Im Moment der höchsten Not erschien ein Ziegenbock am Brunnenrand. Der Wolf flehte ihn an: "Rette mich, mein guter Ziegenbock, sonst muss ich ertrinken!"

"Oh, ein Wolf! Nein, dich rette ich nicht! Wäre es ein anderer, würde ich ihn sicherlich aus dem Brunnen herausholen. Alle Wölfe sollten ertrinken, dann wären wir diese Plage los."

"Du kannst doch nicht alles über einen Leisten schlagen! Wie bei euch Ziegen gibt es unter uns sowohl gute als auch schlechte Wölfe. Schon auf den ersten Blick kann ich erkennen, dass du anders als andere Ziegen bist. Du bist die gütigste, freundlichste, verständnisvollste..."

Die Worte des Wolfes schmeichelten dem Ziegenbock ungemein, und er fiel dem Wolf ins Wort:

"Woher weißt du, dass ich anders als die anderen Ziegen bin?"

"Wer würde das nicht sehen?" antwortete der Wolf. "Zum Beispiel deine Hörner, sie sind so zierlich gebogen, dein Bart ist so dicht, ordentlich und außergewöhnlich schön...ach, und du hast Augen wie zwei Sterne, so leuchtend, tief, so ergreifend und so...Kurz, jeder der dich sieht, wird sagen: 'Das ist wahrlich ein schöner und gutherziger Ziegenbock!' Ich glaube, du wirst mich retten, denn ein gutherziger Ziegenbock wird nicht zusehen, wie ein Lebewesen ertrinkt."

"Wirst du mich fressen, wenn ich dich rette?"

"Wie ist es möglich! Ich habe dir gesagt, dass es schlechte und gute Wölfe gibt. Ich zum Beispiel habe noch nie eine Ziege gefressen. Wenn du mir nicht glaubst, dann frage meine Nachbarn! Sie wissen es alle. Wenn du mich rettest, wirst du mein Wohltäter sein, dem ich zu tiefstem Dank verpflichtet bin."

Der Ziegenbock war von den honigsüßen Worten des Wolfes berauscht. Er holte ein Seil, befestigte das eine Ende an seinem Hörn, warf das andere Ende in den Brunnen hinab und zog den Wolf aus dem Brunnen.

Aber kaum war der Wolf aus dem Brunnen, da flöß ihm auch schon das Wasser im Maule zusammen beim Anblick des fetten Ziegenbocks. Er stürzte sich auf den Ziegenbock und biss ihm die Kehle durch.