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Meng Jiangnü 
   2005-10-12 16:37:58    cri

In alten Zeiten herrschte in China ein grausamer Kaiser namens Qin Shi Huang, der eine große Mauer von zehntausend Meilen bauen ließ. Auf seinen Befehl wurden im ganzen Reich kräftige Männer zusammengefangen und als Fronknechte an die Grenze geschickt, wo sie, angetrieben von den Flüchen und Peitschenhieben der Aufseher, Erdwälle auftürmen und Ziegel schleppen mussten, bis ihnen schier die Knochen im Leibe brachen. Bei der unmenschlichen Behandlung, zermürbt und erschöpft von der harten Arbeit, von Hunger und Kälte gepeinigt, starben täglich Tausende dahin.

Unter den Unglücklichen, die zum Mauerbau geholt wurden, befand sich auch ein junger Mann namens Wan Xiliang. Seine Gattin, Meng Jiangnü, eine schöne, kluge und tugendsame junge Frau, bangte in tiefer Sorge um ihren Mann. Seitdem man Wan Xiliang von zu Hause weggeholt hatte, blieb jede Nachricht von ihm aus. Was mochte er wohl erdulden? Aus tiefster Seele hasste sie den grausamen Kaiser, der ihr den Mann entrissen und ihn den Qualen der Fronarbeit ausgeliefert hatte.

Der Frühling kam mit bunter Blumenpracht, die Knospen sprangen und die Fluren grünten. Und einsam wandelte sie den Feldrain entlang und sah, wie sich die Schwalben jubelnd in die Lüfte schwangen. Aus kummerschwerem Herzen drängte sich ein Lied auf ihre Lippen:

Die Pfirsichblüten leuchten

So lieblich im Geäst.

Die jungen Schwalben fliegen

Und suchen sich ein Nest.

Ach, Schwalben, liebe Schwalben,

Wie könnt ihr glücklich sein!

Seht, Meng jiangnü, die Arme,

Geht ihren Weg allein ...

Schnell ging die Zeit vorbei. Schon wurde es Herbst, aber Meng Jiangnü hatte noch immer keine Nachricht von Wan Xiliang erhalten. Wie die Leute erzählten, sollte die Große Mauer irgendwo im fernen Norden gebaut werden, wo es so kalt sei, dass einem die Hände abfrören, wenn man sie nur aus dem Ärmel streckte. Als Meng Jiangnü diese beängstigende Kunde vernahm, nähte sie, von neuer entsetzlicher Sorge gequält, in aller Eile ein warmes, mit Watte gefüttertes Gewand und ein Paar dicke Filzschuhe für ihren Mann. Niemand aber fand sich, der in jene unwirtliche Gegend reiste, und so entschloss sie sich, ihm die warmen Wintersachen selbst zu bringen.

Frost lag bereits über der Erde, als Meng Jiangnü aufbrach. Traurig schüttelten die Bäume ihre kahlen Äste. Durch öde Felder und einsame Fluren wanderte sie dahin, allein und unkundig des Weges, in die weite, unheimliche Ferne, - sie, die nie noch ihren Heimatort verlassen hatte. Niemand, der sie kannte, niemand, der von ihr wusste. Und zagend wandte sich die scheue junge Frau an fremde Menschen, fragte nach dem Weg und eilte weiter.

Einmal, als es schon tiefe Nacht geworden war und sie noch immer keinen Gasthof finden konnte, schlug sie in einem kleinen Tempel am Waldrand ihr Lager auf. Und kaum hatte sie ihr müdes Haupt auf den steinernen Opfertisch gebettet, fielen ihr auch schon die Augen zu. Da sah sie im Traum ihren Gatten. Zurückgekehrt war er! - Freudig trat sie auf ihn zu; doch nach ein paar Fragen schon brach sie in bittere Tränen aus: Sein Geist war's, nicht er; aus dem Reich der Toten war er zu ihr gekommen.

Verwirrt und bedrückt erwachte sie im hellen Morgenlicht; und in der tiefen Not ihres Herzens verfluchte und verwünschte sie den hassenswerten Zwingherrn, der unzähligen Frauen den Gatten, unzähligen Kindern den Vater geraubt und das Volk in trostloses Elend gestürzt hatte.

