Vor vielen Jahren lebte einmal ein armer Uigure draußen vor den Toren der großen Hauptstadt. Er hatte keinen Acker und kein Land, sondern nur drei verfallene Strohhütten. Um sein Leben zu fristen, verkaufte er Süßigkeiten.
Die Zeit rann dahin wie das Wasser im Fluss, ein Tag nach dem anderen, ein Monat nach dem anderen, ein Jahr nach dem anderen. Ein Sprichwort lautet: Vergangene Zeit, verflossenes Wasser. Und ohne dass man es weiter bemerkt hätte, war der arme Uigure schon achtzehn oder neunzehn Jahre alt geworden. Da dachte er bei sich: "Ich werde immer älter. Aber ich bin so arm, und die Zeit ist so elend. Es wird mir nicht leicht werden, eine Frau zu finden."
Doch es gibt Dinge, die geschehen, ohne dass der Mensch sie erwartet. Später, nachdem der arme Mann durch den Verkauf von Süßigkeiten zu etwas Geld gekommen war, konnte er tatsächlich eine Frau heiraten.
Die Frau des Armen war eine große Schönheit, so hübsch und so liebenswert. Man verglich sie mit dem Mond, aber sie hatte außerdem noch blitzende schwarze Augen; man verglich sie mit der Sonne, aber sie hatte außerdem noch einen lieblichen kleinen Mund. Alle meinten, wenn es auf der ganzen Welt nur zwei schöne Frauen gäbe, dann wäre sie eine von beiden; wenn es jedoch nur eine gäbe, dann wäre sie das.
Nachdem sie geheiratet hatten, verkaufte der Mann wie vordem den ganzen Tag lang seine Süßigkeiten. Ihr Leben war zwar weiter sehr kümmerlich, aber die Frau achtete nicht darauf, sondern sorgte liebevoll für ihren Mann. Alle Nachbarn in der Umgebung hatten die beiden sehr gern.
Unerwartet kam einmal ein Minister aus der Hauptstadt, um für den Kaiser einige Angelegenheiten zu erledigen. Als er auch in das Haus des armen Mannes kam, da sah er, dass dieser arme Mann eine wunderschöne Frau hatte. Der Minister sah ihre roten Lippen, und sie schienen ihm wie Edelsteine zu sein. Er hörte ihre Stimme, und sie schien ihm so süß wie Honig zu sein. Der Minister war von ihrer Schönheit so geblendet, dass er sofort in die Hauptstadt zurückkehrte und dem Kaiser berichtete:
"Eure Majestät! Ich habe mit meinen eigenen Augen die Frau eines armen Mannes gesehen. Ihre Schönheit ist unbeschreiblich. Ich glaube, nur Eure Majestät ist würdig, solch eine Schönheit zu besitzen. Welch ein Jammer, dass solch ein Stück fettes Hammelfleisch in den Mund eines Armen geraten ist."
Als der Kaiser das hörte, befahl er sofort seinen Soldaten, die Frau des armen Mannes zum Kaiserpalast zu bringen. Als er ihre übergroße Schönheit sah, versprach er ihr sogleich dieses und jenes und sagte ihr viele Schmeicheleien, aber die Frau des Armen machte immer nur ein betrübtes Gesicht und sagte kein einziges Wort.
Sie sah, dass der Bart des Kaisers wie eine stachelige Pflanze in der Wüste Gobi war, und dass er sein ganzes Gesicht und seinen ganzen Mund bedeckte. Die wenigen grauen Haare auf dem Kopf sahen noch hässlicher aus als eine Glatze. Und seine Augen erinnerten an zwei Löcher, die man mit den Füssen in den Boden getreten hatte. Seine beiden letzten Zähne im Mund wackelten schon sehr und konnten jeder Zeit ausfallen. Der Frau des armen Mannes wurde vor Ekel schlecht, als sie den Kaiser so sah.
Der Kaiser aber hatte Hintergedanken, er wollte sie necken und sich an ihr ergötzen. Frech und unverfroren grinste er:
"Haha! Jetzt bist du im Paradies. Warum freust du dich nicht? Oder hast du noch etwas anderes auf dem Herzen?"
Ihr Gesicht schien wie von schwarzen Wolken überschattet zu sein und zeigte nicht die leiseste Spur eines Lächelns. Ganz gleichgültig antwortete sie: "Ja!"
Da wusste sich der Kaiser keinen Rat mehr. Er sagte nur noch: "Also gut! Wenn dir etwas auf dem Herzen liegt, dann sollst du vorläufig für dich allein in einem Zimmer sein und dir alles überlegen. Die Kammerzofen sollen dich gut bedienen." Sogleich rief er einige Kammerzofen herbei, die die Frau in ein anderes Zimmer führten.
Da war sie nun in einem leeren Raum, dachte Tag und Nacht nur an ihren Mann und weinte bitterlich.
Der arme Mann wünschte sich nichts sehnlicher als seine Frau wiederzusehen. Eines Tages füllte er eine Platte mit den feinsten Süßigkeiten, ging zum Kaiserpalast und rief: "Süßigkeiten! Herrliche Süßigkeiten!"
Als die Frau die ihr so vertrauten Rufe hörte, hob sie lauschend den Kopf und sah zum Fenster hinaus. Da sah sie ihren Mann. Sie freute sich so sehr darüber, dass sie in lautes Gelächter ausbrach.
Die Kammerzofen, die sie bedienten, berichteten dem Kaiser sofort diesen Vorfall.
Eiligst befahl der Kaiser .seinen Soldaten, den armen Mann in den Palast zu bringen, und ließ den armen Mann seine Kleider ausziehen. Der Kaiser zog ebenfalls sein kaiserliches Gewand aus, setzte seine Kaiserkrone ab und tauschte mit dem armen Mann die Kleider. So war aus dem Kaiser ein armer Mann geworden, der Süßigkeiten verkaufte. Er rief: ,,Süßigkeiten! Herrliche Süßigkeiten!" und ging zu dem Zimmer, in dem die Frau des armen Mannes war.
Die Frau des armen Mannes durchschaute sofort den Trick. Die Not machte sie erfinderisch, und sie befahl:
"Wache! Wache! Tötet sofort diesen unverschämten elenden Kerl! Wer hat ihm erlaubt, sich heimlich in mein Zimmer zu schleichen!"
Der Kaiser sah, dass es schlecht um ihn stand, aber ehe er klären konnte, dass er der Kaiser war, da wurde er schon von den Soldaten getötet.
Nachdem die Frau des Armen im Palast ihren Mann gefunden hatte, machte sie ihn sofort zum Kaiser.
Anfangs hatte niemand von der ganzen Sache etwas gemerkt, doch nach und nach erfuhren alle die Tatsachen. Und weil der neue Kaiser ehrlich die Regierungsgeschäfte für seine Untertanen machte, waren alle glücklich und zufrieden.
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