Das Durchschreiten des hohen Steintores der alten Stadtmauer gleicht einem Schritt zurück in die Zeit. Traditionelle Ziegelhäuser sind mit Malereien und roten Laternen verziert, in kleinen Geschäften verrichten Kunsthandwerker ihre Arbeit. Auf den Kopfstein gepflasterten Straßen fahren Rikschas und Fahrräder. Es herrscht ein lebendiges Treiben. Wir sind in der Altstadt der nordchinesischen Stadt Pingyao. Hier setzen wir unsere Reiseserie "Magische Städte" in China fort.
Das lebendige Bild der nordchinesischen Stadt erinnert an das 14. Jahrhundert.
Der Name Pingyao wurde bereits in Dokumenten vor mehr als 2700 Jahren erwähnt. Doch die Altstadt, die sich Besuchern heute darbietet, entstand erst während der Ming- und Qing-Dynastie.
Eine sechs Kilometer lange und 12 Meter hohe Stadtmauer gliedert Pingyao in zwei Welten. Während außerhalb das neue Pingyao wächst, hat sich hinter den Mauern das alte Pingyao aus dem 14. Jahrhundert erhalten.
Aus der Vogelperspektive gleicht die Innenstadt von Pingyao der Gestalt einer Schildkröte. Zwei Brunnen am südlichen Stadttor symboliieren die Augen der Schildkröte und das nördliche Stadttor den Schwanz. Weil der Norden niedriger liegt als der Rest der Altstadt, fließen die Abwässer durch das nördliche Stadttor aus der Stadt hinaus. An der westlichen und östlichen Seite der Innenstadt befinden sich zwei kleinere Festungen, die als die vier Beine der Schildkröte gehalten werden können.
Die Menschen in Pingyao betrachten die Schildkröte als das Symbol für Langlebigkeit. Die Architekten verliehen dieser Stadt die Gestalt einer Schildkröte, um damit der Stadt eine ewige Existenz zu garantieren.
Pingyao hat tatsächlich zahlreiche Kriege und Katastrophen überlebt. Wer eine durchschnittliche Stadt wie vor Jahrhunderten sehen möchte, sollte nach Pingyao fahren. Hier wird die Geschichte des 14. Jahrhundert wieder lebendig.
Pingyao ist eine gut geplante Stadt. In der Innenstadt verlaufen 4 Hauptstraßen, 8 Straßen und 72 Gassen. Diese gliedern den Stadtkern in mehrere Zonen, die verschiedene Funktionen hatten.
Die dominierende Farbe der Stadt Pingyao ist grau, und doch ist die Stadt sehr farbenfroh und beeindruckend. Die meisten Wohnhäuser der Stadt wurden aus grauen Ziegeln errichtet. Heute sind mehr als 3700 alte Wohnhöfe in Pingyao erhalten, 400 davon sind in gutem Zustand. Ein Besuch in einigen dieser Wohnhöfe darf bei keiner Pingyao-Reise fehlen. Auch die Touristin Li Yu, die zum ersten Mal nach Pingyao reiste, wollte darauf nicht verzichten. Die Architektur der Wohnhöfe hat sie sehr beeindruckt:
"Diese Gebäude haben ihre architektonischen Merkmale über all die vielen Jahre nicht verloren. Sie erinnern mich daran, wie lebendig und in welcher Blüte diese Stadt vor einigen Jahrhunderten gewesen sein musste. Ich hatte beim Bummel durch die Straßen das Gefühl, in der Vergangenheit zu reisen."
Die Besitzer dieser Wohnhöfe waren mächtige Händler und Bankiers. Im 18. Jahrhundert blühte der Handel in der Provinz Shanxi, in der sich die Stadt Pingyao befindet. Hier wurde 1824 der erste Bankwechsel in China ausgestellt. Ein Händler war es leid, dass seine Verkäufer immer wieder von Räuberbanden überfallen wurden und ohne Erlöse ihrer Geschäfte heimkamen. Er erfand den bargeldlosen Handel. Von da an wurden mit Wechseln aus Pingyao bis in die entlegensten Ecken Chinas Geschäfte abgewickelt.
In der West-Straße in Pingyao steht das Gebäude von Rishengchang. Hier befand sich die erste Bank Chinas. Im 18. Jahrhundert war der Sitz der Bank bewacht wie eine Festung. Hohe Mauern umriegelten den Hof der Bank. Auf der Mauer befand sich Stacheldraht. Am Draht hingen Glöckchen, die klingelten, wenn jemand versuchte, über die Mauer in den Hof einzudringen. Jeden Tag wurde der Eingang des Hofes von bewaffneten Männern bewacht. Heute ist der Hof ein Museum. Hier treffen wir auf Hamasita Takesi, einen Forscher der Tokyoter Universtät. Er interessierte sich sehr für die Entwicklung des Bankwesens in China, die in der Rishengchang-Bank ihren Anfang nahm:
"Ich arbeite am Institut für Ostasiatische Kulturen an der Tokyoter Universität. Wir haben dort ein Kontenbuch von Rishengchang studiert. Dabei fanden wir heraus, dass die Rishengchang-Bank damals nicht nur Geschäfte in China, sondern auch in ganz Ostasien abwickelte."
Im Dezember 1997 wurde Pingyao von der UNESCO als Weltkulturerbe der Menschheit anerkannt. Die UNESCO-Experten bezeichneten die Stadt Pingyao als ein hervorragendes Beispiel für eine typisch chinesische Stadt der Ming- und Qing-Zeit.
Und nun haben wir noch einige praktische Reisetipps für Sie:
Der Eintritt in die Innenstadt von Pingyao kostet umgerechnet etwa 8,5 Euro. Busse verkehren zwischen der Ortschaft Pingyao und Taiyuan, der Provinzhauptstadt von Shanxi. Sie können zwischen 7 Uhr morgens bis 5 Uhr 30 nachmittags mit dem Bus von Taiyuan aus nach Pingyao fahren. In der Innenstadt können Sie mit einer Rikscha durch den Stadtkern fahren. Und die besten Reisesouvenirs aus Pingyao sind Lackwaren.
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