Die Großlieder, eine mehrstimmige Chor ohne Begleitung ist eine uralte Kunstform der Dong-Nationalität, einer der 55 nationalen Minderheiten Chinas. In den südlichen Provinzen Guizhou und Hunan ist die Dong-Nationalität zu Hause, die ihre musikalischen Traditionen pflegt. Bis zum Jahr 1958 hatte die Dong-Nationalität keine eigene Schrift. Anders als die Han-Chinesen, die die Schrift kennen und schätzen, hielt die Dong-Nationalität ihre Kultur nicht schriftlich, sondern in Liedern fest.
Geboren und aufgewachsen ist die 22jährige Wu Hui in einem kleinen Bergdorf im Kreis Liping, in der Provinz Guizhou. Als Wu Hui das schulpflichtige Alter erreichte, konnte ihre Familie aus finanzieller Not nur ein Kind zur Schule schicken. Wu Hui ließ ihre jüngere Schwester zur Schule gehen und blieb selbst zu Hause. Aufgrund ihrer guten Stimme wurde Wu Hui später ins Ensemble für Großlieder des Kreises Liping aufgenommen. 2005 nahm Wu Hui gemeinsam mit vier anderen Ensemblemitgliedern an einem Gesangswettbewerb der Provinz Guizhou teil. Wu Hui und ihre Ensemblekollegen wurden bei diesem Wettbewerb mit der Silbermedaille ausgezeichnet. Nach Abschluss des Wettbewerbs erhielten Wu Hui und andere Ensemblemitglieder von den lokalen Behörden der Provinz Guizhou die Gelegenheit, kostenlos an der Kunstakademie der Guizhouer Universität Gesang zu studieren. Das freute Wu Hui sehr:
"Es war für mich eine große Schicksalsänderung. Als ich die Immatrikulationsbescheinigung erhielt, rannten mir vor lauter Freude Tränen übers Gesicht."
Als Angehörige der Dong-Nationalität haben Wu Hui und ihre Kolleginnen nun damit begonnen, anhand ihrer Notenkenntnisse die Großlieder der Dong zu ordnen und niederzuschreiben. Dazu Wu Hui:
"Wir haben an der Uni Musiktheorie und Notenschreiben gelernt. Die Großlieder der Dong wurden früher ausschließlich mündlich überliefert. Hätte sich an dieser Situation nichts geändert, wären sie möglicherweise verloren gehen. Wir schreiben die Noten nun nieder und geben sie an die kommenden Generationen weiter, um die Großlieder vor dem Aussterben zu schützen."
Da die Dong-Nationalität früher keine eigene Schrift hatte, hielt sie ihre Kultur und Tradition in den Großliedern fest. Es ist für Wu Hui und ihre Kolleginnen aufschlußreich, daß viele Musiker heutzutage die traditionelle Musik mit verschiedenen Musikelementen gemischt interpretieren, um diese bei einem größeren Teil des Publikums beliebt zu machen. Ein ähnlicher Versuch mit den Großliedern sei wünschenswert, sagte Wu Hui. Wörtlich sagte sie:
"Der originelle Stil der Großlieder muß beibehalten werden. Aber das Publikum wird bestimmt nicht gut unterhalten, wenn auf einem Konzert ausschließlich die Großlieder gesungen werden. Die Zuhörer können unsere Sprache nicht verstehen und deshalb die Lieder nicht voneinander unterscheiden. Wir hoffen auf die musikalische Anleitung von Experten, damit die Großlieder einerseits ihre eigenen Besonderheiten beibehalten und andererseits weiter entwickelt werden können."
Die Großlieder haben Wu Hui nicht nur den Hochschulbesuch ermöglicht, sondern ihr auch die Gelegenheit geschaffen, landes- und sogar weltweit aufzutreten. Wu Hui und ihre Kolleginnen gingen mit dem Gesang- und Tanzensemble der Provinz auf Tournee in verschiedene Landesteile und wurden zu Gastspielen in Rußland, der Ukraine und den Niederlanden eingeladen. Mit jeder Aufführung wird bei Wu Hui der Wunsch größer, die Großlieder bekannter zu machen:
"Die Großlieder bleiben der Außenwelt unbekannt, wenn wir sie nur in der Heimat und in der Provinz singen. Es wäre schön, wenn wir sie einem größeren Kreis bekannt machen könnten. Wir wollen deshalb eine Großlieder-Gesangsgruppe gründen, um die Großlieder landes- und weltweit vorzustellen. Wir wollen in die Heimat zurückgehen und noch mehr von den Liedmeistern lernen."
Die Dong betrachten Lieder als wertvolles Gut und Wissen. Wer eine große Anzahl von Liedern beherrscht, erhält den Titel "Liedermeister". Die Liedermeister sind die Gelehrten der Dong und genießen unter ihnen hohes Ansehen. Der Kreis Liping, aus dem Wu Hui stammt, ist der Kreis, in dem die meisten Angehörigen der Dong-Nationalität leben. Dort leben 350.000 Angehörige der Dong-Nationalität. Unter ihnen gibt es viele Liedermeister, so dass die Großlieder hier am besten erhalten geblieben sind.
Wu Hui ist die erste Studentin und der Star ihres Heimatdorfes. Ihr Erfolg hat dazu geführt, daß die Großlieder in ihrer Heimat wieder hoch geschätzt werden. Dazu Wu Hui:
"Als ich nach Hause zurückkam, besuchten mich die Dorfbewohner alle sehr gern. Selbst kleine Mädchen, die gerade Mal laufen konnten, lernten Singen. Auch ältere Leute singen gern."
Die Provinz Guizhou hat durch eine Reihe von Veranstaltungen talentierten jungen Leuten wie Wu Hui den Hochschulbesuch ermöglicht und die traditionellen Volkskünste international bekannt gemacht. Inzwischen lernen immer mehr Leute die Großlieder der Dong kennen, wodurch immer mehr Touristen zur Besichtigung in ihrer Heimat kommen, sagte Wu Hui. Sie fuhr fort:
"Der Staat mißt der Kultur der nationalen Minderheiten immer größere Aufmerksamkeit bei. Deshalb ist es aussichtsvoll, die Kultur unserer Nationalität zu pflegen und weiter zu entwickeln."
