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Sinologie im Exil: Walter Liebenthal oder das Schicksal einer Wissenschaft
  2016-09-21 10:23:58  cri

 

 

 Professor Dr. Mechthild Leutner

Zahlreiche China-Wissenschaftler waren zur Zeit des Nationalsozialismus der Verfolgung ausgesetzt. Dies zeichnet sich an kaum einem Schicksal so deutlich ab, wie an jenem des international renommierten Sinologen Walter Liebenthal (1886-1982), der sich mit der Zuspitzung der Lage in Deutschland für ein Exil in China entschied. Nach Jahren der Forschung in diesem Bereich veröffentlichte Professor Mechthild Leutner vom Ostasiatischen Seminar der Freien Universität Berlin gemeinsam mit Roberto Liebenthal, dem Enkel des China-Wissenschaftlers, ihre Ergebnisse im Konfuzius-Institut Berlin. Im September 2016 wurde die Ausstellung an der Peking-Universität dem chinesischen Publikum zugänglich gemacht.

Im Jahr 1933 erlitt die deutsche Sinologie einen herben Rückschlag. Das Deutsche Reich erließ am 7. April das so nüchtern anmutende „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", das für das Schicksal unzähliger Akademiker und damit einer Reihe wissenschaftlicher Disziplinen verheerende oder gar fatale Folgen haben sollte. Nach Paragraph IV konnten all jene Beamte, „die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten" ihres Amtes enthoben werden. Damit sah sich die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ermächtigt, nach eigenem Ermessen wütend die Herrschaft über Bildungswesen und Forschung an sich zu reißen.

Die in Deutschland gerade erst Fuß fassende Wissenschaft der Sinologie traf es besonders hart, da sich eine Reihe herausragender Chinawissenschaftler zum Auswandern gezwungen sah. In aller Deutlichkeit zeichnet sich dies am Lebenslauf des berühmten Indologen und Sinologen Walter Liebenthal (1886 - 1982) ab, dem im Herbst 2015 im Konfuzius-Institut in Berlin eine Ausstellung mit dem Titel „Leben im Exil" gewidmet wurde. Initiatoren waren Professor Mechthild Leutner, Sinologin an der Freien Universität Berlin und Leiterin des dortigen Konfuzius-Instituts, und Roberto Liebenthal, der Enkel Walter Liebenthals, die sich mehrere Jahre lang mit der Erforschung dieses Themas beschäftigten. Nun wurde eine entsprechende Ausstellung an der Peking-Universität („Beida") dem chinesischen Publikum zugänglich gemacht. Professor Leutner erklärt:

„Außer der Übersetzung haben wir noch Material zusätzlich hinzugefügt und haben die genauen Übersetzungen der Werke auch noch einmal überprüft. Dazu hatten wir auch die Unterstützung von Spezialisten hier an der Peking Universität. Die Kollegen an der Beida haben uns dann geholfen, dass wir daraus auch eine gute chinesische Ausstellung machen konnten."

 Roberto Liebenthal

 

Wie sich im Laufe des Forschungsprojektes herausstellte, war der Einfluss des Nationalsozialismus auf die Sinologie wesentlich umfangreicher, als zunächst angenommen. Ob als Angestellte an Universitäten, Bibliotheken, Museen, Verlagen oder als junge Hochschulabsolventen – viele Sinologen sahen sich gezwungen, aus Deutschland oder Österreich auszuwandern. Walter Liebenthal hatte 1933 gerade an der Universität Breslau seine Dissertation abgeschlossen. Aufgrund der jüdischen Abstammung seines Vaters gelang es ihm jedoch nicht, eine Anstellung an einer deutschen Universität zu bekommen. Enkel Roberto Liebenthal erläutert:

„Durch die Gesetze Hitlers wurden Juden, Sozialisten und Kommunisten vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen. Walter Liebenthal erkannte früh die Zeichen der Zeit und entschied sich für die Emigration. Dieser Entschluss wirkte sich auch auf das Leben seiner Familie aus, so dass diese den Zweiten Weltkrieg überleben konnte. Die Familie wurde so vor der Internierung und dem Konzentrationslager bewahrt."

