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CRI berichtet aus Guizhou: Überfall zwischen den Bergen – ein Augenzeugenbericht
  2015-05-28 16:13:44  cri


(Das Dorf Yongkang)

Seit Tagen hängt ein grauer Nebel über den grünen Bergen von Guizhou. Straßen sind nass vom unsichtbaren Regen, von Bäumen und Blättern, die die Landschaft für Kilometer und Kilometer dicht abdecken, tropft es ununterbrochen. Es ist nicht heiß, trotzdem schwitzt man pausenlos in der dicken Luft. In den Reisfeldern in den Tälern stehen vereinzelt Bauern, die ihre Setzlinge im kniehohen Wasser einpflanzen. Grillen schreien so laut, dass es klingt wie Sirenen. In den Dörfern, die wir durchfahren ist es zumeist menschenleer. Die Kinder sind noch in der Schule, die Erwachsenen in den Feldern oder in der Stadt Li Bo zur Arbeit. Die Schlaglöcher lassen die Buspassagiere in der letzten Reihe von ihren Sitzen gefühlt einen halben Meter in die Höhe fliegen. Schleudertraume vorprogrammiert auf den Serpentinen der Berge um Li Bo. Die Augen können wir nicht von diesen dunkelgrünen Bergen im Urwald nehmen. Wir sind wieder auf der Suche nach Geschichten: Die Japaner haben 1944 auch in Guizhou gewütet und hier ein Dorf nach dem anderen besetzt. Nur wenige, die die Geschehnisse von damals mit eigenen Augen gesehen haben, sind noch am Leben. Warum fällt es einem eigentlich immer erst so spät ein, dass man mal hätte nachfragen können?


(Meng Shaoqiu)

Meng und seine Frau begrüßen uns in ihrem kleinen Bauernhaus im Dorf Yongkang. Er ist 88 Jahre alt, ihm fehlen gleich mehrere Zähne und sein Gang ist in kleine langsame Schritte unterteilt. Er trägt eine dunkelblaue Jacke und eine sportliche Hose. Die haben sicherlich mal besser gepasst. An dem dünnen kleinen Körper hängen sie weit herab. Seine rechte Hand zittert heftig wenn er redet und gestikuliert. Aber was er berichtet und wie er selbstsicher erzählt zeigt, dass sein Kopf sein Alter noch nicht erreicht hat. Als die Japaner 1944 in sein Dorf kamen war er gerade einmal 17 Jahre alt. Es war keine Überraschung: Seit drei Tagen und zwei Nächten hatte es um die Grotte, den eigenen Bergdurchgang zum Dorf, Gefechte gegeben. Bauern und Kämpfer aus der Gegend hatten die Japaner aufhalten wollen. Für drei Tage war das gelungen. Bis den Angreifern die Geduld ausging und sie sich über einen Umweg Zugang verschafften und die in der Grotte verbliebenen Kämpfer töteten. Danach wurde das Dorf besetzt. Wider der Erwartung aus heutiger Sicht war die Reaktion auf die Invasion der Japaner zunächst eine gemischte: Die Kuomintang hatte die Gegend über lange Zeit auf brutale Weise verwaltet. Und auch wenn es mit Logik vielleicht nicht viel zu tun hatte, so verspürten die Bewohner auch Hoffnung durch die Japaner. Konnte eine Veränderung nicht auch eine gute Veränderung bedeuten. Auf der anderen Seite herrschte die Angst vor dem Unbekannten und es wurde Essen versteckt. Von tatsächlicher organisierter Verteidigung war aber nicht mehr wirklich etwas übrig.


(Blick aus der Grotte)

Das Unbekannte kam und stellte sich als grausamer heraus als sich Meng und die restlichen Bewohner des Dorfes hätten vorstellen können. Alles Essbare nahmen die Japaner an sich. Sie plünderten die Häuser und ließen sie mit nichts zurück. Hühner und Schweine wurden den Bauern genommen, genau wie Pferde, die beim Lasten schleppen helfen sollten. Wer sich wehrte, wurde niedergeschossen, berichtet Meng. So blieb den chinesischen Bauern nichts mehr weiter als ihre Häuser. Und auch diese sollten sie verlieren. Denn im April ist es noch kalt in dem Gebirge und die Japaner nutzen ein Haus nach dem anderen, um sich an seinem Feuern zu erwärmen.

Mit anderen Jugendlichen flüchtet sich Meng teilweise in den Wald. Doch auch dort ist niemand sicher. Einer Frau wollen ein gutes Dutzend Japaner das Schwein abnehmen. Als sie sich wehrt, machen sich die Männer über die Frau her. Meng hat die Vergewaltigungen mit angesehen. Die Frau überlebte zunächst mit schweren Verletzungen. Ein Jahr später aber schon verabschiedete sie sich von der Welt. Die Erinnerungen stehen Meng ins Gesicht geschrieben und klingen aus seiner Stimme während er erzählt. Doch neben den Anschuldigungen an die Japaner und an Japan, das bis heute keine Schuld eingesteht, klingt auch ein leiser Vorwurf an sein eigenes Dorf: Hier haben Menschen vereinzelt mit Steinen nach Japanern geworfen wenn sie ihren eigenen Hof in Gefahr sahen. Es gab aber keine Organisation, keiner Ergriff die Führung um sich gemeinsam zu verteidigen, wer konnte, der ergriff die Flucht. Irgendwie meint man, dass er gerne mehr erwartet hätte, doch jeder kümmerte sich um seins und so verloren in diesem Frühjahr alle alles. 30 Menschen aus dem Dorf verloren gar ihr eigenes Leben. Zwei Wochen verweilten und wüteten die japanischen Feinde im Dorf und nahmen mit, was sie wollten und konnten.

Meng hat überlebt. Er studierte in den 50ern Politik an der Zentralen Universität für Minderheiten in Beijing. Als Angehöriger der Shui Minderheit wurde er im Jahre 1957 von Mao Zedong und Premierminister Zhou Enlai empfangen. Das berichtet er mit Stolz und zeigt ein Foto von dem Ereignis. Erst 15 Jahre später kehrte Meng in sein Dorf zurück. Um sich um einer Eltern zu kümmern. Seitdem lebt er dort, zwischen den Bergen in denen so viel passiert ist, das niemand jemals erleben sollte. Erlebt in seiner Erinnerung mit dem Bewusstsein, dass seine Enkelin, die heute in Beijing studiert, kaum etwas über seine Geschichte weiß. Sie haben kaum Kontakt und sie hat nie wirklich gefragt.

Emilie Cherlet 

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