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Kubin liest in Beijing: Preußischer Geist in chinesischem Körper
  2016-09-09 15:18:42  cri

 

 

 

Spricht man von Wolfgang Kubin, so häufen sich in der Regel die Attribute. Ganz einig ist man sich nicht: Zunächst ist die Rede vom Übersetzer, dann vom China-Kenner, Hochschulprofessor und Wissenschaftler; vom Germanisten, Sinologen, Japanologen und Philosophen. In Hinblick auf sein Werk als Schriftsteller fallen die Ausdrücke des „Melancholikers", des „lakonischen Genies" und des „dionysischen Essayisten".

Auf einer Lesung in der Österreichischen Botschaft in Beijing Ende August 2016 erschließt sich einer kleinen Gruppe von Zuhörern schon nach wenigen Minuten, dass jeder der Begriffe seine Berechtigung hat. Weder einzeln betrachtet, noch in ihrer Summe können sie Kubin jedoch gerecht werden. Deutlich wird, dass sich Professor „Gu Bin", so sein chinesischer Name, in keine Schublade stecken lässt – und dass die Bezeichnung des „Schriftstellers" eine stärkere Gewichtung verdient hat. Auf der diesjährigen Internationalen Buchmesse in Beijing stellte der österreichische Verlag Bacopa einige seiner literarischen Werke vor. Kubin weiß dies zu schätzen:

„Zunächst bin ich Österreich sehr dankbar, weil ich in den letzten Jahren, vielleicht in den letzten zehn Jahren, meine literarischen Werke nur in Österreich habe publizieren können. Ich habe insgesamt 18 literarische Werke auf dem Markt, die leider wenig gelesen werden. Für die meisten bin ich ein Übersetzer und die Übersetzungen verkaufen sich gut. Für die anderen bin ich ein Wissenschaftler und die Bücher verkaufen sich in der Regel auch recht gut. Es ist leider eine Unsitte in deutschsprachigen Landen, dass man als Wissenschaftler nur Wissenschaftler zu sein und als Übersetzer nur Übersetzer zu sein hat und nicht auch Schriftsteller sein darf. Wenn ich kein Schriftsteller wäre, wo käme mein vermeintlich gutes Deutsch für die Übersetzungen her?"

Dieser rhetorischen Frage ist nichts entgegenzusetzen. Wolfgang Kubin, geboren 1945 in Celle als Sohn einer Österreicherin und eines Deutschen, ist Emeritus der Universität Bonn und seit 2011 Seniorprofessor der Beijing Foreign Studies University. Für seine auf Chinesisch verfassten literarischen Werke wurde er bereits zweimal mit dotierten Preisen ausgezeichnet, zuletzt im Januar 2016 in Chengdu. Kubin ist durchdrungen von China. Und von einem trockenen Humor, der so schnell nicht seines Gleichen findet. Auf der Lesung untermalt er lebhaft die Trinität seines Daseins, wie er sie selbst versteht:

„Meine Seele ist ein Wiener. Mein Geist ist der eines Preußen und mein Körper ist der eines Chinesen."

Auf fließendem Chinesisch ergänzt er:

„我不是外国人,我是中国人" „Ich bin kein Ausländer, ich bin Chinese."

Diese Nähe zu China wird umso deutlicher, betrachtet man Kubins engen Austausch mit seinen chinesischen Schriftstellerkollegen. Es ist ein Geben und Nehmen, das für wechselseitige Inspiration sorgt – etwa durch Kubins renommierten Schriftstellerfreund Yang Lian:

„Ich hatte eine Lesetournee mit Yang Lian, der heute in Berlin lebt, früher in Peking, der von großem Erfolg in deutschsprachigen Ländern ist. Mit dem hatte ich zu seinem neuesten Gedichtband, den ich ins Deutsche übersetzt hatte, eine Lesetour gemacht. Und wir saßen dann meistens in der Eisenbahn und fuhren irgendwo hin. Er schaute dann immer in irgendetwas, in ein Manuskript, und lachte unentwegt. Dann sagte ich zu ihm: Weshalb lachst du die ganze Zeit? Ja, er würde sein Frühwerk redigieren und das sei so naiv. Und dann sage ich zu ihm, wenn das so naiv ist, weshalb redigierst du das denn dann? Schmeiß es doch weg! Nein, das geht nicht. Seine Leserschaft müsse einen Überblick haben über das gesamte Werk seiner Entwicklung vom zwanzigsten Lebensjahr bis heute zu etwa seinem sechzigsten Lebensjahr. Sonst würde man ihn nicht beurteilen können. Dann dachte ich, komisch. Ich hab' doch auch ein Frühwerk, das liegt im Keller (…)."

