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Selbstbestimmtes Sterben
  2017-02-20 14:59:40  cri

Chen Zuobing ist Arzt an der Uniklinik Zhejiang. Als erfahrener Mediziner hat er unzählige Diagnoseberichte gelesen, doch als er den seines Vaters in der Hand hielt, war er ratlos. Der 78-Jährige litt an einem bösartigen Tumor im Endstadium, mit Metastasen, die sich bereits im ganzen Körper ausgebreitet hatten. Der Tumor sei gegen eine Strahlentherapie unempfindlich und auch eine Heilung durch eine Operation sei nicht in Aussicht, lautete der ärztliche Befund.

Chen entschied sich dafür, seinem Vater die Wahrheit zu sagen. Dieser reagierte außergewöhnlich ruhig.

"'Geh zurück, ich überlege es mir', sagte er. Meine Mutter begleitete ihn ins Krankenzimmer. Beide haben die ganze Nacht lang darüber gesprochen, denke ich. Am nächsten Morgen ging ich zu ihm ins Zimmer. ‚Ich gehe heute mit deiner Mutter am Westsee spazieren', sagte er mir. Als er am Abend zurückkam, sagte er: ‚Wir gehen schon morgen nach Hause'".

Familie Chen wohnt im Dorf Shanghe, im Vorort der Stadt Zhuji in der Provinz Zhejiang. Chen ist seit Jahrzehnten der einzige im Dorf, der einen Doktortitel erlangt hat und praktizierender Arzt in der besten Provinzklinik ist. Es war für viele nicht zu verstehen, dass er seinen schwer erkrankten Vater zuhause auf den Tod warten ließ. Denn ein chinesisches Sprichwort sagt: "Ein schlechtes Leben ist besser als ein schöner Tod".

Chen Youqiang nahm keine Rücksicht auf die Meinungen seiner Mitmenschen. Er baute Gemüse an, ließ seine Frau seine Lieblingsgerichte kochen und lud Verwandte und Freunde zum Abschiedstreffen nach Hause ein.

Ein halbes Jahr verging, und im Frühjahr musste er sich dann wieder stationär behandeln lassen. Diesmal aber in der Kreisklinik, und die Behandlung zielte nur darauf ab, die Schmerz zu lindern. An einem Märzmorgen erfuhr Doktor Chen telefonisch von seiner Mutter, dass sein Vater ins Koma gefallen sei. Sie fragte ihn, ob er für oder gegen einen Luftröhrenschnitt und eine künstliche Beatmung sei. Nach kurzer Überlegung erwiderte Chen: „Störe ihn nicht, und lass ihn ruhig gehen." Drei Stunden später, als Chen in die Klinik eilte, war sein Vater schon tot.

Nach dem Tod seines Vaters veröffentlichte Chen Zuobing seine Arbeitsnotizen im Internet. Darin vertrat er die Ansicht, dass Chemo- und Strahlentherapien zwar das Leben seines Vaters hätte verlängern könnten, die Lebensqualität des Patienten sich dadurch aber verringert hätte. Chen respektierte die Entscheidung seines Vaters, denn er habe sich vor dem Tod sämtliche Träume erfüllen lassen und die Welt ohne Bedauern verlassen.

Chens Arbeitsnotizen riefen sofort eine heftige Debatte im Internet hervor. Dem Arzt wurde nach dem Tod seines Vaters Pietätlosigkeit vorgeworfen. Denn der Verzicht auf Behandlungen wird allgemein für eine Wahl wenn es keine Wahl mehr gibt, gehalten. Die Entscheidung des Mediziners war ein großer Schock für viele traditionell denkende Menschen.

Heutzutage entwickelt sich die lebenserhaltende Medizin atemberaubend schnell weiter. Selbst ein Hirntoter kann intensivmedizinisch am Leben gehalten werden - und das jahrelang. Übermäßig viele können so erst einmal „gerettet" werden. Das Phänomen sorgt in China für besonders kritische Zustände.

Chen Zuobing erläutert:

"Die Betten auf der Intensivstation sind sehr knapp und gewöhnlich für Schwerkranke gedacht, wie z.B. Opfer von Verkehrsunfällen, Patienten mit Herzschwäche, bzw. Patienten mit Herzstillstand. Heute liegen auf der Intensivstation aber viele, die sich in der Phase der „palliativen Fürsorge " befinden. Sie liegen drei, vier Jahre lang bewusstlos dort, bis sie sterben."

Das Problem liegt oft an der fehlenden Willensäußerung der Betroffenen am Lebensende. 2006 gründete die frühere Ärztin Luo Diandian gemeinsam mit Freunden die Webseite "Wahl und Respekt". Hier können Menschen schon jetzt den Verlauf ihrer letzten Lebensphase mitbestimmen, bevor sie ihren Willen nicht mehr wirksam erklären können. Es geht dabei um ein menschenwürdiges Sterben.

Dabei unterscheidet sich dieser respektvolle Tod dadurch von der aktiven Sterbehilfe, dass der Sterbende selbst lebensverlängernde Maßnahmen ablehnt und eines natürlichen Todes sterben möchte. Damit werden Behandlungen wie die Herz-Lungen-Wiederbelebung oder die oft fälschlicherweise als Luftröhrenschnitt bezeichnete Koniotomie, der Öffnung der Atemwege auf Höhe des Kehlkopfs, zu einem Tabu.

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