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Seid klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben
   2006-12-07 15:14:20    cri
Harro von Senger ist Professor für Sinologie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau und Dozent für chinesisches Recht am Schweizer Institut für Rechtsvergleiche in Lausanne. Er promovierte 1969 in Jura an der Universität Zürich und 1981 in klassischer Sinologie nach langen Studienaufenthalten in Taiwan, der Volksrepublik China und Japan. Sein besonderes Interesse gilt den "36 Strategemen", einer alten chinesischen Abhandlung über Kriegslisten. Sein Werk "Strategeme" ist in mehreren Sprachen übersetzt und nun auch in Chinesisch.

Das Durchschauen und Anwenden von Listen wurde in China seit alters her hoch geschätzt und kultiviert. Als einzige Zivilisation der Welt hat China Menschen auf die Idee gebracht, unterschiedliche Überlistungstechniken zu benennen, zu nummerieren und in einem Traktat theoretisch zu durchleuchten sowie mit praktischen Beispielen zu veranschaulichen. Jahrhundertelang wurde das Traktat über die 36 Strategeme geheim gehalten. Von dem Traktat über die 36 Strategeme gilt es im Westen zu lernen. Harro von Senger definierte die 36 Strategeme so:

"Die 36 Strategme sind 36 Listformeln. Sie sind kurze prägnante sprachliche Ausdrücke für Listtechniken. Ein berühmter westlicher Linguist hat gesagt, die Grenzen unserer Sprache ist die Grenzen unserer Welt. Wir in Europa kennen keine solche Zusammenstellung von Strategemen. Deshalb haben wir auch nicht die Welt der Listen richtig in den Griff bekommen können. Ich glaube daher, daß durch die 36 sprachlichen Formeln zur Kennzeichnung von 36 verschiedenen Listtechniken Europäer in die Lage versetzt werden, einen recht umfassenden Zugriff auf die Ressource List zu bekommen."

"Strategem" ist das deutsche Fremdwort für Kriegslist oder allgemein für List. Da das Wort List in Deutschland einen negativen Beigeschmack hat, spricht Harro von Senger lieber von "Strategemen". Im Gegenteil zu ihren chinesischen Kollegen sind westlichen Managern die Strategeme weitgehend unbekannt. In der westlichen Managementliteratur spielt der Begriff der List kaum eine Rolle. Demgegenüber gibt es in China Dutzende von Strategem-Büchern für Manager und Unternehmensführer. Professor Harro von Senger sagte weiter:

"Es gibt ein sehr wichtiges Schriftzeichen im Chinesischen, und dieses Schriftzeichen wird ausgesprochen 'Zhi', das bedeutet in deutscher Übersetzung Weisheit, gleichzeitg aber eben auch Strategeme, also List. Mit anderen Worten, im chinesischen Kulurbereich wird die List zur Kategorie der Weisheit gezählt. Das ist im Westen eigentlich eher nicht so. Dort wird die List eher von der Weisheit losgetrennt. Weil die List ein Teil der Klugheit ist, wird die List zusammen mit der Klugheit auch gefördert. Indem man also Strategemewissen verbreitet, wird aus chinesischer Sicht die Klugheit optimiert."

Nach Professor Harro von Senger besteht der wichtigste Unterschied von Listkultur im Osten und Westen in der List-Wahrnehmung. Es ist nicht so, dass in Europa weniger oft List angewandt wird als in China. Aber Europäer kennen keine Listformeln, sie können die List irgendwie sprachlich nicht richtig erfassen. Und was in der Sprache fehlt, fehlt eben auch im Denken. Europäer können höchstens feststellen, dass irgendein Verhalten listig ist, aber sie stellen sich dann nicht die Frage, welche List angewandt wird.

Professor Harro von Senger zufolge ist sein Buch "Strategeme" für jeden Mann und jede Frau geschrieben. Er nannte folgende fünf Besonderheiten seines Buches:

"In meinem Buch 'Strategeme' Band eins und Band zwei habe ich die älteste Belegstelle jeder einzelner Strategemeformel erforscht und beschreibe das in meinem Buch.