Und weiter zog sie, Tag für Tag. Eines Abends, als sie mit staubbedecktem Kleid und schweiß-überströmtem Antlitz in ein Rasthaus am Rande einer einsamen Gebirgsstraße trat, fragte mit besorgter Miene die Wirtin, ein freundliches altes Mütterchen, wohin sie denn wandere. Kaum hatte Meng Jiangnü das Ziel ihrer Reise genannt, rief die alte Frau ganz entsetzt: "Ach, zur Großen Mauer willst du! Das ist ja ein schrecklich weiter und gefährlicher Weg. Weißt du dann auch, wie viele Berge und Schluchten, wie viele reißende Ströme und Flüsse du da noch zu überqueren hast! Ach, Kindchen, wie kannst du nur so eine Reise wagen, als junge Frau und ganz allein, schwach und zart wie du bist!" Meng Jiangnü sagte ihr hierauf, dass man ihren Mann zum Frondienst an die Grenze verschleppt habe und sie ihm nun warme Winterkleider bringen müsse. Das alte Mütterchen war sehr gerührt. Um das Schicksal der jungen Frau besorgt und von trüben Ahnungen gequält, begleitete sie sie am nächsten Morgen, wehmutsvoll und bekümmert, noch ein gutes Stück Weges durch die einsamen Berge.

Und weiter zog Meng Jiangnü unverdrossen. Da kam sie eines Tages zu einer finsteren Schlucht. Grau war der Himmel, heulend fuhr der Wind die schroffen Felswände entlang und das dürre Gesträuch raschelte und raunte. Unheimlich tief unten, am Fuß des Berghangs, brauste gischend ein Wildbach vorbei. Eisigkalt war's. Die Abenddämmerung senkte sich herab. Bald konnte sie den Pfad nicht mehr erkennen. Und nirgendwo weit und breit war eine menschliche Behausung zu sehen! So bettete sie sich notgedrungen in einer grasbewachsenen Mulde zurecht. Den ganzen Tag hatte sie nichts gegessen; hungrig lag sie da, zitternd vor Kälte, und dachte an ihren Mann, der im fernen Norden in Schnee und Eis Frondienst leisten musste und noch viel ärgere Leiden auszustehen hatte als sie.

Als Meng Jiangnü am nächsten Morgen die Augen aufschlug - du lieber Himmel! -, schneeweiß war alles um sie her; die Felsen trugen Schneekappen, eine dicke, weiße Decke lag über Gras und Gestein und hatte auch sie zugedeckt. Wie sollte sie nun den Weg finden? Verzweifelt überlegte sie hin und her und wusste keinen Rat. Da kam plötzlich ein Rabe herbeigeflogen und ließ sich dicht neben ihr nieder. Krah! Krah! Er krächzte, flog auf, setzte sich alsdann ein Stückchen weiter wieder zur Erde und rief: Krah! krah! Vielleicht will er mir den Weg zeigen, dachte Meng Jiangnü, die Richtung mag wohl stimmen. Gleich erhob sie sich und folgte ihm; und wahrhaftig, von nun an flog der Rabe immer vor ihr her. Meng Jiangnü schöpfte frischen Mut, und während sie voranschritt, sang sie ein Lied:

Ich geh' durch dichten Flockenfall.

Der Weg zur Mauer liegt verschneit.

Ein guter Rabe fliegt voran. -

Bring' meinem Mann ein warmes Kleid.

Und weiter wanderte sie, bergauf, bergab, durchwatete Flüsse und Bäche, überquerte Ströme und Seen und gönnte sich keine Rast.

Wer weiß, wie lange sie schon gewandert war, als sie eines Tages mit bebendem Herzen die Große Mauer vor sich erblickte. In ein ödes Bergland war sie gekommen, kein Baum, kein Strauch wuchs hier, nur Büschel harten struppigen Grases stachen hie und da aus dem Schnee hervor. Und über die kahlen Kämme und Kuppen schlängelte sich wie eine gigantische steinerne Schlange die Große Mauer. Wie Herden von Lasttieren, getrieben von den Peitschenschlägen und dem rauen Geschrei der Aufseher, eilten keuchend und stöhnend Menschen hin und her und fütterten die Riesenschlange mit Erdbrocken und klobigen Quadern.

