Ähnlich wie in Deutschland, gibt es auch in China wilde Vorurteile gegenüber dem Norden beziehungsweise Süden des Landes. Viele Chinesen sind davon überzeugt, dass sich Norden und Süden nicht nur in Punkto Sprache und Klima, sondern auch in der Mentalität unterscheiden. Was ist dran an den Klischees?
Eine klare, geographische Grenze gibt es nicht, mal wird der Yangtse-Fluss, mal der Huai He-Fluss genannt. Alles, was darüber liegt, ist Nordchina, alles darunter ist Südchina. Und was ist der Unterschied?
„Die im Norden essen zu jedem Fest Teigtaschen. Im Süden dagegen essen sie Reisbällchen"
„Im Süden, sagt man, leben die findigeren Geschäftsleute"
„Der Umgangston im Süden ist höflicher. Im Norden ist man direkter."
Eine kleine Umfrage in der Redaktion zeigt, dass zahlreiche, liebgewonnene und scherzhaft geäußerte Klischees sowohl über Nord- als auch über Südchina und die jeweiligen Landsleute kursieren. Doch wodurch genau unterscheidet sich der Norden vom Süden?
Erstens: Das Wetter
Da wäre zunächst einmal das Klima. Im Norden ist es generell kühl und trocken und wenn im Winter der eisige Wind aus Sibirien über das Land fegt, kann es in Harbin schon einmal -20 Grad Celsius werden. Im Süden hingegen ist es wärmer, an der Küste ist das Klima sogar tropisch warm und regnerisch.
Zweitens: Die Sprache
In ganz China gilt Mandarin als Amtssprache. In der Realität sprechen die Chinesen in verschiedenen Provinzen unterschiedliche Dialekte, die sich mal mehr mal weniger vom Hochchinesisch unterscheiden. Im Süden, in den Provinzen Guangdong, also Kanton, in Guangxi sowie in den Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macao, ist Kantonesisch verbreitet. Kantonesisch und Mandarin teilen sich zwar einen kleinen Teil der Schriftzeichen, sind ansonsten aber komplett unterschiedlich.
Drittens: Das Aussehen
Ganz allgemein gesprochen gelten die Chinesen im Norden als etwas größer als die im Süden. Betrachtet man die Daten aus den verschiedenen chinesischen Provinzen, dann ist diese Beobachtung sogar belegt. In der nördlichsten Provinz Heilongjiang beträgt die Durchschnittsgröße eines Mannes 1,75 Meter, im südlichen Guangxi hingegen, misst der Durchschnittsmann nur 1,68 Meter. Unter anderem liegt dieser Unterschied in der Statur an den an China angrenzenden Nachbarvölkern. Im Laufe der Geschichte vermischten sich die Nordchinesen mit den mongolischen Nomadenvölkern, die Südchinesen mit den alten Yue-Völkern und den Thai-Ethnien.
Viertens: Das Essen
In China essen alle Reis? Von wegen! Auf den weiten Plateaus im Norden wurde früher mehr Weizen und Hirse kultiviert, während im regenreichen Süden Chinas Reis angebaut wurde. Das erklärt, warum auch heute noch im Süden mehr Reis gegessen wird, während es im Norden mehr Teiggerichte, wie Nudeln und Teigtaschen, in allen Variationen gibt.
Die Frage, ob sich die unterschiedlichen Agrarkulturen auch auf die Mentalität der Chinesen ausgewirkt haben, führt zum nächsten Punkt:
Fünftens: Die Mentalität
Eine Studie aus dem Jahr 2014 behauptet, dass diese Nudel-Weizengrenze Grund für die unterschiedliche Mentalität der Nord- und Südchinesen ist. Sie stellt einen Zusammenhang zwischen Kollektivismus oder Individualismus und der jeweiligen Bepflanzung der Felder mit Reis oder Weizen fest.
Hier die Kurzfassung: Reisanbau ist mühsam. Vom Bewässern bis zur Ernte muss ein ganzes Dorf mitanpacken und zusammenarbeiten. Da ist Teamarbeit ist gefragt. Die reisanbauenden Südchinesen denken also mehr im Kollektiv.
Der Weizenanbau in Nordchina hingegen ist weniger anstrengend, das schafft auch ein Bauer alleine, ergo: er denkt eher individuell. Die unterschiedlichen Anbauweisen haben möglicherweise einen Unterschied in der nord- und südchinesischen Mentalität bewirkt – soweit die Theorie der US-amerikanischen und chinesischen Wissenschaftler.
„Die Reis anbauenden Bauern im südlichen China sind mehr voneinander abhängig und denken ganzheitlicher als die Weizen züchtenden Nordchinesen", erläuterten die Forscher.
Unter Chinesen gelten die Männer und Frauen im Norden als direkter und ehrlicher, während die Südchinesen als höflich und zurückhaltend bekannt sind. Familie und Religion sind im Süden wichtiger als im Norden. Und: Wenn es um den Alkoholkonsum geht, gelten die Nordchinesen als trinkfester als die Südchinesen. Soweit die Klischees, die natürlich nicht allzu ernst genommen werden dürfen.