Eine zweite Besonderheit besteht darin, dass ich in umfassender Weise chinesische Texte zusammengestellt habe, in denen diese Strategmeformeln verwendet werden. Also ich zeige, in was für Kontexten in China an solchen Strategemen gedacht werden, also das sind literalische Texte, Romantexte, das können aber auch ideologische Texte sein, außenpolitische Analysen, das können Wirtschaftstexte sein, Sporttexte. Also da habe ich versucht, einmal zu zeigen, in welcher Breite Chinesen jeweils an solchen Strategemeformeln denken.

Eine dritte Besonderheit ist die, dass ich auch versuche, möglichst umfassend westliche Beispeile dieser Strategemenanwendungen zu bringen bis hin zum neuen Textament.

Und noch eine vierte Besonderheit besteht darin, dass ich sehr viel über die Beziehungen zwischen Strategemen und Recht rede.

Und eine fünfte und letzte Besonderheit besteht darin, dass ich versuche, die Strategemekunde nach einem europäischen Maßstab zu verwissenschaftlichen. Zum Beispiel unterscheide ich fünf verschiedene große Kategorien von Strategemen, nämlich Täuschungstrategeme, Vorspiegelungstrategeme, Enthüllungstrategeme, Ausmünzungstrategeme und Fluchtstrategeme, das sind Eigenschöpfungen von mir."

Professor Harro von Senger kam während seines Studiums in Taiwan erstmals mit den 36 Strategemen in Berührung. Sein Chinesischlehrer hat einmal gesagt: "San Shi Liu Ji, Zou Wei Shang Ce", auf Deutsch, von den 36 Strategemen ist Wegrennen das Beste. Später hat er ein Buch über die 36 Strategeme gekauft. Während seines Studiums an der Peking-Universität wurden in chinesischen Zeitungen die "Viererbande" kritisiert. In den Artikeln, in denen diese Kritik geäußert wurde, kamen sehr oft einzelne der 36 Strategeme vor. Da hatte er gemerkt, dass die 36 Strategeme offenbar eine Rolle im heutigen chinesischen politischen Leben spielen. Und daher hat er ein großes Interesse an den 36 Strategemen entwickelt. Die heute gelehrte Sinologie des Harro von Senger hat von den jahrzehntelangen Strategemeforschungen viel profitiert:

"Es hat mein Leben sehr bereichert. Ich unterscheide drei Anwendungen der Strategeme. Erstens einmal Anwendung eines Strategemes mit dem Ziel, das Gegenüber zu überlisten. Das steht bei mir weniger im Vordergrund. Zweitens, Anwendung des Strategemewissens mit dem Ziel, nicht überlistet zu werden. Das finde ich sehr interessant. Das ist auch sehr nützlich, wenn man verhindern kann, dass man schädlicher List zum Opfer fällt, und dann noch eine dritte Anwendungsmöglichkeit, die Anwendung des Listwissens als Beobachter. Da glaube ich, dass es sehr nützlich ist, das chinesische Strategemewissen zu benutzen, zum besseren und tieferen Verständnis sehr vieler innen- und außenpolitischer Vorgänge."

Und er setzt sich dafür ein, das chinesische Strategemewissen im Westen zu verbreiten und es den Westlern als Werkzeug in die Hand zu legen. Denn er meinte, man solle Jesus Warnung nicht vergessen: "Sei klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben":

"Ich glaube, wenn man das Strategemewissen verbreitet und die Strategemesensibilität erhöht, dann erhöht man ja die Strategemekompetenz der Leute. Und meine Hoffnung geht dahin, dass die Fähigkeit der Menschen, schädliche Strategeme rechtzeitig zu durchschauen, eben erhöht wird. Und wenn man diese Fähigkeit erhöht, dann können ja listige Menschen eben weniger gut ihre schädlichen Listen durchführen."

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