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Bräuche aus Yan'an: Gegen Trommeln anschreien
  2018-04-04 15:10:02  CRI

Die schmale Straße entlang des Abgrunds lässt nur ein gemächliches Tempo zu. Viele Fahrgäste schnallen sich vorsichtshalber an. Die Aussicht aus dem Busfenster ist fantastisch. Wir fahren einen Berg hinauf, um die Hüfttrommel (Yaogu) und Volkslieder aus Nord-Shaanxi (Shaanbei Min'ge) kennenzulernen.

Die letzten 500 Meter laufen wir zu Fuß, vorbei an neu gepflanzten Apfelbäumen – immer die erhabenen Berglandschaften im Blick, die aber durch die Selfies ein wenig trivialisiert werden. Wir sind in Ansai, einem Bezirk der Stadt Yan'an in der Provinz Shaanxi. Auf dem Plateau, auf dem die Aufführungen stattfinden sollen, werden uns zunächst diverse regionale Köstlichkeiten zum Probieren angeboten.

Am ersten Stand kocht eine Frau aus verschiedenen Gemüsen, Nudeln und Hülsenfrüchten eine Suppe, die mittelscharf gewürzt ist und lecker schmeckt. Ich lasse mich von den Gerüchen und dem Aussehen der Speisen auch noch dazu „überreden", Tintenfisch und ordentlich gewürztes Schweinfleisch am Spieß zu probieren. Den stinkenden Tofu, Choudoufu, den ich in Wuhan bereits gekostet hatte, gibt es hier auch. Ein ägyptischer Journalist aus Beijing lässt mich ein Stück kosten.

Die Show startet mit Gesangsdarbietungen, die mich alle meine Wünsche nach Ohrenstöpseln aufbrauchen lassen. Die in traditionelle Gewänder gehüllten Herrschaften veranstalten eine stimmliche Rallye die Tonleiter hinauf, was quietschig, schrill oder wie der letzte Schrei beim Fallen in eine Schlucht klingt. Zwei junge chinesische Teilnehmer aus meiner Reisegruppe halten sich die Ohren zu. Als ich später eine weitere Chinesin etwas fragen will, muss sie ihre Ohren erst von einem improvisierten Hörschutz befreien. Ja, hier „gibt es ordentlich was auf die Ohren", wie deutsche Radiomoderatoren gerne sagen.

Doch aus dem Gekreische entwickeln sich melodiöse balladenhafte Volksweisen oder sogar poppig klingende Lieder. Die Sängerinnen und Sänger können singen. Und vielleicht würde ohne den Kontrast schrill-schön dem Zuhörer sogar etwas fehlen. Interessant klingt es allemal. Nur kann man sich hinterher mit den Kollegen nur schwerlich über seine Eindrücke austauschen, weil die Ohren klingeln.

Okay, ich übertreibe vielleicht etwas. Chinesische Volkslieder schreiten wellenförmig voran, wobei es gelegentliche große Sprünge gibt. Die Sprünge werden auch aus praktischen Gründen eingebaut, zum Beispiel, wenn eine Stimme oder ein Instrument wegen seines begrenzten Tonumfangs die Melodie in einer höheren oder tieferen Oktave fortführt. Die Shaanbei-Volkslieder sind in ihrer Struktur relativ festgelegt, aber vom Rhythmus und der Melodie ausgesprochen lebendig, aber eben nicht immer harmonisch.

Während die Sänger Musikfreunde und Masochisten gleichermaßen gut unterhalten, sind die Teilnehmer des weiteren Programms schon bis vor die Bühne vorgerückt. Ich sehe eine Frau, die aus einem Pony herausragt, eine andere Frau ist als Schiff unterwegs. Da gibt es einen Mann mit weißem Rauschebart bis zum Gürtel und einen anderen, der als Clown geschminkt ist. Es gibt einheitlich rot und weiß gekleidete Gruppen.

Doch zu früh gefreut: Als attraktive Sängerinnen und starke Trommler gemeinsam auf der Bühne sind, wird wieder ein wenig gequietscht. Ich finde es trotzdem schön. Dann verlagern sich langsam die Darbietungen von der Bühne herunter zu den Zuschauern.

Irgendwann müssen die Ordnungskräfte die neugierigen Gäste bitten, etwas zurückzutreten, damit genug Raum für die Vorführungen bleibt. Der Höhepunkt der Darbietungen ist ein wildes Durcheinander von Sonnenschirm-Schwingern, Hüfttrommlern (dazu gleich mehr), Ponys, Schiffen, alten und jungen Tänzern in farbenprächtigen und prunkvollen Kostümen.

Sie wirbeln dabei im wahrsten Sinne des Wortes so viel Staub auf, dass ein paar Leute ihre Anti-Smog-Masken aufsetzen. Was wild aussieht, ist eine sehr gut choreografierte Aufführung, die man aufgrund der vielen unterschiedlichen Figuren und Handlungen auch als Tanztheater oder Trommel-(Schrei)Musical bezeichnen könnte.

Die Hüfttrommel, wegen der wir auch hier sind, lerne ich aus nächster Nähe kennen. Bei der Yaogu handelt es sich um eine meist zylindrische Röhrentrommel, die auf beiden Enden mit Fell bespannt ist. Sie ist ungefähr 35 Zentimeter lang. Mit zwei Metallringen wird sie am Gürtel befestigt und dann mit zwei Holzschlägeln zur Tanzbegleitung geschlagen.

Die Ausländer aus der Reisegruppe sollen einen Hüfttrommeltanz, den Ansai Yaoguwu lernen, glücklicherweise ohne Trommeln. Auch so ist das schwer genug und ich fotografiere dann doch lieber das Geschehen. Mist, ich muss mit dem ägyptischen Journalisten und meiner griechischen CRI-Kollegin auf die Bühne. Trotz der Vortänzer wirke ich wohl eher wie ein Tanzbär statt ein Trommeltänzer. So verstecke ich mich lieber hinter meinem Vortänzer. Immerhin bekomme ich das Schwingen der bunten Tücher ganz gut hin.

Der Ansai Yaoguwu steht übrigens auf der Liste des immateriellen Kulturerbes der Volksrepublik China und das ist auch gut so.

Text von Nils Bergmann, Fotos von Zheng An

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