Jiao Shengding – einziger Lehrer in einer ländlichen Schule seit 30 Jahren

2020-07-23 10:45:38

Jeden Morgen gegen 6 Uhr fährt Jiao Shengding mit seinem Motorrad zu einem Lokalmarkt und kauft zunächst Zutaten fürs Mittagessen ein, bevor er zur Schule fährt, wo er unterrichtet.

Der 52-jährige Jiao ist der einzige Lehrer in der Schule im Dorf Zhangji in Aidian, einer Gemeinde im Kreis Ningming im südchinesischen Autonomen Gebiet Guangxi der Zhuang-Ethnie. Die kleine Schule nimmt Kinder unterhalb der dritten Klassenstufe aus Zhangji und zwei nahe gelegenen Dörfern auf. In den drei kleinen Dörfern, die sich auf dem Gongmu-Berg an der Grenze zwischen China und Vietnam befinden, leben die Einwohner der Yao, einer der 55 nationalen ethnischen Minderheiten Chinas.

In China gibt es eine allgemeine neunjährige Schulpflicht. Sie betrifft die Grundschulen und Mittelschulen. Neben 160.000 regulären Grundschulen gibt es landesweit auch etwa 96.500 andere Lehranstalten wie die ländliche Schule von Jiao Shengding. Damit können alle Kinder in China, sogar die in den entlegensten ländlichen Gebieten, die Vorteile der Bildung beanspruchen.

Im Alter von 22 Jahren begann Jiao Shengding, in der kleinen Schule im Dorf Zhangji in seiner Heimat Ningming zu unterrichten. Baufällige Bungalows, alte Schultafeln, kaputte Tische und Stühle und fleckige Wände zählten zu seinen ersten Eindrücken, als Jiao vor 30 Jahren zum ersten Mal die Tür des Klassenzimmers durchschritt. „Es gab kein Wohnheim, kein Leitungswasser und keinen Strom. Das war ein schwieriger Anfang“, erinnerte sich Jiao.

Damals in den 1990er Jahren waren die lokalen Einwohner wegen der hoch aufragenden Berge und der felsigen Landschaft noch in extremer Armut gefangen. Aufgrund ihrer traditionellen Denkweise und der armen Verhältnisse schickten viele Eltern ihre Kinder nicht in die Schule. Um diese Situation zu ändern, ging Jiao Shengding entlang der schroffen Bergwege von Tür zu Tür und überredete die Eltern, ihren Kindern eine Schulbidung zu erlauben.

„Jedes Kind verdient eine Einschulung. Gut ausgebildete Kinder können ihre Familien aus der Armut befreien und ihr eigenes Schicksal verändern“, betonte Jiao.

Jetzt unterrichtet Jiao Shengding acht Schüler in einer Klasse, darunter zwei Schulanfänger und sechs Zweitklässler. Sie werden dann in höhere Klassen aufsteigen, wenn sie alt genug für einen Besuch in der Aidian-Grundschule sind, der einzigen regulären Grundschule in der Gemeinde.

Jiao Shengding lehrt täglich sechs Stunden, vier Stunden am Vormittag und zwei Stunden am Nachmittag. Er unterrichtet Chinesisch und Mathematik und kocht mit seiner Frau das Mittagessen für die Kinder in der Schule. Nach dem Unterricht hilft er den Schülern bei den Hausaufgaben.

Da er selbst ein Mitglied der Yao-Ethnie ist, bringt Jiao Shengding den Schülern oft ethnische Volksbräuche bei. Unter Anleitung von Jiao können die Kinder verschiedene traditionelle Kulturveranstaltungen der Yao kennen lernen, wie zum Beispiel die „Dujie“-Zeremonie, ein besonders Ritual für Yao-Jungen beim Erreichen ihres Mündigkeitsalters.

Als der einziger Lehrer ist Jiao Shengding nicht nur für die Bildung der Kinder zuständig, sondern kümmert sich auch um ihr Alltagsleben.

Zhao Xiaomei ist eine Schülerin von Jiao Shengding. Bei einem Unfall kam ihr Vater, der Ernährer der fünfköpfigen Familie, ums Leben. Seitdem litt die Familie von Zhao unter Armut. Nachdem sich Jiao Shengding bei einem Hausbesuch über diese Situation infomiert hatte, kaufte er auf eigenen Kosten dem Mädchen eine Krankenversicherung und Schulsachen. Zudem sorgte Jiao auch für Spenden, damit die Familie den Lebensunterhalt von Zhao Xiaomei bestreiten konnte.

Mit Unterstützung der Lokalregierung konnte Jiao Shengding mit einigen Dorfbewohnern im Jahr 2002 eine neue Schule auf halber Höhe des Gongmu-Berges bauen. In den vergangenen Jahren wurden die Straßen zwischen Schule und dörflichen Haushalten neu gepflastert. Auch moderne Lehreinrichtungen wie Audiogeräte, verschiebare Schultafeln und LED-Touchscreens wurden eingeführt.

Trotz Angeboten von mehreren besser gestellten Schulen in der Region wollte Jiao Shengding in der kleinen Schule im Dorf Zhangji bleiben und sich vor seiner Pensionierung noch so viel wie möglich für eine gute schulische Ausbildung der Kinder einsetzen.

Die Bemühungen von Jiao Shengding haben sich ausgezahlt. Während der vergangenen drei Jahrzehnte im Grenzdorf Zhangji hat er mehr als 400 Schüler unterrichtet. Viele von ihnen haben die Bergeregion verlassen und ihr eigenes Geschäft gestartet. Es gibt auch einige Schüler, die sich in Universitäten einschreiben konnten, darunter seine Tochter Jiao Lingxia.

Jiao Lingxia, Tochter von Jiao Shengding, beim Unterrichten

Jiao Lingxia, Tochter von Jiao Shengding, beim Unterrichten

Nach Abschluss ihres Hochschulstudiums im Jahr 2016 in der Stadt Baise in Guangxi kehrte Jiao Lingxia in ihre Heimat zurück und arbeitet seitdem als eine Chinesischlehrerin in der Aidian-Grundschule.

„Mein Vater hat mir ein Beispiel gegeben, dass die Bildung das Schicksal von Kindern verändern kann. Ich will seine Aufgabe weiter machen und mich dafür einsetzen, den Weg für die Kinder in ländlichen Regionen zu erhellen“, so die Tochter von Jiao Shengding.

Zur Startseite

Das könnte Sie auch interessieren