Auf einer Lesung in Wien wurde der Bacopa-Verleger Walter Fehlinger auf Kubin aufmerksam. Nach hartnäckiger Überzeugungsarbeit willigte Kubin schließlich ein, sein Frühwerk, das rund 40 Jahre in Form von Handschriften in seinem Keller in Bonn gelegen hatte, aufzuarbeiten und setzen zu lassen. Ergebnis waren vier Bände mit den Titeln „Der Mann im Zimmer", „Abgründige Erleuchtung", „Das Gleichgewicht der Unruhe" und „Die Konstruktion des Affen". Der Verleger schlug vor, dass die Texte sowohl auf Deutsch als auch auf Chinesisch veröffentlicht würden. Und tatsächlich verkauften sich die Übersetzungen in China sehr gut – zu Kubins Überraschung noch besser als die heutigen. Schließlich habe er in seinen frühen Jahren als Schriftsteller einen Stil bar jeglicher Verweise gepflegt. Die Texte seien nur so aus der Feder geflossen – ganz im Gegensatz zu den heutigen Werken, in denen jedem Vers eine Anspielung zugrunde liege und die er für großartig halte. Unverändert, damals wie heute, stünden im Zentrum seines Interesses allerdings die Ereignisse des Vergangenen:

„Ich lebe nur im vergangenen China. Ich lebe nur in der Vergangenheit, weil die Vergangenheit unendlich ist, aber die Gegenwart nicht. Die Gegenwart ist sehr kurz......In der Gegenwart sehne ich mich nach der Vergangenheit."

Während seiner Lesung nennt sich Kubin immer wieder einen „Reaktionär". Bei seiner Ankunft in Beijing im Jahr 1974, als die Große Proletarische Kulturrevolution noch im Gange war, habe er das „reaktionärste aller reaktionären Geschäfte" betrieben und die historischen Hinterlassenschaften der Hauptstadt besucht. Der alte und der neue Sommerpalast, einst Residenzen der mandschurischen Fremddynastie, hätten ihn magisch angezogen. Während der Rest des Landes sich im Dienste des Sozialismus der körperlichen Arbeit hingab, habe er die alten Ruinen und antiken Wandelgänge besichtigt. Entsprechend äußert sich die Faszination für die chinesische Vergangenheit, für das Antike und Klassische, auf vielfältige Weise, mitunter auch in Kubins Kontakten zu der chinesischen Literatenwelt. So sitzt am Abend der Lesung der große Dichter Wang Jiaxin in der ersten Reihe. Immer wieder wendet Kubin das Wort an ihn und es entsteht ein Dialog. Auf Chinesisch erläutert Kubin:

„Gegenwärtig beeinflusst mich das Werk von Wang Jiaxin sehr stark. Er ist im übertragenen Sinne ein Dichter der Song-Dynastie: Mit den einfachsten Worten vermittelt er die tiefgründigsten Inhalte. Wang Jiaxin ist ein ‚Dichter des Lebens', worüber ich mir viele Gedanken mache. Ich selbst war ursprünglich keineswegs ein Dichter des Lebens. Jetzt überlege ich, ob ich mich diesem Konzept nähern kann."

In einer Bemerkung am Rande bezeichnet Kubin Wang Jiaxin humorvoll als sein „großes Unglück". Die Erläuterung: Bei der Übersetzung der Gedichte des jüngeren Schriftstellerfreundes hätten ihn viele Leser bezichtigt, er veröffentliche seine eigenen Gedichte unter Wangs Namen. Kubin weist diesen Vorwurf zurück: Wenn er übersetze, so wolle er etwas durch und durch Stimmiges schaffen. Er werde ausschließlich so übersetzen, als fabriziere er deutsche Literatur.

Wie bei so vielen Aussagen, die Kubin wie beiläufig in einem Nebensatz einwirft, muss auch diese Bemerkung gründlich reflektiert werden. Es gilt, gleichsam zwischen den Zeilen zu „hören". Ob Früh- oder Spätwerk, dionysisch oder lakonisch – der Schriftsteller, der Essayist und der Dichter Kubin regt zum Denken an. Sein von der chinesischen Vergangenheit geprägtes literarisches Werk ist damit ein Segen und eine Inspiration für Gegenwart und Zukunft. Und so mag manch ein Zuhörer am Ende des Abends sich selbst fragen: Habe ich China jemals verstanden?

 

Interview und Beitrag von  Miriam Nicholls und Wang Yaqi
Gesprochen von  Miriam Nicholls  

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