Meng jiangnü wanderte die Mauer entlang und erkundigt sich überall nach ihrem Mann. Tausende von Fronknechten hatte sie schon gefragt, und keiner konnte ihr Auskunft geben. - An Bildern des Grauens wandelte sie vorüber. Abgemagert bis auf die Knochen waren diese Menschen, eingesunken die Augen, gespenstisch bleich die hohlen, eingefallenen Backen; und auf Schritt und Tritt sah sie Sterbende, vor Erschöpfung Zusammengebrochene, Tote ... Wo war ihr Mann? Wo war er nur? Angstgequält, von einer entsetzlichen Unruhe gepackt, suchte sie weiter, fragte und fragte, bis sie endlich zu Menschen kam, die ihr Auskunft geben konnten: Ja, Wan Xiliang, den kannten sie; die Fron hatte ihn aufgerieben: Er war tot, eingesargt im Quaderbau der Großen Mauer ... Als ob man ihr das Herz aus dem Leib gerissen, sank die arme Frau schmerzbetäubt zu Boden. Fronknechte sprangen ihr zur Hilfe. Erst nach langer Zeit erwachte sie wieder aus tiefer Ohnmacht. Mit erneuter Gewalt brach der Schmerz über sie herein, wühlte ihre wunde Seele auf, und herzzerreißend weinte sie, unaufhörlich. Und mit ihr weinten die Fronknechte, die leidgewohnten, todgeweihten Männer. Tag und Nacht weinte sie, weinte so bitterlich, so jammervoll und erschütternd, dass Himmel und Erde, ja selbst die Steine gerührt wurden, dass die Quader aus den Fugen sprangen und die Mauer auf einer Strecke von vielen Hundert Meilen ins Wanken geriet und zusammen stürzte. Und ein Sturm brach los, Steine wurden durch die Luft geschleudert, und ringsumher wurde es finster ...

"Niedergebrochen ist die Mauer, erschüttert von Meng Jiangnüs herzzerreißendem Weinen!" schallte es die Große Mauer entlang. "Ein Wunder ist geschehen!" riefen alle und wussten sich vor Staunen nicht zu fassen.

Bald hatte auch Kaiser Qin Shi Huang Kunde vom Einsturz der Mauer erhalten, und eilends begab er sich zur Nordgrenze, um Meng Jiangnü mit eigenen Augen zu sehen. Wie verwundert war der Kaiser, als er eine bildschöne junge Frau zu Gesicht bekam, anmutig und zart wie ein Wesen aus dem Feenreich. Und da er Wohlgefallen an ihr fand, begehrte er von ihr, dass sie ihm zu Willen sei und seine Nebenfrau werde. Meng Jiangnü war der Kaiser in tiefster Seele verhasst; niemals würde sie sich ihm beugen. Und doch tat sie sich nun Gewalt an, als sie mit aller Macht die Flamme des Hasses in ihrem Herzen niederkämpfte und dem Kaiser, so freundlich sie es nur vermochte, zur Antwort gab: "Wenn Ihr mir drei Wünsche gewährt, will ich Euch folgen." "Sprich! Sprich!" rief der Kaiser. "Geschwind! Sag, was du von mir verlangst!" "So hört denn", sprach Meng Jiangnü: "Erstens müsst Ihr meinen verstorbenen Mann in einem goldenen Sarg mit silbernem Deckel aufbahren lassen; zweitens verlange ich, dass Eure Minister und Generäle und Euer gesamtes Gefolge Trauer anlegen; und drittens, dass Ihr, den Trauerstab in der Hand und gleichfalls in tiefste Trauer gekleidet, dem Leichenzug voranschreitet." Ungeduldig hatte ihr der Kaiser zugehört, und kaum dass sie zu Ende gesprochen, erklärte er sich auch schon einverstanden.

Und so geschah denn auch alles, wie sie es verlangt hatte: Kaiser Qin Shi Huang führte den Trauerzug, gefolgt von seinen Ministern, Generälen und anderen hohen Beamten des Reiches, aber heimlich frohlockte er.

Nachdem man den Leichnam bestattet und Meng Jiangnü ihrem Gatten das Totenopfer dargebracht hatte, warf sie sich schmerzerfüllt auf die Erde nieder und weinte bitterlich; und plötzlich sprang sie auf und stürzte sich kopfüber in den Fluss, der unweit des Grabes vorbeifloss. Dem Kaiser wich das Blut aus dem Antlitz; zornverzerrt starrte er ihr nach. Und als man nun ans Ufer eilte, um die Flüchtige zu ergreifen, da schlugen die Wellen über ihr zusammen und warfen sie wieder empor und drehten sie um und um: - und ehe man sich's versah, hatte sich Meng Jiangnü in ein silberweißes Fischchen verwandelt, das gar flink und geschmeidig in die Mitte des Flusses schwamm. Dort, wo seine Wasser in dunkler, grundloser Tiefe dahinströmten, wurde das Fischchen, das Meng Jiangnü gewesen war, zum letzten Mal gesehen.

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