Als erstes haben wir Baiyunguan, den Tempel der Weißen Wolken, besucht. Der Tempel der Weißen Wolken wurde vor 1.200 Jahren gegründet und ist einer der ältesten Tempel der Stadt und der einzige größere und bedeutende Tempel des Daoismus. Heute hat die chinesische Daoistische Vereinigung ihren Sitz in diesem Tempel.
Abseits der Touristenpfade liegt der Tempel mit seiner langen Geschichte. Das bunte Eingangstor lässt nicht ahnen, dass sich ein großer Tempel dahinter befindet. Es sind jedoch sechs große Gebäude, in denen das Leben pulsiert. Es scheint ein ruhiges Leben zu sein. Die daoistischen Mönche gehen ruhig und gelassen ihre Wege, tragen gelegentlich Thermoskannen von einem Ort zum anderen, um heißes Wasser für ihren Tee zu haben. Einige telefonieren mit ihren mobilen Telefonen oder lesen aus kleinen Büchern Texte leise vor sich hin murmelnd. Ab und zu schlagen sie dabei einen Gong. Besucher dürfen sie jederzeit stören und etwas fragen. Immer antworten sie freundlich und zuvorkommend.
Besucher sind nicht viele im Tempel an diesem sonnigen Vorfrühlingstag.
Aber alle sind beschäftigt. Einige werfen Münzen auf eine der Glocken unter der Brücke direkt am Eingang, andere beten und wieder andere zünden Räucherstäbchen an. Alle machen einen friedlichen und gelassenen Eindruck. Die Stimmung färbt auch auf uns ab. Wir kaufen eine Stange Münzen und versuchen unser Glück. Christoph trifft dreimal, ich einmal - mit der allerletzten Münze. Nun hoffen wir, dass unsere Wünsche in Erfüllung gehen.
In einem der Innenhöfe treffen wir Eric, Jim und Corey, drei Studenten aus Virginia, USA. Die drei sind in China, um in Shanghai an einem Businesskurs teilzunehmen. Aber erst wollten sie ein wenig China kennenlernen. In Beijing haben sie bereits die Verbotene Stadt, die Mauer, den Lama-Tempel und den Himmelstempel besucht. Da sich alle drei für Architektur und Religion interessieren, sind sie auch auf den eher unbekannten Tempel der Weißen Wolke gestoßen.
Sie sind von der Größe der Tempelanlage überrascht und auch von den tatsächlich hier lebenden Mönchen. Sie sagen uns, dass ihnen die anderen Tempel eher wie Museen vorgekommen seien. Hier jedoch könnten sie an jeder Ecke einen Chinesen sehen, der ganz darin vertieft sei, seine Gebete mit Räucherstäbchen zu unterstützen.
So auch Guo Mingjie, ein Chinese, der mit seiner Gefährtin einmal im Jahr den Tempel besucht, um für ihre Liebe zu beten. Und für Glück und Gesundheit der ganzen Familie.
"Jeder, der hierher kommt, hat wahrscheinlich seine eigenen Gründe dafür. Zum Beispiel beten manche für Gesundheit, für bestimmte notwendige Dinge, für ihren Sohn oder ihre Tochter, je nachdem. Wir kommen einmal im Jahr in den Tempel, um für unsere Liebe zu beten."
Guo Mingjie berichtet uns auch, dass er nie während des Frühlingsfestes den Tempel besuche. Zu diesem Zeitpunkt sei viel zu viel Trubel im Tempel, zu viele Menschen würden dann den Tempel aufsuchen und er hätte dann nicht die notwendige Ruhe zum Beten. Er sei ja aus Beijing und könne jederzeit den Tempel besuchen, er brauche nicht bis zum Frühlingsfest zu warten.
"Während des Frühlingsfestes, dem chinesischen Neujahr, könnten wir hier wahrscheinlich gar nicht entlanglaufen. Vom ersten Tag des chinesischen Neujahrsfestes an kommen unzählige Menschen hierher, um für sich und ihre Familien, für ihre Eltern oder für ihre Bekannten zu beten."
In einem ein wenig abseits gelegenen Gebäude sind die Beschützer der 60 Jahre versammelt. Diese Zeitspanne von 60 Jahren halten die Daoisten für den Lebenszyklus eines Menschen. Die Zahl ergibt sich durch die Kombination der zwölf chinesischen Tierkreiszeichen mit den fünf grundlegenden Elementen Erde, Wasser, Feuer, Holz und Metall. Jedes Jahr wechselt das Tierkreiszeichen zum chinesischen Frühlingsfest. Alle zwölf Jahre wechselt das zugeordnete Feuerzeichen, wenn das Tierkreiszeichen wiederkehrt. Nach 60 Jahren ist dann der Zyklus einmal durchlaufen und beginnt von vorn.
Im hinteren Bereich der Tempelanlage gibt es eine Mauer, auf der alle Tierkreiszeichen als Relief vorhanden sind. Viele Besucher streicheln das ihnen zugehörende Zeichen oder bringen ihm Opfer dar. Auch dies soll Glück bringen.
Der Daoismus verehrt viele Heilige und Götter, für jeden ist etwas dabei. Drei Götter sind am wichtigsten für den Daoismus. Ihre Statuen stehen in der Halle der Dreifaltigkeit. Der höchste Gott ist die Himmlische Hoheit der Uranfänglichkeit. Als die Welt aus dem Chaos entstand, vermittelte er den anderen Göttern das Dao, das Gesetz des Universums.