Die Miao-Nationalität, eine der 55 nationalen Minderheiten Chinas, lebt seit Generationen in der südwestchinesischen Provinz Guizhou. Die Miao-Frauen sind talentiert im Singen und Tanzen, doch ein besonderes Talent zeigen beim Sticken. Sie versehen ihre Festkleidung, aber auch ihre normale Alltagsbekleidung, ja sogar Artikel des täglichen Gebrauchs mit feinen und wunderschönen Stickereien. Die Mädchen lernen bereits ab dem 7. oder 8. Lebensjahr die Stickkunst, als 14 oder 15jährige beherrschen sie die grundlegenden Techniken der Stickerei. Normalerweise lernen die Mädchen die Sticktechnik innerhalb ihrer Familie. Zhang Chunying von der Miao-Nationalität erläuterte dazu:

"Wir ziehen schon seit jeher gern selbst bestickte Kleidung an. Anders als in Großstädten wird man auf dem Lande als Miao-Frau gering geschätzt, wenn man nicht sticken kann. Und niemand will diese Frau heiraten. Wer gut im Sticken ist, wird von allen respektiert. Deshalb sticken wir alle von klein auf gern."

Zhang Chunying ist 36 Jahre alt und stammt aus dem Südosten der Provinz Guizhou. Sie betriebt ein Geschäft für Miao-Stickereien in der Provinzhauptstadt Guiyang. Dort verkauft sie ihre eigenen Stickarbeiten sowie Produkte anderer Miao-Frauen. Stolz präsentiert Zhang Chunying ein selbst besticktes Festkleid der Miao. Das Oberkleid besteht aus schwarzem Baumwolltuch, einem Faltrock, Gamaschen und Schuhen. Alle Kleiderteile sind mit feinen rot oder grünfarbigen Stickereien versehen. Die Tracht gibt einen guten Kontrast zu den silbernen Schmuckstücken an Kopf, Hals und Armen. Alles zusammen ergibt ein herrliches Gesamtbild.

Zhang Chunying erzählt zu dem Kleid, das es in gemeinsamer Arbeit mit ihrer Schwester entstand. Zhang Chunying zufolge gibt es bei den Miao mehr als 30 Sticktechniken, einige davon sind sehr kompliziert, und nicht alle Frauen wagen sich an diese Techniken heran. Zhang Chunying jedoch beherrscht alle Stickmethoden und zeigt damit ihr großes Talent.

Nach den traditionellen Sitten und Bräuchen der Miao dürfen Frauen das Haus nicht verlassen. Deshalb besuchen sie keine Schule, stattdessen sind sie mit Arbeiten im Haus beschäftigt. Von dieser Regel ist Zhang Chunying die Ausnahme. Im Alter von 20 Jahren ging sie in die südchinesische Metropole Guangzhou und arbeitete dort in einer Kleiderfabrik. Dort sah sie zum ersten Mal Stickereimaschinen. Immer noch fand sie aber die Handstickereien viel schöner als die Maschinen-Produkte. In ihrer Freizeit widmete sie sich weiterhin der Handstickerei. Einmal hatte sie Gelegenheit, ihre Stickarbeiten in Beijing auszustellen. Diese Stickereien fanden bei den Besuchern großen Anklang. Dieser Erfolg war später Anlass für Zhang Chunying, ein spezielles Geschäft für Trachten ihrer Nationalität zu gründen. Das Geschäft warf recht bald Gewinn ab. Zu Zhang Chunyings Stammkunden gehörten auch einige in Beijing lebende Ausländer, die sich sehr für die schlichten und prachtvollen Stickarbeiten der Miao interessieren.

Zhang Chunying entdeckte in der Miao-Stickerei ihre große Geschäftschance.

Dabei erkannte sie, daß immer mehr Miao-Frauen anderen Interessen nachgingen und die Stickerei vernachlässigten. Sie befürchtete, dass die Miao-Stickereien aussterben würden. Deshalb gründete Zhang Chunying in ihrer Heimat eine Stickereifabrik mit zahlreichen Beschäftigten, die Stickereien per Hand anfertigten. In der Fabrik werden auch Stickerinnen ausgebildet, erzählt Zhang Chunying:

"Was ist denn der Grund, dass Stickereiprodukte immer teuer werden? Genau, es fehlt an Nachwuchskräften in diesem Bereich. Voraussetzungen für gute Stickarbeiten sind eine hohe Konzentration und innere Ruhe. Ich setze mich für die Ausbildung von jungen Stickerinnen ein, weil ich mich dazu verpflichtet fühle, die Stickereitradition meiner Nationalität fortzuführen."

In der Fabrik von Zhang Chunying werden sowohl moderne Stickereiprodukte als auch traditionelle Handstickarbeiten der Miao hergestellt. Für die Anfertigung einer traditionellen Miao-Tracht sind mehrere Arbeitsgänge erforderlich: Von der Baumwolltuch-Herstellung über die Färbung mit pflanzlichen Farbstoffen bis hin zum Besticken des Kleides. Jede Arbeiterin kann im Jahr nur ein bis zwei traditionelle Kleider anfertigen. Ein Miao-Kleid kostet ungefähr 5000 bis 6000 US-Dollar.

Zhang Chunying sammelt auch leidenschaftlich gern alte volkstümliche Stickarbeiten. Diese mit traditionellen Technologien angefertigten Stickereien sehen auch Jahrhunderte später noch farbenprächtig aus. Zhang Chunying weiß um die dringende Notwendigkeit der Pflege und Weiterentwicklung der Miao-Stickerei. Deshalb investiert sie ihr Geld statt in private Anschaffungen lieber in ihre Sammlung volkstümlicher Stickereien sowie in die Förderung der traditionellen Stickereikunst der Miao-Nationalität.