Das große Erdbeben in Wenchuan in der südwestchinesischen Provinz Sichuan hat schwere Verluste verursacht. Im Moment der Trauer denken viele, die Menschenverluste und materiellen Schäden wären sicher deutlich geringer ausgefallen, wenn man das Beben vorher ahnen und entsprechende Vorbereitungsmaßnahmen hätte treffen können. In der Tat aber gehören Erdbebenvorhersagen bisher noch immer zu einem weltweit schwierigen Thema. Wie in vielen anderen Ländern der Welt konnten Erdbeben auch in China öfters nicht rechtzeitig und genau vorhergesagt werden. Ein erfolgreiches Beispiel gibt es in der Geschichte der internationalen Erdbebenvorhersage kaum.
Am 12. Mai ereignete sich im Kreis Wenchuan in der südwestchinesischen Provinz Sichuan ein großes Beben der Stärke acht auf der Richterskala. In über zehn chinesischen Provinzen und regierungsunmittelbaren Städten, darunter auch Beijing und Shanghai, sowie Vietnam und Thailand wurde das Beben ebenfalls gespürt.
Sun Shihong ist Chefvorhersager des Chinesischen Zentrums für Erdbebennetzwerke (China Earthquake Networks Center). Jahrzehnte lang hat er sich mit der Erdbebenvorhersage beschäftigt. Er sagt, dieses Erdbeben sei deshalb nicht vorhergesagt worden, weil es im Epizentrum und den umliegenden Regionen kein Vorbeben gegeben habe. Zudem seien die für Erdbeben typischen kurzfristigen und ungewöhnlichen Vorzeichen ebenfalls ausgeblieben.
"Um große Beben wie dieses vorherzusagen, müssen sowohl kurzfristige Vorhersagen als auch Vorhersagen über Bebenvorzeichen gemacht werden. Dafür muss man zwei Anhaltspunkte besitzen: Der erste ist das abnormale Verhalten der Tiere, der andere häufiges Beben in kleinem Ausmaß. Über das Beben in Wenchuan waren aber weder Vorbeben noch zahlreiche ungewöhnliche Tierverhalten zu beobachten. Daher konnten wir kurz vor dem Erdbeben keine Vorhersage geben."
In der Tat ist es nicht nur für China ein großes Problem, die drohende Katastrophe kurz vor dem Erdbeben effektiv vorauszusagen. Derzeit befindet sich die Erdbebenvoraussage in allen Ländern eigentlich noch in der Testphase. Wissenschaftliche Methoden, die für die Erdbebenvorhersage eingesetzt werden können, sind noch äußerst unzuverlässig. Das bisher einzige erfolgreich vorhergesagte Beben in der Aufzeichnung der UNESCO war das große Beben im chinesischen Haicheng im Jahr 1975. Angaben zufolge gab es vor dem Beben in Haicheng aber schon mehrere kleine Beben. Diese Tatsache erlaubte in gewissem Maße den Erfolg der Erdbebenvorhersage.
Doch worin liegt die Schwierigkeit bei der Vorhersage von Erdbeben? Chen Jianmin, Leiter des chinesischen Erdbebenamtes, erklärt unserem Journalisten, Erdbeben ereigneten sich meistens in der Erdkruste, etwa 15 Kilometer tief unter der Erdoberfläche. Dank der rasanten Entwicklung der modernen Wissenschaft kann die Menschheit heute zwar selbst Himmelskörper in einer Entfernung von mehreren zehn Milliarden Lichtjahren erkennen. Aber nichts, nicht einmal modernste Technologien und gewaltige finanzielle Anstrengungen, haben bisher geholfen, die Erdbebenquellen rechtzeitig ausfindig zu machen. Chen Jianmin:
"Erdbeben passieren ganz tief. Bei der Erdbebenvoraussage geht es um die Beobachtung der unterirdischen Situation. Die entsprechende technische Entwicklung der Menschheit ist leider derzeit noch äußerst langsam. China hat schon einen Tiefbrunnen gebohrt, um Erdbeben zu überwachen. Der erreicht aber auch nur eine Tiefe von fünf Kilometern."
In Anbetracht dieses Umstandes wurden weltweit digitale Beobachtungs- und Überwachungssysteme für Erdbeben errichtet. Dadurch gewinnen Wissenschaftler und Experten einschlägige Daten über die innere Situation des Erdballs. Auf dieser Basis geben Sie dann ihre Analysen und die entsprechende Vorhersage. Oder sie geben ihre Vorhersagen über Erdbeben auf Grundlage der langjährig gesammelten Daten und Bebenbeispiele, also eher auf Erfahrungen beruhend.
Der Wissenschaftler des Chinesischen Zentrums für Erdbebennetzwerke, Sun Shihong, sagt uns, die Unterschiede zwischen den geologischen Formationen verschiedener Regionen schränke in gewissem Maße die Ansammlung der Erdbebendaten ein und erschwere die Vorhersage.
"Ereignet sich in Ostchina ein Beben der Stärke fünf auf der Richterskala, dann ist dessen Ausdrucksform anders als ein Beben der gleichen Stärke in Westchina. Es gibt Unterschiede zwischen verschiedenen Regionen, aber auch Unterschiede in der Stärke."
Dennoch haben China und viele Länder nach langjährigen Bemühungen zahlreiche Bebenbeispiele und -materialien gesammelt. Bei der lang- und mittelfristigen Vorhersage wurden inzwischen Fortschritte erzielt. Gleichzeitig haben Wissenschaftler erkannt, dass es viel schwieriger ist als lange angenommen, Erdbeben kurzfristig und kurz zuvor vorauszusagen. Der US-Experte für Erdbeben, Thomas Heaton, gab auch zu, die Menschheit könne zwar eine Landkarte mit den Orten erstellen, wo innerhalb von Tausend Jahren Beben auftreten könnten. Die Angabe möglicher Erdbebenorte für die Zeitspanne einer Generation sei hingegen immer noch eine schwierige Sache.
Die Wissenschaftler geben jedoch ihr Ziel nie auf, Erdbeben kurzfristig erfolgreich vorauszusagen. Als eines der Länder mit den weltweit meisten Bebenkatastrophen hat China trotz großen Schwierigkeiten seine Forschungsbemühungen intensiviert. Angaben zufolge hat China bisher bereits mehr als 1.200 Erdbebenüberwachungsstationen und nahezu 10.000 Hobbyüberwachungsposten errichtet.
Der Chef des chinesischen Erdbebenamtes, Chen Jianmin, sagt, in seinem Amt forschten nun über 7.000 Wissenschaftler und Experten nach Techniken für die Erdbebenvorhersage, darunter zwölf Mitglieder der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. Er sei überzeugt, dass die Menschheit eines Tages Erdbeben relativ genau voraussagen könne. Der Weg zu diesem Ziel sei aber noch lang und hart.