Während viele Universitätskollegen England und Amerika als Exil wählten, habe sich Liebenthal jedoch auf den Weg nach China begeben, so Enkel Roberto:

„Mein Großvater war ein Teil der verlorenen Generation deutscher Sinologen. Er lebte von 1933 bis 1952 in China – nahezu 30 Jahre lang. Während dieser Zeit betrieb er intensive Studien zum chinesischen Buddhismus unter äußerst schwierigen Bedingungen."

Im Jahr 1934 fand Walter Liebenthal eine Anstellung als wissenschaftlicher Assistent am Sino-Indischen Institut der Yanjing-Universität in Beijing. Wichtige Forschungsergebnisse gingen allerdings in den Wirren des japanischen Aggressionskriegs verloren, der 1937 in voller Wucht ausbrach. Im selben Jahr besetzten die Japaner Beijing und Liebenthal übernahm an der „Beida" eine Professur für Sanskrit und Deutsch. Um den Unruhen des Krieges auszuweichen, folgte er der Universität nach Changsha und Kunming. Trotz dieser schlechten Forschungsbedingungen erreichte Liebenthal in diesen Jahren viele akademische Durchbrüche. Zu diesen zählte etwa die Übersetzung von Tang Yongtongs Studie über die neue Interpretation des „Buchs der Wandlungen" und der „Gespräche" des Konfuzius durch den Philosophen Wang Bi aus dem dritten Jahrhundert nach Christus. Zudem veröffentlichte er seine Studie zu dem „Book of Chao", in der er seinen Standpunkt zum chinesischen Buddhismus darlegte. Auf der Grundlage seiner Recherchen war er zu der Auffassung gelangt, dass chinesische Schulen des Buddhismus sich in enger Anlehnung an den Daoismus entwickelt hätten. Die Kerninhalte enthielten daher keineswegs chinesische Versionen der indischen Religion, sondern entsprächen chinesischen Grundkonzeptionen.

Als sich die Lage für Ausländer in China zu Beginn der 1950er Jahre angesichts des Korea-Kriegs erneut zuspitzte, kehrte die Familie Liebenthal nach Deutschland zurück, um Angehörige aufzusuchen. Doch stieß der Sinologe dort unter seinen Kollegen auf ein geteiltes Echo und seine wissenschaftlichen Theorien zum chinesischen Buddhismus erhielten nur wenig Zustimmung. „Deutschland war Eis und Ausland Feuer – so weiß ich wo ich hingehöre", schrieb Walter Liebenthal in einem Brief. Dies bekräftigte ihn in seinem Vorhaben, in Indien seine Studien weiterzuführen.

Wie Walter Liebenthal entschieden sich auch zahlreiche weitere herausragende Sinologen nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die Wiederaufnahme von Forschungs- und Lehrtätigkeiten in Deutschland. So schadete der deutsche Nationalsozialismus der Entwicklung der Sinologie nachhaltig. Professor Mechthild Leutner zufolge konnte bis heute die wissenschaftliche Breite der Vorkriegszeit im Bereich der Chinawissenschaften nicht wieder hergestellt werden. Sie fasst zusammen:


Die Ausstellung

 

„Es hat dazu geführt, dass nach dem Krieg die Sinologie sehr eng war, zahlenmäßig ohnehin sehr eng, und dass es mit Ausnahmen von Wolfgang Franke eben alles Parteimitglieder waren, die dann die Professuren bekommen haben. Und das hat natürlich auch die Ausrichtung der Sinologie, dass die eben nur traditionell war, sehr lange bestimmt. Und die Breite dessen, was in Deutschland in Bezug auf Chinawissenschaften, Sinologie, existierte, dass diese Breite in manchen Teilen bis heute noch nicht wieder hergestellt ist."

Mit der Ausstellung in Beijing wird das Werk Walter Liebenthals und zahlreicher weiterer früher Sinologen ins Gedächtnis zurückgerufen. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung einer bisher viel zu wenig bedachten Epoche der sinologischen Forschung.

Die Ausstellung ist noch bis zum 25. September 2016 im Arthur M. Sackler Museum der Peking-Universität zu sehen.

Text und Bilder: Miriam Nicholls

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