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Helfende Hände für Hutongs
   2008-06-18 16:52:09    Seite Drucken    cri
Beim Anblick der Arbeiter, die Möbel aus einem LKW ausladen und in ihr Haus hineintragen, lächelt die 60-jährige Yang Li zufrieden.

"Mein größter Wunsch ist in Erfüllung gegangen", sagt die Brillen tragende alte Dame, während sie ihren renovierten Bungalow betrachtet.

Der Hof Dongsi Sitiao Nr. 59 im Beijinger Bezirk Dongcheng, in dem Yang fast ein halbes Jahrhundert gelebt hat, wurde in der Qing-Dynastie errichtet.

Die letzte Renovierung des Hauses, an die sich Yang erinnern kann, fand im Jahr 1978 nach dem verheerenden Tangshan-Erdbeben statt, das 240.000 Menschen in Nordchina in den Tod riss und eine ganze Stadt nahe Beijing zerstörte.

Mit der Zeit wurden die Häuser zu schäbig, als dass man in ihnen wohnen konnte. "Wenn es draußen schüttete, regnete es herein," erinnert sie sich, "und wir mussten mitten in der Nacht die Hausverwaltung anrufen."

Die Nutzung von Wasser und Elektrizität warf ebenfalls Probleme auf. In Yangs Hof wohnten fünf Haushalte, von denen alle einen Stromzähler und einen Wasserzähler teilten. "Immer wenn die Strom- und Wasserrechnung kam, gab es Unstimmigkeiten, da es schwierig zu entscheiden war, wer wie viel verbraucht hatte," erzählt sie.

Dieselben Probleme hatte die 56-jährige Chen Yuying aus Fusuijing Nr. 56 im Bezirk Xicheng. "Der alte Name des Gebietes 100 Jahre zuvor passte gut zu unseren Lebensbedingungen: Bitterkalter Wasserbrunnen," scherzt sie.

Doch Chen ging nur ungern. "Im Vergleich zu Bungalows mag ich es nicht, in Wohnblocks zu wohnen, wo man mit den Nachbarn nichts zu tun hat," erzählt sie und ergänzt, dass in einem Hof alle Haushalte wie eine große Familie seien, abgesehen von ein paar kleinen Streitereien.

Der hochschnellende Hauspreis ist eine weitere Sorge. "Der Preis der Wohnungen in dieser Gegend beträgt ca. 20.000 Yuan (1900 Euro) pro Quadratmeter," sagt sie. "Wenn ich nicht so viel Geld hätte, müsste ich in einen Vorort ziehen."

Chen wurde über die Renovierung im letzten September von der Regierung informiert. "Man hat mir gesagt, die Regierung würde alles bezahlen - das konnte ich am Anfang kaum glauben."

Die pensionierte Buchhalterin zog mit ihren Eltern und ihrem Ehemann zu ihren Nachbarn, deren Haus später renoviert wird, während ihr 26-jähriger Sohn ein Haus mietete. Zweieinhalb Monate später zogen sie zurück und sahen mit Staunen das 80-Quadratmeter-Haus mit den Original-Ziegeln wiedererbaut, den Boden gepflastert, die Zähler getrennt und - auf ihren Wunsch hin - eine Toilette, so dass sie nicht mehr die dreckige öffentliche Toilette benutzen musste.

Im Jahr 2007 stellte die Beijinger Stadtregierung eine Billion Yuan zur Renovierung und Verschönerung alter Höfe in den Stadtbezirken Dongcheng, Xicheng, Chongwen und Xuanwu zur Verfügung. Die Arbeit an 1474 Höfen und 44 Gassen mit 9635 Haushalten sollten laut der Beijinger Kommission für Städteplanung bis Ende Juni fertig gestellt sein.

Für solche Häuser, die der Regierung gehören, müssen Bewohner nicht einen einzigen Cent für die Renovierung bezahlen, wogegen private Hausbesitzer einen kleinen Betrag in Höhe von rund hundert Yuan pro Quadratmeter zahlen müssen.

