4. April 2007
Warum stehen da nur überall kleine Hundehütten auf den Feldern? Und dazu noch hübsch verziert und gut in Farbe? Wir sind auf dem Weg nach Ma'anshan. Heute war die Abfahrt irgendwie für alle zu früh und so sehe auch ich nur aus dem Fenster und lasse die Landschaft auf mich wirken. Aber dann will ich es doch wissen und frage Dou Xiaowen. Sie hat so schnell keinen Blick mehr darauf werfen können, deshalb versuche ich, ihr die kleinen Hütten zu beschreiben. Anhand meiner Beschreibung meint sie auch, es müssen wahrscheinlich irgendwelche Hundehütten sein. Oh je, kurze Zeit später kommen wir an einem ganzen Acker voller "Hundehütten" vorbei und das Rätsel löst sich: Von wegen Hundehütten! Unter diesen kleinen Gebäuden ruhen die Verstorbenen. Die Familie hat über dem Leichnam zur Ehre des Toten eine Tafel aufgestellt. Diese Stelen habe ich in vielen Ahnentempeln bekannter Familien gesehen. Auch die Bauern ehren ihre Ahnen und stellen Gedenktafeln auf. Um diese und den Leichnam zu schützen, bauen sie ebenfalls ein Gebäude, nur etwas kleiner, da sie in der Regel nicht über viel Land verfügen. Lauter kleine Ahnentempel säumen unseren Weg!
Wir überqueren den Yangtze und kommen kurz danach an die Mautstelle der Autobahn. Direkt nach dem Bezahlen fährt unser Bus rechts ran. Weit und breit nichts, außer ein paar Autos und einem Polizeiwagen. Kein Parkplatz, keine Abfahrt. Die vordere Tür öffnet sich kurz und ein neuer Fahrgast springt in unseren Bus, offensichtlich für die Reiseleitung nicht unerwartet. Dann setzt sich die Kolonne in Bewegung. Ja, die Kolonne. Mit Blaulicht und allem. Die Autos standen nämlich nicht einfach so am Straßenrand, sondern bilden unsere Eskorte in die Stadt! Wir fahren ein wie die Großen! Ein Polizeiwagen mit Blaulicht macht die Spitze, dann ein Wagen von der Stadtverwaltung, dann unser Bus und als Abschluss noch ein Wagen von der Stadtverwaltung. Damit nicht genug, in der Stadt sind die Polizisten instruiert, uns Vorfahrt zu verschaffen. Und an unserem nächsten Ziel, der Gedenkstätte vom berühmten Dichter Li Bai. Muss unser Bus nicht etwa auf dem Parkplatz auf uns warten? Nein, er darf uns direkt zum Eingang bringen und dort auf uns warten.
Die Gedenkstätte für Li Bai, den bekanntesten Dichter der Tang Dynastie, liegt auf einem Berg, der als Insel im Yangtze liegt.
Kurze Unterbrechung: Es ist 22 Uhr und wir werden gerade alle aufgefordert, doch bitte unsere Pässe zu zeigen. Die beiden vor der Zimmertür würden solange klingeln und klopfen, bis ich aufmache. Wenn ich gar zu lange nicht aufmachte, würden sie mit dem Hauptschlüssel die Tür öffnen, um sicher zu sein, dass ich wirklich nicht da bin. Also habe ich ihnen geöffnet und meinen Pass gezeigt. Und bin ja auch schon wieder am Computer.
Also weiter mit Li Bai. Die Gedenkstätte liegt an Li Bais ehemaligen Arbeitsort. Genauer gesagt an seinem letzten Aufenthaltsort auf Erden. Über den großen Dichter heißt es, er habe am besten dichten können, wenn er betrunken war. Der Legende nach soll Li Bai eines Nachts auf einem kleinen Plateau in den hohen steilen Felsen gesessen und über den Fluss geblickt haben.
Von diesem Lieblingsplatz aus sah er das Spiegelbild des Mondes im Yangtze. Da er Angst bekam, der Mond könne ertrinken, hat er sich in den Fluss gestürzt, um den Mond zu retten. Leider ist er dabei selbst ertrunken. Andere sind der Auffassung, Li Bai habe mal wieder betrunken Gedichte geschrieben und gestrauchelt in den Fluss gefallen und ertrunken. Ich finde die Legende schöner....
Unser Programm gibt uns eineinhalb Stunden für ein volles Tagesprogramm, deshalb heißt es "Kuai, Kuai". Schnell, schnell aufs Boot, damit wir vom Yangtze aus einen Blick auf den Berg werfen können. Wir werden nicht enttäuscht, der Anblick ist herrlich. Und auch der Wettergott hat uns heute ins Herz geschlossen und perfektes Ausflugswetter geschickt.
Leider ist unser "Tagesprogramm" schon fast vorbei. Auf dem Weg nach draußen kommen wir an einer großen Glocke vorbei. Es juckt mich in den Fingern und ich lasse ihren dumpfen Klang drei Mal ertönen.
