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Leben ohne Personalausweis: Chinas Randgruppe kämpft um Existenz
  2015-07-15 09:45:35  cri


 

Wenn er nicht von seinem Käufer geflohen wäre, wäre alles ganz anders gekommen. Abnehmer von entführten Kindern sind meist Familien, deren Kinderwunsch nicht erfüllt ist, oder die sich einen Sohn wünschen. Sie hätten Yang Haijun in die Haushaltsregistrierung eintragen lassen und ihn groß gezogen. Schule, Arbeit und so weiter. Doch das Kind wusste, dass es nach Hause musste. Yang wollte einfach weg. Und die Flucht ist ihm auch gelungen. Auf eigene Faust machte er sich auf die Suche nach den eigenen Eltern, über 30 Jahre lang, erfolglos. Heute existiert Yang Haijun für das System nicht. Er hat kein Hukou, keinen Personalausweis, keine Versicherung… Wie sieht ein Tag im Leben eines Existenzlosen aus?

Neun Uhr morgens im Vorort der Stadt Jiangyou in der westchinesischen Provinz Sichuan. In einem schäbigen Wohnhof schneidet und schleift Yang Haijun als Tagelöhner Gestein, woraus Jade gewonnen wird. Der Lohn dafür? 100 Kuai pro Tag, umgerechnet sind das 17 Euro.

„Ich schleife Steine, guck mal, meine Hände sind schon kaputt."

Yang Haijun hat sich für Ren Mengyan von China National Radio einen Tag freistellen lassen, er will ihm seine Unterkunft zeigen. Sie steigen auf sein Moped. Nach 20 Minuten sind sie in seiner kleinen Mietwohnung angekommen. Überall stapeln sich gebrauchte Klamotten.

„Altklamotten, tausende Stücke. Es gibt keinen Platz mehr, sonst hätte ich noch mehr besorgt. Die verkaufe ich im Winter wieder. Im Sommer arbeite ich als Tagelöhner."

2001 entschloss Yang Haijun, der lange als Obdachloser auf den Straßen lebte, in der Stadt Jiangyou sesshaft zu werden. Seitdem macht er alle mögliche Knochenarbeit. Neben dem Altkleidersammeln verkauft er Obst, gebrauchte Werkzeugmesser und alte Wanduhren. Wenn er keine Aufträge hat, streicht er am Flussufer entlang, um bizarre Steine zu sammeln. Denn es gibt schließlich Menschen, die Steine mögen. Alles, womit er einmal Geld verdient hat, merkt sich Yang Haijun. So hebt er ein paar Erinnerungsstücke auf und stellt sie in die schon sehr enge Wohnung. Das ist für ihn eine Art Hobby.

„Das hier alles zeigt, was ich gemacht habe. Da unten sind Steine. Das Steinesammeln bringt mir jedes Mal 20 bis 30 Kuai. Alles sehr mühsam, aber nichts Illegales."

2014 ist die NGO „Baobei Huijia" auf Yang Haijun zugekommen, übersetzt heißt das soviel wie „kommt nach Hause, Kinder". Die Organisation will entführten Menschen helfen, ihre Familien zu finden. Nur mit bestandener DNA-Prüfung ist die Haushaltsregistrierung möglich. Allerdings ist die Suche gar nicht so einfach, denn die Spuren, an die sich Leute wie Yang Haijun noch erinnern, sind oft keine Hausadressen, sondern Augenblicke. Informationen, mit denen er und nun die Freiwilligen von „Baobei Huijia" suchen, sind nur Details, die nicht viel bringen. Yang meint zum Beispiel, dass es im Dorf eine überdachte Brücke und einen Nachbarn gegeben habe, der blind war, weil er von einem Büffel aufgespießt worden sei. Herr Zhao von „Baobei Huijia" kann damit nicht viel anfangen.

„Wir haben alle Dörfer in der Region besucht, die eine überdachte Brücke haben. Aber die Informationen passen nicht zusammen. Die Dörfer sind zum Teil heute ganz anders. Die Menschen sind weg oder die Häuser renoviert. Es kann aber auch sein, dass Yangs Eltern das vermisste Kind nicht bei der Polizei gemeldet haben, so dass man keine passenden findet. Yang hat uns noch zwei Namen gegeben und wir haben die Personen auch gefunden. Leider kennen sie kein vermisstes Kind wie Yang Jianjun."

Yang Haijuns Leben ist ohne Haushaltsregistrierung total eingeschränkt. Kein Hukou, kein Personalausweis. Und ohne Personalausweis darf Yang weder mit der Bahn fahren noch in Hotels übernachten. Hinzu kommt:

„Seit acht Jahren bin ich mit meiner Freundin zusammen, die ich aber nicht heiraten darf. Denn beim Standesamt wird nach Hukou gefragt."

Yang Haijun und die Freiwilligen wollen noch einmal ihr Glück bei der Polizei versuchen. Ein Beamter sagte ihnen, Verwandte seien Voraussetzung dafür, um die Haushaltsregistrierung zu bekommen. Für Yang Haijun ist das nichts Neues:

„In deinem Fall musst du Eltern oder Familienangehörige finden, an die kannst du dich standesamtlich anschließen lassen. Danach folgt noch die genetische Identitätsprüfung. Anders geht es nicht."

Yang Haijun bittet inständig:

„Vielleicht gibt´s ja Sonderregelungen. Ich bin in Sichuan aufgewachsen und kenne viele Menschen, die das wissen. Und ich habe mich immer auf den Weg gemacht, meine Eltern zu suchen, sobald ich etwas Geld gespart hatte. Ich habe mich so sehr bemüht!"

„Du hast keine Dokumente, die deine Identität beweisen. Die Politik für Hukou gilt überall im Land. In deinem Fall kann keine Behörde helfen."

Diese Antwort hat Yang Haijun schon x-mal gehört. Die Freiwilligen versprechen, Yang das nächste Mal mit auf die Suche zu nehmen. Dann brechen sie wieder auf zum nächsten Entführten.

Die Organisation „Baobei Huijia" kennt noch über 100 Leute, die das gleiche Schicksal plagt. Die Suche nach den leiblichen Eltern blieb erfolglos. Bislang gibt es noch keine rechtlichen Bestimmungen, die solch einen Fall regeln. Eine Lösung der Hukou-Frage scheint für diese soziale Randgruppe nicht in Sicht.

Text: Li Zheng
gesprochen von Emilie Cherlet

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