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Edwin Moses (1)
   2008-06-02 16:35:41    Seite Drucken    cri

Erstaunlicherweise finden sich auf der Liste der erfolgreichsten Olympioniken aller Zeiten überproportional viele Turner, Schwimmer und Leichathleten. Daher werden wir in den kommenden Wochen immer wieder vom Pool auf die Bahn und zurück wechseln. Nachdem wir in der vergangenen Woche mit Matt Biondi im Schwimmbecken waren, geht es folgerichtig heute auf die Bahn, wo wir einen ganz Großen treffen werden, einen der fast ein Jahrzehnt seine Sportart dominierte. Edwin Moses war ein außergewöhnlicher Athlet, einer, an dem sich die Gegner lange die Zähne ausbissen, und dennoch taten sich die Zuschauer sehr schwer, ihn ins Herz zu schließen. Zu anders, zu individuell war sein Auftreten und seine Erscheinung, meist versteckte er sich hinter einer schwarzen Sonnenbrille.

Mit ihrer Wahrnehmung, dass Edwin Moses anders war, hatten die Zuschauer durchaus Recht. In der Grundschule baute der kleine Edwin Vulkane, ließ selbst gebastelte Raketen starten, sezierte Frösche und sammelte Fossilien, während seiner gesamten Schullaufbahn blieb er ein interessierter Schüler. Sport war da eher Nebensache, was vielleicht auch daher rührte, dass beide Elternteile ebenfalls Lehrer waren, Bildung war ein hohes Gute in der Familie Moses. Nachdem Moses in der Highschool von seinem Basketballcoach aus dem Team ausgeschlossen worden war und ihn auch der Footballcoach wegen Streitereien nicht mehr im Team haben wollte, wandte sich Moses der Leichtathletik zu, allerdings vergas er darüber nie seine akademischen Interessen. Es erklärte später einmal, Individualsportarten hätten ihm deutlich mehr Spaß gemacht, denn da sei alles klar umrissen gewesen, nicht sei von Launen abhängig gewesen. Es wäre einfach nur darum gegangen, wer als erster über die Ziellinie gegangen sei. Das sei wie bei den Gladiatoren, in den alten Tagen hätte auch nur einer die Arena wieder verlassen können, auch in der Leichtathletik sei das irgendwie so.

Seine akademischen Fähigkeiten und Ziele waren Moses auch bei der Auswahl seiner Universität wichtiger als der Sport. Er entschied sich daher, ein akademisches Stipendium des angesehenen "schwarzen" Morehouse Colleges in Atlanta anzunehmen. Er studierte dort Physik und Ingenieurwissenschaften, 1978 schloss er das Studium mit einem Bachelor ab. Parallel dazu verfolgte er seine sportliche Karriere aber weiter. Denn Morehouse hatte eine eigene Leichtathletik Mannschaft, allerdings gab es im College keine Bahn und kaum Trainingsmöglichkeiten. Moses trainierte also auf den Anlagen verschiedener Schulen in Atlanta. Zunächst lief Moses die 180 Yards Hürden und die 440 Yards. Moses war in dieser Zeit meist sein eigener Coach, aber vielleicht war gerade das sein Kapital. Denn die analytisch und ausgesprochen pragmatische Herangehensweise des jungen Physikers revolutionierte das Training. Moses war beispielsweise einer der ersten Athleten überhaupt, der herzfrequenzorientiert trainierte, er war eben auch im Sport anders, ein Intellektueller, ein Naturwissenschaftler, ein Analytiker. In sofern lag das Publikum mit seinem Eindruck nicht vollkommen daneben und dennoch hätte gerade Moses die Beigeisterung der Fans verdient gehabt. Denn wie sagte doch Leroy Walker, der Trainer des US-Teams 1976 einmal: "In einer Galerie fangen die Menschen auch nicht an, über van Gogh zu diskutieren. Außergewöhnliches Talent lässt sich doch einfach immer klar erkennen. Wir haben das extrem seltene Glück, hier einen Unsterblichen zu erleben. Edwin ist einfach eine Liga für sich."