Beim anschließenden Mittagessen fühle ich mich ein wenig in die kleine Stadt in Chinas Nordosten versetzt, in der ich vor zwei Jahren als Englischlehrerin gearbeitet habe.
Die Läden sehen den dortigen zum Verwechseln ähnlich und auch das Restaurant weckt Erinnerungen. Schöne Erinnerungen, denn in der kleine Stadt Huan Ren habe ich Freunde gefunden und mich sehr wohl gefühlt. Überhaupt schließe ich dieses riesige Land immer mehr in mein Herz, je mehr ich davon sehe.
Nach einer kurzen Busfahrt kommt ein Schock für unsere Ohren. Wir besichtigen die Produktionshalle von Ma Steel, dem führenden Produzenten von Rädern für Eisenbahnen. Seit ihrer Gründung im Jahr 1958 hat sich die Produktpalette zwar bis hin zu Hightech-Blechern erweitert, aber die Räder sind immer der Verkaufsschlager. Und ganz besonders stolz ist Ma Steel darauf, in den 60er Jahren das erste Produktionsfließband in China in Betrieb genommen zu haben.
Da unsere Gruppe sich sehr an der Automobilproduktion interessiert gezeigt hat, wird schnell noch die Besichtigung eines anderen Werkes in unseren Tagesplan eingeschoben. Ein Wunder, ich hielt ihn vorher schon für eng... Aber wir schaffen es tatsächlich, einen Eindruck von der Produktion von Beton-Mischern der Marke Hualing Automobile CAMC zu erhalten und trotzdem zu unserem nächsten Termin pünktlich zu erscheinen!
Allerdings müssen wir ohne Umweg direkt vom Bus in den Sitzungssaal. Obwohl der in unserem Hotel ist.
Der Parteisekretär der Stadt Ma'anshan Ding Haizhong informiert uns über Geschichte, Pläne und bisherige Erfolge bei der Entwicklung einer harmonischen Stadt. Ganz besonders schön finde ich mal wieder eine kleine Anekdote (mir fällt auf, dass ich eine richtige Anekdoten-Tante bin). Es ist die Geschichte, wie die Stadt Ma'anshan ihren Namen erhielt.
Im Jahr 202 vor unserer Zeitrechnung wurde der König Xiang Wu geschlagen und zum Fluss Wujiang vertrieben. Aus Scham, diese Niederlage eingestehen zu müssen, bat er einen Fischer, sein schwarzes Pferd an das andere Flussufer zu bringen. Als dies geschehen war, nahm er sich mit seinem Schwert das Leben. Sein Pferd jedoch war seinem Herrn treu ergeben und wartete am anderen Ufer auf ihn. Als dieser jedoch nicht kam, stürtzte es sich in die Fluten und ertrank. Am Ufer hatte es seinen Sattel zurückgelassen und dieser verwandelte sich in einen sattelförmigen Berg. Ma heißt Pferd, An heißt Sattel und Shan heißt Berg, daher also Ma'anshan, Berg des Pferdesattels.
Als es Zeit ist, Fragen zu stellen, kommen Dou Xiaowen und ich fast nicht mehr an die Reihe. Das wäre schade gewesen, denn die Antwort von Herrn Ding Haizhong bringt Applaus. Und beim anschließenden Essen werden wir noch mehrfach darauf angesprochen, eine sehr gute Frage gestellt zu haben. Eigentlich wollte ich nur wissen, wie ich die harmonische Stadt für unsere deutschen Hörer in drei einfachen Sätzen am besten beschreiben kann. (Die Antwort gibt es demnächst bei Radio China International.)
Beim anschließende Essen vertiefen wir unsere Freundschaft durch gemeinsames Anstoßen, Trinkbesuche an den jeweils anderen Tischen, Lieder und viel Gelächter. Es wird wieder ein sehr schöner Abend. Diesmal habe ich den Trick raus und lasse mir meine Bierflaschen nicht wieder aus der Hand nehmen. So kann ich mit jedem Ganbei trinken, beim Einschenken bestimme nämlich heute ich, wann mein Glas voll ist! Es klappt hervorragend. Ich habe immer nur so viel im Glas, wie ich auch auf einmal trinken kann, mein Glas ist nach jedem Anstoßen leer, alle sind zufrieden. Allerdings bin ich trotzdem betrunken, denn es ist ja nicht allein die Menge bei einen Mal, sondern auch die Anzahl der Male.
Als Andenken habe ich eine kleine Tonfigur von Li Bai erhalten, die eine Schnapsflasche ist. Leer! Diese Figur sitzt neben meinem Computer und sieht mir beim Schreiben zu. Betrunkener Dichter betrachtet betrunkenen Schreiber könnte die Szene heißen.
Also, genug für heute. Mein Bett ruft.
Bis morgen
Antje aus Ma'anshan
|