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Ein tibetisches Umsiedlerdorf im Wandel
  2014-11-19 14:54:04  CRI

 

Schlichte, ebenerdige Wohnhäuser mit weißen Wänden und roten Metalldächern in Reihen, eine von Bäumen gesäumte Straße und moderne Solarstraßenlampen: Das neue tibetische Umsiedlerdorf Tanggula im südlichen Vorort der Stadt Golmud in Qinghai sieht auf den ersten Blick wie ein normales städtisches Wohnviertel in China aus. Doch Wanddekorationen tibetischen Stils und Frauen in tibetischer Tracht, die Gebetsmühlen in der Hand drehen, verraten die besondere Eigenschaft des Dorfes.

Wir sind zunächst beim alten Dorfvorsteher Kunga Namgyal zu Gast. Er wohnt auf einem über 300 Quadratmeter großen Hof mit einer 60 Quadratmeter großen Vier-Zimmer-Wohnung. Das nicht allzu helle Wohnzimmer ist mit Möbeln tibetischen und westlichen Stils sowie mit einfachen Haushaltsgeräten ausgestattet. Anstatt tibetischer Tracht trägt Kunga Namgyal einen dunkelblauen westlichen Anzug. „Früher wohnten wir in Zelten in der Viehzuchtregion auf dem Hochland. Schlechte Wetterbedingungen und die ungünstige Verkehrslage machten uns schwer zu schaffen", sagt er und scheint mit der jetzigen Wohnung zufrieden zu sein, „jetzt ist die Wohnung gut und warm. Wir sind mit fließendem Wasser, Strom, Telefon und Fernsehanschluss versorgt." Doch etwas (beim sprechen betonen) fehlt dem 60-jährigen Tibeter offenbar doch:

"Mit unserem Leben an sich haben wir jetzt keine Probleme. Was uns aber am meisten fehlt, ist eine Religionsstätte. Wir Tibeter sind durch unseren religiösen Glauben geprägt. Die Umrundung der großen Gebetsmühle und das Sutralesen in der Freizeit bedeutet für die meisten Dorfbewohner, besonders die Alten, nicht nur eine körperliche Betätigung, sondern es ist auch gut für ihre Psyche und Laune."

Fast alle Tibeter sind Anhänger des tibetischen Buddhismus. Die Regierung hat sich bemüht, ihre religiösen Bedürfnisse zu erfüllen. Der Parteisekretär der Gemeinde Tanggula, Zhao Shouyuan, erklärt:

"Wir haben ein Grundstück zur Verfügung gestellt und planen vor dem Altenheim im Dorf Gebetsmühlen und –fahnen zu errichten. Für die alten Menschen bedeutet das Umschreiten der Gebetsmühle auch eine Art Seelsorge. Das ist das Problem, das Bevölkerung am meisten umtreibt. Nun hoffe ich auf ein Lösungskonzept auf höherer Ebene."

Kunga Namgyal und seine tibetischen Dorfbewohner führten früher in der 4700 Meter hoch gelegenen Tanggula-Gemeinde auf dem tibetischen Hochland ein Nomadenleben. Der Ort gilt als Ursprung des Jangtse Flusses. Ende 2004 waren 407 tibetische Hirten in 128 Haushalten freiwillig in das neue Dorf umgesiedelt, das 400 Kilometer entfernt von ihrer Heimat liegt. Die meisten von ihnen haben während einer verheerenden Schneekatastrophe im Jahr 1985 ihre Tierbestände ganz oder zum Großteil verloren. Die Umsiedlung gilt als Teil eines Umweltprojektes, das die chinesische Regierung damals zum Schutz des Ursprungs des Jangtse in Gang gesetzt hat.

Die chinesische Regierung will die tibetischen Umsiedler nicht allein lassen. In das neue Dorf wurden zunächst mehr als 20 Millionen Yuan RMB, umgerechnet etwa 2,6 Millionen Euro, investiert. Jede Wohnung steht den Bewohnern kostenlos zur Verfügung. Danach wurden weitere 30 Millionen Yuan, knapp 3,9 Millionen Euro, in Wasser- und Stromversorgung, Hausrenovierung, Straßenbau, Aufforstung und Energieeinsparung investiert. Mit Laden, Schule, Klinik, öffentlichem Platz und Unterhaltungsraum ist das Umsiedlerdorf nun komplett eingerichtet. Alle sind inzwischen krankenversichert.

Doch die Bewohner machen ihr Leben mehr und mehr von staatlichen Zuschüssen abhängig. Diese umfassen eine Hilfe zur Finanzierung des Lebensunterhalts und eine jährliche finanzielle Kompensation für die vom Staat beanspruchten Weidegebiete. Allein durch die staatlichen Zuschüsse kann das jährliche Pro-Kopf-Einkommen eines Dorfbewohners 20.000 Yuan, über 2600 Euro, erreichen. Nun aber wächst im Dorf die Sorge: Was, wenn auf 10 Jahre angesetzte staatliche Hilfe ausläuft? Dieses Problem macht auch dem tibetischen Präsidenten im Volkskongress der Gemeinde Tanggula, Wen Changtai, zu schaffen:

"Das heikelste Problem ist, dass es hier im Dorf die nachhaltige Industrie und umsetzbare Maßnahmen für die Entwicklung fehlen. Die umgesiedelten tibetischen Hirten müssten sich aus eigener Kraft ernähren können. Aber unsere Hilfsprojekte wie eine Fabrik für tibetische Teppiche und ein Zentrum für Steinschnitzerei wurden in vielerlei Hinsicht eingeschränkt, sei es durch mangelnde Aufträge, durch die Produktion und den Absatz, sei es Sprachbarrieren im Beruf."

Vor allem die Umsiedler im Alter zwischen 30 und 40 Jahren sowie über 60 Jahren haben Schwierigkeiten bei der Eingewöhnung: Sie sind in der Bergweide aufgewachsen, sind zum Großteil nicht zur Schule gegangen und verstehen nur vom Tierehalten etwas. Wegen der Sprachbarriere und mangelnder Qualifikationen können sie sich nur schwer in der Stadt einleben.

Die Regierung greift wieder ein: Durch Ausbildungskurse wie beispielsweise in Kochen, Autofahren, Maurern und Tanzen wird versucht, die jungen Dorfbewohner in neue Arbeitsverhältnisse zu vermitteln.

Diese Probleme bereiten Tsering Co scheinbar keinen Kummer. Die 43-jährige Tibeterin ist im Alter von 33 Jahren zusammen mit ihren Eltern hierher umgesiedelt und ist nun Hausfrau. Ihr Mann betreibt neben der Viehzucht auch noch Geschäfte für tibetische Edelsteine und Chinesischen Raupenpilz. Doch ist für Tsering Co das wohlhabende, stressfreie Leben in der Stadt alles? Die Antwort ist nein:

"Im Tanggula-Gebirge leben noch zwei meiner Schwestern und viele andere Verwandte. Ich vermisse das Weidegebiet und meine Tiere sehr. Dort ist es wunderschön."

Verfasst von Yan Wei

Gesprochen von Xi Jing

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