Bis zum März 1976 hatte Moses nur ein Rennen über 400 Meter Hürden bestritten, aber als er diese Strecke aufnahm, begann er unheimlich schnell, riesen Fortschritte zu machen. Überraschend qualifizierte sich der vollkommen unbekannte Athlet über die 400 Meter Hürden für die Olympischen Spiele 1976 in Montreal. Heute sind sich die Experten darüber einig, dass er auch in anderen Disziplinen mit Sicherheit hätte gewinnen können, aber er konzentrierte sich auf die Hürden und trat bei Olympischen Spielen nie in einer anderen Disziplin an. Seine Technik war außergewöhnlich, er machte zwischen allen Hürden nur 13, manchmal auch nur 12 Schritte, anders als seine Konkurrenten, die meist 14 machten und außerdem das Schrittmuster in der zweiten Hälfte des Wettkampfes wechselten. Genau in diesem Moment zog Moses dann immer das Tempo an und meist auch davon.

Die Olympischen Spiele 1976 in Montreal waren sein erster internationaler Wettkampf über diese Distanz und er hinterließ sogleich einen bleibenden Eindruck. Der 20-jährige holte sich in neuem Weltrekord von 47,64 Sekunden die olympische Goldmedaille. Sein Laufstil war eine Mischung aus Schnelligkeit, Eleganz und Ausdauer, die die Experten faszinierte. Er verdankte dies aber nicht nur seinem Talent, sondern auch seinem Training. Unter den Athleten in Morehouse waren vier bis fünf Naturwissenschaftler, Ingenieure, Mediziner und Physiker. In einer Zeit ohne PCs, Internet und mit der Sportwissenschaft in den Kinderschuhen experimentierten und beobachteten die jungen Athleten selbst. Einer seiner besten Freunde, ein Ingenieurstudent, sei Ohio-Staatsmeister über 110 Meter Hürden gewesen, er habe ihm viel über das Hürdenlaufen beigebracht. Aber Moses ließ sich auch von den Künsten inspirieren, einer seiner Mitbewohner war Balletttänzer, durch diesen Einfluss erschloss sich Moses das künstlerische Element des Laufens. Er habe zwar eine große Schrittlänge gehabt und sei nicht allzu schwer gewesen, aber er sei eben auch nie der Kräftigsten und Größte gewesen und das habe er kompensieren müssen. Daher habe er den Einfluss seiner Ernährung auf seine Leistung genau beobachtet und erfasst, er habe das Stretching und das Krafttraining immer wieder verändert. Anders als damals üblich lief er als 400 Meter Hürden Spezialist nicht nur höchstens 300 Meter Strecken, er machte Geländeläufe und trainiert mit Langstreckenläufern der Weltspitze, um seine Grundkondition zu verbessern. Heute ist das fast jedem Hobbysportler als optimales Training vertraut, damals war das etwas revolutionär Neues.

Nach den Spielen 1976 reiste Moses nach Finnland und besuchte die damals unbekannte Firma Polar, die Herzfrequenzmessgeräte herstellte. Er bekam eines der ersten Geräte und sammelte fortan akribisch Daten, damals noch mit Stift und Papier versteht sich. Und Moses nutzte schon damals erholungsfördernde Techniken, er ging beispielsweise regelmäßig zur Physiotherapie.

All dieser Aufwand, den er mit akademischem Ergeiz betrieb, sollte sich lohnen, auch wenn Moses nach seinem Olympiasieg von Montreal von sich gab, er bedauere zutiefst, dass ein Notendurchschnitt am College aufgrund seiner Olympiavorbereitung auf 3,57 abgerutscht sei. Nebenbei sei erwähnt, dass 4,0 der beste Notenschnitt ist.

Für heute bleibt aber leider keine Zeit mehr, um zu verfolgen, wie weit es unser intellektueller Athlet gebracht hat. Aber in der kommenden Woche werde ich Ihnen das dann nicht vorenthalten. Ich werde Ihnen auch berichten, was Moses auf der Bobbahn wollte und warum der 26. August 1977 ein so bedeutender Tag in seinem Leben war.

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