Stimmen aus Wuhan (Folge 5): Wer arbeitet eigentlich noch in Wuhan?

2020-02-10 09:36:18

Dramatische Berichte aus Wuhan und noch dramatischere Berichte über Wuhan malen ein Bild von einer abgeriegelten Stadt, in der alles still steht und alle zuhause oder im Krankenhaus sind. Wer arbeitet aber eigentlich noch in der zentralchinesischen Metropole? Krankenschwerstern und Ärzte, das ist bekannt. Man kann vermuten, dass auch Polizisten, Feuerwehrleute sowie andere Ordnungs- und Sicherheitskräfte ihren wichtigen Dienst verrichten. Und dem ist auch so.

Wir wissen auch, dass die Menschen sich zuhause nicht nur langweilen. Viele spielen, chatten. Die 23-jährige Master-Studentin Tang bearbeitet Studienaufgaben. Die 19 Jahre alte Jiang lernt fleißig Englisch – wir haben darüber berichtet. Der 30-jährige Selbständige, Zhang, führt sein Geschäft nun von Zuhause. Sein Büro besucht er nicht mehr. So verbreitet wie jetzt in Wuhan war das Homeoffice wahrscheinlich noch nie zuvor an irgendeinem Ort der Welt.

Die 22-jährige Bahnmitarbeiterin Pan kann aber nicht von daheim arbeiten. Sie erzählt uns von ihrer Arbeit in Zeiten des Corona-Virus:

Jeden Morgen messen wir unsere Körpertemperatur. Das ist unsere erste Aufgabe. Wir messen auch abends. Im Wohnheim teilen sich jeweils zwei Leute ein Zimmer. Es gibt nur eine Kantine. Meine Zimmernachbarin und ich ermutigen uns gegenseitig, nur so können wir die Krise überstehen. In Wuhan darf man nicht ohne Sondergenehmigung Auto fahren, weshalb ich mit dem elektrischen Fahrrad zur Arbeit fahre.

Am schrecklichsten war für mich der Tag der Abriegelung von Wuhan. Ich wollte damals eigentlich nach Hause zu meinen Eltern fahren. Ich musste dann aber in Wuhan bleiben. Die Bahnhofslobby, wo man die Tickets kauft, war überfüllt. Ich arbeite eigentlich als Dispatcher für die Bahn. An diesem Tag wurde ich aber gebeten, bei der Ticketrückgabe am Schalter zu helfen. Damals hatten wir überhaupt keine Schutzkleidung. Wir hatten Angst, mit Hunderten und Tausenden von Passagieren sprechen und ihre Ausweise berühren zu müssen. Nachher habe ich wiederholt meine Hände gewaschen. Heute ist meine Arbeit aber nicht mehr so gefährlich.

In unserem Planungsbüro sind derzeit nur zwei Mitarbeiter im Einsatz. Wir beschäftigen uns jetzt hauptsächlich mit der Aufarbeitung der Daten stillgelegter Züge. Befehle für Gütertransporte müssen wir auch weiterleiten – wir müssen das Be- und Entladen der Materialien sicherstellen. Es gibt derzeit einen 24-Stunden-Dienst mit anschließend fünf freien Tagen danach. Im Dienst haben wir außer der Pause von 23 Uhr abends bis 7 Uhr morgens und den Mahlzeiten immer etwas zu tun.

Die Arbeit ist im Vergleich zu früher viel leichter, da so viele Linien stillgelegt worden sind. Allerdings leiden wir unter großem psychischen Druck. Man wird sich mit der Zeit möglicherweise daran gewöhnen. Aber zurzeit sind wir alle sehr ängstlich. Es gibt immer mehr Infizierte in der Umgebung, die Angst ist im Vergleich zur Anfangszeit des Ausbruchs sogar noch größer. In meiner Familie gibt es weitere Bahn-Mitarbeiter, deshalb haben meine Eltern viel Verständnis, aber sie machen sich trotzdem Sorgen.

Am Arbeitsplatz vermeiden die Kollegen Kontakte untereinander, um mögliche Kreuzinfektionen zu verhindern. Uns steht derzeit als Schutz nur eine Atemmaske zur Verfügung. Und da diese Masken knapp sind, tragen wir jeweils eine den ganzen Tag lang. Ich hatte zuvor schon online Schutzbrillen und medizinischen Alkohol gekauft, aber keine Schutzmasken bekommen. Schwer erhältlich sind auch Schutzhandschuhe. Da jetzt die Paketdienste nach Hubei eingestellt sind, kann ich sie auch nicht mehr online kaufen.

Wir haben keine Lebensmittelhilfe bekommen, vielleicht bekommen diese nur Krankenhäuser. Im Büro essen wir Instant-Nudeln oder machen uns gefrorene Teigtaschen warm. Jeder isst allein in seinem Büro. Dadurch sollen Kreuzinfektionen vermieden werden.

Einer meiner Kollegen wurde positiv auf das Virus getestet. Jedoch wurden die Menschen, die engen Kontakt zu ihm hatten, nicht isoliert. Seine Lungeninfektion ist schon sehr ernst, aber er konnte nicht stationär behandelt werden. Der derzeitige Mangel an medizinischen Ressourcen ist ein großes Problem für Wuhan. Viele der Infizierten können nicht stationär behandelt werden und bleiben zu Hause in Selbstisolation. Es gibt in der Nähe unseres Bahnhofes ein 20-stöckiges Wohnhaus, in dem sich ungefähr 50 bis 60 Leute in Quarantäne befinden. Unser Bahnhof wird auch noch immer desinfiziert, obwohl sie schon am 23. Januar mit allen anderen Bahnhöfen geschlossen worden war.

Die Leute hier gehen möglichst wenig raus. Sie kaufen stets Lebensmittel für mindestens eine Woche ein. Das Warenangebot in den Supermärkten ist knapp. Die Regale sind schon halb leer, wenn man ein bisschen später ankommt.

In der Freizeit bleibe ich im Wohnheim und gehe nicht raus. Ab und zu treibe ich auch Sport, sehe mir Filme an und schlafe viel, mehr nicht. Jetzt haben Freunde Angst, sich gegenseitig zu besuchen. Selbst wenn sich Verwandte treffen, können sie nur aus der Ferne Hallo sagen. Sie können über Wechat kommunizieren. Videoanrufe sind sehr bequem.

Morgen kommt die nächste Folge.

Text: Nils Bergemann

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