Ängstliche Eltern autistischer Kinder: Wie sollen sie leben, wenn wir tot sind?

2020-01-06 09:00:00

Sieben Uhr morgens, es wird gerade hell. In einem kleinen Wohnhaus von etwa zehn Quadratmeter Größe im Dorf Fangezhuang im Beijinger Vorortbezirk Shunyi klingelt der Wecker. Der 19-jährige Han Yuhang steht auf und wäscht sich. Dann fährt er allein mit dem Fahrrad zur Arbeit in einer nicht weit entfernten Fabrik.

Nach dem Frühstück in der Kantine geht Yuhang in die Werkstatt. Er setzt sich an den Arbeitstisch. Mit einer Pinzette in der Hand sortiert er geschickt Zubehör-Teile. Sollte niemand mit ihm sprechen, würde er den ganzen Tag kein einziges Wort sagen.

Bei dem 19-Jährigen wurde in seinem dritten Lebensjahr Autismus diagnostiziert. Als typische Entwicklungsstörungskrankheit von Kindern gilt Autismus momentan noch als unheilbar.

Obwohl bei Yuhang nur eine leichte Form der Krankheit vorliegt und er im Grunde genommen für sich selbst sorgen kann, ist es trotzdem schwierig für ihn, völlig alleine zu leben und mit plötzlichen Problemen zurechtzukommen.

Nachdem er von der Arbeit nach Hause gekommen ist, stellt er fest, dass sein Vater Han Yubao nicht da ist und sein Anruf nicht beantwortet wurde. Yuhang wird ein wenig ungeduldig. In Han Yubaos Augen entspricht Yuhangs Abhängigkeit von seinen Eltern der eines Kindes unter zehn Jahren. Fast jeden Tag möchte er mit seiner Mutter und seinem Bruder per Videochat über seinen Alltag sprechen.

Statistiken zufolge leben derzeit in China über zehn Millionen Menschen mit Autismus bezogenen Krankheiten, darunter über zwei Millionen Kinder im Alter unter zwölf Jahren. Im Laufe der Zeit werden natürlich auch diese Kinder zu Erwachsenen und ihre Eltern werden auch immer älter. Die Angst der Eltern wächst mit der Zeit.

Schwierige Suche nach einem Job

Yuhang hat die neunjährige Pflichtschulbildung in einer normalen Schule abgeschlossen und danach eine Berufsfachschule besucht. Nach dem Abschluss suchte sein Vater Han Yubao vier Jahre lang einen Job für ihn, jedoch ohne Erfolg.

„Einen Job zu finden ist schwieriger als in eine Schule zu gehen“, sagt der Vater, „nirgendwo wird ein autistischer junger Mann gebraucht, selbst nicht für anstrengende körperliche Arbeiten.“

Glücklicherweise hat Han Anfang 2019 „Rong Ai Rong Le (Integration von Liebe und Freude)“, eine von Eltern autistischer Kinder gegründete Hilfsorganisation, gefunden. Nach Test und Ausbildung bekam Yuhang im April seinen ersten Job.

Noch mehr Herausforderung

Im Vergleich zu den leicht autistischen Menschen stehen die schwerer Betroffenen vor noch größeren Herausforderungen.

Am 7. Dezember 2019 fand ein besonderer Unterricht in einer Uni in Beijing statt. Auf dem Podium stehen einige Freiwillige und die Zuhörer sind autistische Menschen mit mäßigem bis schwerem Autismus. Es ging um das Einkaufen. Nach dem theoretischen Unterricht ging Zhang Chi unter der Begleitung eines Freiwilligen zum Supermarkt und wurde ermutigt, 30 Yuan für Lebensmittel auszugeben. Wo findet man Brot? Wo ist die Kasse? Wie bezahlt man? Der Freiwillige wiederholte die Hinweise. Zhang Chi schien aber nicht wirklich verstanden zu haben. Hinter ihm war seine Mutter, die bei der Kommunikation zwischen ihrem Sohn und dem Freiwilligen half.

An solchen Kursen nimmt Zhang Chi gemeinsam mit Dutzend anderen Autisten fast jede Woche teil. Dabei geht es zumeist um das Training für das Alltagsleben. Seine Mutter hat es aufgegeben, selbst mit Zhang Chi Lesen und Schreiben zu üben. Sie sagt, sie hoffte nur, dass ihr Sohn sich durch das wiederholte Training die grundlegenden Fähigkeiten fürs Alltagsleben aneignen werde.

„Wie soll er leben, wenn wir nicht mehr da sind?“ Das ist die Frage, die wohl alle Eltern autistischer Kinder langfristig bedrückt.

Was die meisten tun, ist, so viel wie möglich für ihre Kinder vorzubereiten und vorauszuplanen, für den Tag, an dem die Kinder allein leben müssen.

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