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Ulrike Meyfarth (2)
   2008-05-12 18:08:08    Seite Drucken    cri

Das Attentat auf die israelische Mannschaft bei den Spielen von München 1972 hatte kurzzeitig die Welt auf den Kopf gestellt und dem neuen Star am deutschen Leichathletikhimmel eine Auszeit ohne Medienrummel um die eigene Person geboten. Aber das Leben verlief für die meisten bald wieder seinen gewohnten Gang, allerdings nicht für Ulrike Meyfarth. Die Medien stützten sich wieder auf sie, auf die jüngste Olympiasiegerin aller Zeiten in einem Einzelwettbewerb und überrollten sie vollkommen. Keiner hatte mit meinem Sieg gerechnet, ich selbst kam erst Jahre später dazu, richtig darüber nachzudenken. Vorher war ich eine stinknormale 16-jährige Schülerin gewesen, danach war nichts mehr normal. Ich war vor meinem Olympiasieg erst drei Jahre im Leistungssport und dachte nun, so würde es weitergehen, aber das konnte es ja eigentlich gar nicht. Es war mir einfach alles zu viel, jeder meiner Schritte wurde plötzlich beobachtet, ich war eine "öffentliche Person" und wollte das doch gar nicht sein, sagt Meyfarth. Es war mir peinlich, dass tonnenweise Fanpost bei uns im Briefkasten landete und etliche Heiratsanträge darunter waren. Mein Vater versuchte mich zu managen, in diesem Bereich ebenfalls unerfahren. Ich war begehrt, durfte mich aber nicht vermarkten lassen. Die Kamerateams gaben sich die Klinke in die Hand, um Ulrike im vollkommen normalen Zimmer einer 16-jährigen in Posen auf dem Bett zu filmen, das konnte eine Teenager-Seele, die mit sich, ihrem Körper und ihrer Position im Leben noch kämpfte, einfach nicht verpacken. Der Druck war kaum zu ertragen. Die Schule hatte erklärt, sie werde Ulrike helfen, aber entweder wusste sie nicht wie oder sie konnte nicht, Ulrike fühlte sich nicht unterstützt.

Dann kam der sportliche Einbruch, sie hatte eine Verletzung und fiel in ein tiefes Loch. Drei Jahre lang schaffte sie die Weltrekordmarke von 1,92 Meter nicht mehr. Und man gab ihr klar zu verstehen, dass es für eine Olympiasiegerin nicht akzeptabel ist, nur 1,80 Meter zu überspringen. In dieser Zeit habe sie gesagt, sie verfluche diesen Tag. Diesen Sieg, auf den sie nicht vorbereitet gewesen sei. Denn die Vorbereitung musst du dann nachholen, du musst bestätigen, dass du dieses Geschenk verdient hast, das kann natürlich nicht klappen. Es klappte nicht und schlimmer noch, auch ihre schulischen Leistungen ließen nach, 1975 macht Ulrike Meyfarth Abitur. Ihr Notendurchschnitt ist allerdings zu schlecht, um zum Sportstudium zugelassen zu werden, die Olympiasiegerin kriegt keinen Sportstudienplatz. Sie muss ein Jahr warten, dann darf sie endlich doch Sport studieren. Sportlich soll dieses Jahr der Tiefpunkt ihrer Karriere werden. 1974 und 1978 wird sie bei den Leichtathletik-Europameisterschaften nur siebte beziehungsweise fünfte, für die Olympischen Spiele 1976 in Montreal ist sie qualifiziert, sie scheidet allerdings im Vorkampf aus. Daraufhin lässt sie der Leichtathletikverband fallen, ihr wird die Sportförderung gestrichen, es ist ein schwarzes Jahr. In einem Interview mit der Zeit bringt die 21-jährige ihren Frust wortgewaltig zum Ausdruck, "sie kann mich ja eigentlich am Arsch lecken, die breite Öffentlichkeit", sagt Meyfarth und zieht ihre Konsequenzen. Sie wechselt den Verein und den Trainer und arbeitet von der öffentlichen Meinung unbeeindruckt sehr, sehr hart. Ihr Trainer Gerd Osenberg wird ihr ein väterlicher Freund, der sie so unterstützt, wie sie es längst gebraucht hätte. Er kann die Folgen des Überraschungserfolges mit ihr sportlich bewältigen, Meyfarth kämpft sich zurück. Er hat mir beigebracht, meine Fehler bei mir zu finden und sie nicht bei anderen zu suchen, sagt Meyfarth.

