Ein Leben ohne die Kommunikationsapp WeChat ist für viele Chinesen mittlerweile wohl undenkbar. Statistiken zufolge hat die App über 570 Millionen aktive Nutzer. Vom siebenjährigen Grundschüler bis zum 80-jährigen Rentner, alle nutzen das Chatprogramm. Mit „Wei Xin", so die chinesische Bezeichnung der App, kann man chatten, Produkte bestellen, Kinokarten kaufen und jetzt auch: Sportlich wetteifern! Und zwar vergleicht man mit Freunden, wie viele Schritte man Tag für Tag zurückgelegt hat. Eigentlich eine gute Sache, Ärzte warnen jedoch auch vor überambitionierten Fitnessplänen, denn es ist bereits zu einigen Tragödien gekommen.

In der ostchinesischen Stadt Suzhou hat vor kurzer Zeit eine schlimme Nachricht Schlagzeilen gemacht. Der 65-jährigen Frau Yang musste wegen übermäßiger Sportaktivität ein Fuß amputiert werden. Die Diabetikerin war zu viel gelaufen und hatte Blasen an den Füßen bekommen. Die kleinen Wunden hat sie nicht ernst genommen – ein Fehler. Wenige Zeit später musste sie im Rollstuhl ins Krankenhaus gebracht werden, da sie wegen der Geschwüre am Fuß gar nicht mehr laufen konnte. Ihr Stationsarzt Wang Fei:

„Eigentlich sollen sich Diabetiker viel bewegen. In Ausnahmefällen dürfen sie aber keinen Sport treiben, wie zum Beispiel wenn sie sogenannte diabetische Füße haben. Frau Yang leidet seit Jahren am diabetischen Fußsyndrom. Ihre Empfindlichkeit am Fuß hat nachgelassen. Zudem ist das Immunsystem von Diabetikern relativ schwach. Die Infektion ließ sich daher kaum kontrollieren. Am Ende war der gesamte Fuß unterhalb des Knöchels vereitert."

Aber warum ist Frau Yang trotz der Wunden am Fuß täglich so viel gelaufen? War ihr der eigene Gesundheitszustand nicht bewusst? Einen großen Anteil an ihrem blinden Fitesseifer hatte wohl eine Funktion der WeChat-App mit dem Namen „Wei Xin Yun Dong", auf Deutsch „WeChat Sport". Smartphones und andere Trackinggeräte erlauben den Nutzern nicht nur, ihre Schrittzahl aufzuzeichnen. Mit der App können sie die Daten auch bequem auf Social-Media-Seiten veröffentlichen und in Echtzeit Ranglisten unter Freunden, Kollegen und Angehörigen erstellen. Der Vergleich der täglichen Leistungen untereinander kann anscheinend süchtig machen, wie der Fall von Frau Yang auf tragische Art und Weise beweist.

Auf den chinesischen Social-Media-Seiten hat sich mittlerweile ein vermeintlicher „Standard" etabliert, wonach man am Tag mindestens 10000 Schritte zurücklegen müsse, um fit zu bleiben. Ein Erwachsener nimmt demnach täglich durchschnittlich 3000 Kilokalorien auf, verbrennt jedoch nur 2700 Kilokalorien – sofern er sich nicht zusätzlich bewegt. Die überschüssigen Kilokalorien müsse man also durch die besagten 10000 Schritte kompensieren, sonst lebe man ungesund und werde zunehmen.

Und in der Tat, vielen Nutzern hilft die App, einen gesünderen Lebensalltag zu führen. Die 68-jährige Rentnerin Xue ist von dem Fitnessranking bei WeChat begeistert. Täglich 10000 Schritte sind auch ihr Ziel. Der Wettbewerbscharakter von „WeChat Sport" habe sich positiv auf ihre Gesundheit ausgewirkt, erzählt sie:

„Ich bin fast jeden Tag an der Spitze der Liste in meinem WeChat-Freundeskreis. Darüber freue ich mich sehr. Ich fühle mich viel besser. Ich bin seither nicht mehr so kurzatmig. In den Beinen habe ich auch mehr Kraft und der Appetit ist ebenfalls besser geworden. Und auch meine Magenblähungen sind zurückgegangen."

Es gibt also sowohl Positiv- als auch Negativbeispiele, wie die neue Fitnessapp genutzt wird. Manch einer trainiert vor lauter Eifer viel zu viel, was der Gesundheit nur schadet. Die Tragödie von Frau Yang dürfe sich keinesfalls wiederholen, da sind sich die Internetuser in China einig. Dazu noch einmal Chefarzt Wang Fei vom Suzhouer Volkskrankenhaus:

„Manche Nutzer sollten besser bei nur eintausend Schritten pro Tag anfangen. Mit regelmäßigem Training verbessern sich allmählich Konstitution und Kondition. Dann kann man das tägliche Ziel schrittweise erhöhen. 10000 Schritte sind ein Durchschnittswert, der nicht für jeden Menschen geeignet."

Insbesondere drei Menschengruppen sollten mit dem Laufen vorsichtig sein, warnt der Mediziner. Diabetiker, Menschen mit Herz- und Kreislauferkrankungen sowie Patienten mit Gelenkbeschwerden. Sinnvolles Fitnesstraining erfordere eine an den jeweiligen Gesundheitszustand angepasste Intensität, so Wang.