Xinjiang: Der ewige Tänzer

2020-01-14 17:57:57

Ende 2019 habe ich an einem zweiwöchigen Gruppeninterview der China Media Grupp in dem chinesischen uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang teilgenommen. Als ich zurückkam, dachte ich oft, dass in Xinjiang zwar so viele verschiedene Völker leben, sich ihre Bilder jedoch zu einem gemeinsamen Konzept zusammenfügen – dem Xinjianger. Es muss eine gemeinsame Vitalität geben, die sie zusammenhält.

Ich fragte die Einheimischen, wie ihr tägliches Leben aussehe. Eine 34-jährige uigurische Frau namens Merhaba ist Krankenschwester in der Abteilung für Akupunktur des Krankenhauses für traditionelle chinesische Medizin im Kreis Qitai. In diesem Krankenhaus arbeiten Ärzte und Krankenschwestern der Nationalitäten Han, Uyghur, Usbek, Kasak und Hui zusammen. Merhaba sagte, sie und ihre Kollegen hätten oft zusammen gegessen, gesungen und getanzt.

Ich fragte: „Meinst du Karaoke und Disco?“

Merhaba machte eine Pause: „Also ... du kannst das gerne so verstehen.“

Als die lokalen Kollegen davon hörten, lachten sie und sagten: „Du kennst die Xinjianger gar nicht!“ Li Dian, ein Mitarbeiter vom Fernsehsender Xinjiang sagte: „Wenn wir auf einer Party glücklich sind, fangen wir direkt an, neben dem Esstisch zu singen und zu tanzen. Meine Freunde und ich bringen am Wochenende oft Gitarren und Dongbulas zum Barbecue in die Jurte. Jeder beeilt sich, sich zu zeigen.“

Li Dian wurde in einer Familie der Han-Nationalität im Bezirk Altai geboren. Die meisten Nachbarn gehören zur Kasak-Nationalität. Ihre Ernährung und Lebensweise sind bereits sehr ähnlich. In der Mittelschule tanzten Kinder verschiedener Nationalitäten während des Sportunterrichts gemeinsam den kasakischen Tanz „das schwarze Pferd“. Li Dian hat das Gefühl, dass der Tanz seine optimistische Einstellung und seinen geselligen Charakter herausgearbeitet hat. Er war der Meinung, dass die Lieder und Tänze der chinesischen Minderheiten im Vergleich zur der Han-Nationalität vergleichsweise direkter seien. Am Anfang des Tanzes sieht man bereits den Höhepunkt, der den glücklichsten Zustand völlig zeigt.

Tanz ist für die chinesischen Minderheiten ein kleiner Spiegel des Lebens. Kasaken haben eine tiefe Beziehung zu Pferden: „Reiten auf einem schwarzen Pferd“ kann die Männlichkeit des Jungen und die Zärtlichkeit des Mädchens betonen. Die Tadschik-Nationalität züchtet Falken. Der „Adlertanz“ zeigt die Freiheit der Vögel am Himmel. In der Tamburinshow haben die Leute in Hami, die bekannt für ihre Landwirtschaftstechnik sind, die Handlungen von Siebreis, Servieren von Tellern und Ernten von Trauben gezeigt. Um die scharfen Augen und Zähne von Wildtieren zu zeigen, verwenden die Tänzer im Wald Weizenstroh, um ihre Augen zu erweitern und es in ihre Nasenlöcher einzuführen.

Die Tänzer, die ich zuvor im Fernsehen gesehen habe, waren jung und schön, so gut wie Filmstars. Diesmal haben wir in Xinjiang viele Tänzer gesehen, die ungefähr 50 Jahre alt waren. Sie sahen wie normale Nachbarn aus, waren aber voller Vitalität und Selbstbewusstsein beim Tanzen. Sie waren total schön. Was mich am meisten überraschte, war Abdulrahman, ein 80-jähriger uigurischer Tänzer, der sehr beweglich und kräftig auf der Bühne war. Als ich seinen grinsenden zahnlosen Mund und seinen Spaß am Tanzen betrachtete, konnte ich meine Tränen nicht mehr unter Kontrolle halten. Ich frage mich oft, ob es einen Zeitplan für ein „perfektes Leben“ gibt? Muss man sich mit dem Älterwerden denn auch unbedingt verändern? Für Uiguren gilt: Solange sie sich noch bewegen können, werden sie bis ans Ende ihres Lebens tanzen.

Ein uigurisches Sprichwort lautet: „Man kann die Oase nur über die Gobi erreichen.“ In einem schwierigen und unbevölkerten Umfeld ist Musik der beste Begleiter und der beste Weg, um die Gefühle der Xinjianger auszudrücken. Der uigurische Junge Ayni hat früher viele Jahre in Beijing gelebt. Wir baten ihn, seine Liebesgeschichte in Beijing zu erzählen. Er sagte: „Ich würde gerne ein Lied für euch singen.“

Das war ein Lied in uigurischer und kasakischer Sprache. Wir konnten die Texte gar nicht verstehen. Interessanterweise haben wir trotzdem in dem Moment alles verstanden. Ayni sagte, dass das Lied „Das Mädchen mit schwarzen Augen“ hieß. Er erklärte ein Paar Abschnitte des Liedes:

„Ich sitze auf einem Grashügel. Eine Schafherde kam auf mich zu. Nur eines der Tiere ist schwarz.

Wenn Sie klug genug sind, verbringen Sie Ihr Leben mit Weinen und Lachen. Wer wird sonst noch auf dieser Welt bleiben?

Ich lasse mein Lieblingsakkordeon in dem Berg hinter mir zurück und nehme es nie wieder mit.“

Unter dem Eindruck jedes neuen Liedes und Tanzes habe ich die Menschen in Xinjiang Schritt für Schritt besser verstanden: Ihre herzlichen und ausdrucksstarken Aufführungen zeigen ihre Vitalität, verbinden Menschen verschiedener Nationalitäten miteinander und erzählen die gleiche Geschichte.


Text und Gesprochen von Wu Shiyun

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