung und Entwicklung im Bereich der Plasmaphysik, sagte ein Vertreter der CNNC.
China plant, noch in diesem Jahr einen neuen experimentalen Reaktor und im Jahr 2035 einen industriellen Prototypen zu bauen. Dies wird der CNNC zufolge den Weg für eine großangelegte kommerzielle Verwendung von Fusionsenergie im Jahr 2050 ebnen.
Branchenkenner gehen davon aus, dass die Erprobung der „künstlichen Sonne“ ein wissenschaftliches Epochenereignis und zugleich ein Beweis dafür sei, dass chinesische Wissenschaftler Schlüsseltechnologien beim Design, dem Bau und dem Betrieb von Kernfusionsanlagen beherrschten.
Zhong Luwu, Chefwissenschaftler beim HL-2M-Projekt, erklärt, beim HL-2M Tokamak der neuen Generation handele es sich um die bislang größte und modernste Kernfusionsexperimentalanlage, die chinesische Forscher je gebaut hätten. Im Vergleich zu seinem Vorläufer-Modell verfüge die Anlage in Chengdu über einen fortgeschrittenen Kontrollmodus und sei deshalb imstande, dem wiederholten Bombardement der durch heißes Gas produzierten Abfallpartikel zu widerstehen.
Joseph Jacobelli, ein unabhängiger Analyst für Energiewirtschaft und stellvertretender Präsident des Asiengeschäfts beim Unternehmen Cenfura Ltd., einem Betreiber für intelligente Energien, sagt, auch wenn die Technologie der von Menschenhand geschaffenen nuklearen Fusion noch Zukunftsmusik sei, könne man davon ausgehen, dass China den Willen, das Knowhow und das Kapital für die entsprechende Forschung und Entwicklung besitze. „Es müssen in diesem Bereich jedoch immer noch zahlreiche Forschungsarbeiten durchgeführt und entscheidende Fortschritte erzielt werden, deshalb ist es zu diesem Zeitpunkt noch schwer einzuschätzen, wie die künftige Technologie der Fusionsenergie in China und im Rest der Welt aussehen wird. Aber da China kontinuierlich saubere Energien braucht, wird Kernenergie voraussichtlich langfristig eine große Rolle spielen.“ Da die Sicherheit bei der Produktion der Fusionsenergie theoretisch kein großes Anliegen darstelle, müsse man sich eher auf die Kosten konzentrieren, so Jacobelli weiter. Schließlich würden Solar- und Windenergie sowie andere Lösungen für saubere Energie in den kommenden Jahren immer günstiger werden.