Keine traditionellen Häuser sollen mehr zerstört werden und die Errichtung neuer Gebäude soll streng kontrolliert werden, so Kong Fanzhi, Leiter der Beijinger Stadtverwaltung für Kulturerben.

"Beijing rühmt sich einer Geschichte von 3000 Jahren als Stadt und von mehr als 800 Jahren als Hauptstadt," so Kong emotional. "Die Stadt repräsentiert den Höhepunkt des Städtebaus im alten China, in dem Hutongs (Gassen) und Höfe die Elemente sind. Insofern sollte die Stadt als Ganzes erhalten werden."

Wie man Beijing als historische Stadt bewahren könnte oder ob es überhaupt notwendig ist, die Stadt zu schützen, ist von Beamten und Experten über 60 Jahre lang diskutiert worden, während pompöse Gebäude in dem 62,5-Quadratkilometer-Gebiet wie Pilze aus dem Boden schossen und graue Wohnhäuser in einem Renovierungswahn von Bulldozern platt gemacht wurden.

Laut einem Bericht der People's Daily vom Januar 2007 haben 500 Hutongs - von über 3000 in den 1980er Jahren - überlebt.

Lokalbeamte markierten 25 Gebiete in der Innenstadt im Jahr 2002, in denen traditionelle Häuser und Gassen geschützt werden, und weiteten diese Zahl später auf 33 Gebiete aus, eine Zahl die 29 Prozent der Innenstadt ausmacht.

Auch wenn Immobiliengesellschaften Häuser im Hofstil errichten, geht der Verkauf sehr langsam.

"Solche 'nachgemachten Kulturerben' sind zu kostspielig für lokale Bewohner", so Xu Pingfang, ein 77jähriger bekannter Archäologie-Professor und Leiter der Archäologischen Gesellschaft China. "Indem Beijinger vertrieben werden und deren Häuser von Neureichen gekauft werden, verliert Beijing seinen Stil."

Xu, der die Strategie, die Stadt als Ganze zu bewahren, als "großen Durchbruch" bezeichnet, ist optimistisch. "Glücklicherweise ist es noch nicht zu spät," so der enthusiastische Professor. "Derartiger Schutz durch 'Mikro-Recycling' sowohl von Häusern als auch von deren Bewohnern sollte auch anderswo in China verbreitet werden."

Xie Chensheng, ein 84 Jahre alter Professor für den Schutz von Kulturerben und Berater der Staatsverwaltung von Kulturerben, meint, die Maßnahme sei "praktikabel und vernünftig".

"Die Häuser sind alten Stils, während sich das Leben der Bewohner über Hunderte von Jahren drastisch geändert hat", sagt er. "Den Schutz der Kulturerben und die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen auszubalancieren ist ein anhaltendes Problem."

Für Cao Yuejin, Mitglied der Beijinger Kommission für Städteplanung, ist Schutz nur der erste Schritt.

"Wir ermutigen einige Bewohner der Innenstadt auszuziehen", sagt er und ergänzt, dass der Umzug optional sei. "Die Förderung beinhaltet Kompensation, Privilegien beim Häuserkauf zu niedrigen Preisen, etc", erklärt er.

Ein Bericht des China News Service besagt, dass die Bewohnerzahl in der Innenstadt rund 1,8 Mio. beträgt. Die Bevölkerungsdichte der Stadt hat sich auf das Drei- bis Fünffache der Bevölkerungsdichte in westlichen Großstädten wie London und New York vergrößert.

Doch das braucht Zeit. "Einrichtungen, insbesondere Bildungseinrichtungen und Krankenhäuser, in den Vorstädten sollten stärker entwickelt werden, um den Bewohnern dort ein besseres Leben zu garantieren," so Kong Fanzhi.

"Ich hoffe, dass Ausländer nicht nur die Verbotene Stadt besichtigen, sondern sich auch ein bisschen Zeit nehmen, in den alten Hutongs zu schlendern, so dass sie ein tieferes Verständnis für die tiefgründige chinesische Kultur bekommen."

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