1980 kann Meyfarth nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen, Deutschland boykottiert wie viele andere Nationen die Spiele in Moskau wegen des russischen Einmarschs in Afghanistan.

1981 wird sie Europa- und Weltcupsiegerin, 1982 überspringt sie erstmals die zwei Meter Marke. Sie ist wieder da. Bei den Europameisterschaften in Athen verbessert Meyfarth den Weltrekord auf 2,02 Meter. Sie wird Europameisterin. Bei den erstmals veranstalteten Leichtathletik-Weltmeisterschaften, die ein Jahr später in Helsinki stattfinden, liefert sich Meyfarth ein packendes Duell mit der Russin Tama Bykowa. Am Ende siegt die Russin, Meyfarth wird Vizeweltmeisterin. In London treffen die beiden im August wieder aufeinander, beide Athletinnen überspringen 2,03 Meter und verbessern damit den Weltrekord. Nur vier Tage später schafft Bykowa einen weiteren Zentimeter, sie hält damit wieder den aktuellen Weltrekord. Dann stehen 1984 die Olympischen Spiele in Los Angeles an, Ulrike Meyfarth ist inzwischen 28 Jahre alt und wieder in der Weltspitze angekommen. Es wird ihr letzter großer Wettkampf sein. Einige Ostblockstaaten nehmen nicht an den Spielen in den USA teil, aber die Titelverteidigerin Sara Simeoni aus Italien ist dabei. Gegen sie kann sich Ulrike Meyfarth am Ende durchsetzen, sie überspringt dazu 2,02 Meter und bleibt damit nur einen Zentimeter unter ihrem Weltrekord. Sie schafft damit wieder eine Sensation, wieder sorgt sie für eine Überraschung. Sie ist die älteste und zugleich jüngste Hochspringerin, die eine olympische Goldmedaille gewinnen kann. Den Titel der jüngsten hält sie bis heute, den der ältesten hat sie 1996 an Stefka Kostadinowa abgeben müssen. Aber sie reiht sich in eine weitere sehr elitäre Liste ein, Ulrike Meyfarth wird damit zu einer von zwei Athletinnen, die im Abstand von zwölf Jahren olympisches Gold gewinnen können. Immer wieder ist sie danach gefragt worden, welcher Sieg ihr mehr bedeute. Sie hat sich immer wieder dagegen gewehrt, die beiden zu vergleichen. Das erste Gold war überraschend, das zweite hart erarbeitet, sagt sie. Das kann man nicht vergleichen. Das zweite hat die erste Goldmedaille von einer Eintagsfliege zu einer Gesamtleistung gemacht. Und dennoch blieb es eben immer so, dass München eine einmalige Sache gewesen sei, von der jeder Mensch träume. Aber sie hätte sich den Sieg im Nachhinein verdienen müssen. Das sei viel härter, als wenn man auf ein Ziel hinarbeiten dürfe, wie auf Los Angeles. Sportlich sei der zweite Sieg daher für sie der größere. Außerdem sei so eine Entwicklung gesünder, als wenn einem der Sieg quasi in den Schoß falle. In solch einem Fall wisse man nämlich gar nicht, ob man sich freuen dürfe.

Kurz nach dem Erfolg von L.A. beendet Meyfarth ihre Karriere. Seither arbeitet sie bei ihrem alten Verein Bayer 04 Leverkusen als Talentscout. Seit 1987 ist Meyfarth mit dem Kölner Anwalt Roland Nasse verheiratet. Mit seinen zwei Töchtern lebt das Paar in Odental im Bergischen Land. Und das Hochspringen ist für Meyfarth endgültig Vergangenheit, sie joggt heute nur noch und macht Gymnastik.

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