Lange im Voraus geplante Bankette sind in China für hohe Gäste die Regel. Überhaupt keine Zeit zur Vorbereitung hingegen blieb dem unbekannten Koch von Tengchong, der dem Volksmund zufolge im 17. Jahrhundert Kaiser Yongli bewirten musste. Der letzte Kaiser der Südlichen Ming-Dynastie befand sich gerade auf der Flucht vor den heranrückenden Truppen der Qing. In Anbetracht seiner ernsten gesundheitlichen Verfassung war Eile geboten. Das namenlose Gericht aus zerhackten Reisnudeln, Fleischstückchen, Tomaten, Eiern, getrockneten Pilzen und Gemüse, das der Koch hastig in seinem Wok zubereitete, mundete dem zu Tode erschöpften Yongli so sehr, dass er es kurzerhand "Dajiuja" taufte – "Das Gericht, das dem Kaiser das Leben gerettet hat".
"Das Leben des Kaisers verlängert" wäre freilich ein passenderer Name für die in ihrem Aussehen und Geschmack stark an italienische Pasta erinnernde Spezialität aus Tengchong. Denn Yongli wurde kurze Zeit später von den Qing-Truppen gefasst und hingerichtet. Die Kleinstadt im gebirgigen Südwesten der Provinz Yunnan blieb für ihn letztendlich nicht mehr als eine Durchgangsstation auf dem Weg in den Tod.
Heftig umkämpft
300 Jahre später rückte die heute rund 600.000 Einwohner zählende Stadt erneut ins nationale Blickfeld. Dieses Mal als Wendepunkt im Widerstandskampf gegen die japanischen Invasoren. Tengchong war im Zweiten Weltkrieg der erste Ort in China, der von den chinesischen Truppen mit Unterstützung der Alliierten von den Japanern zurückerobert werden konnte.
Die 43 Tage dauernde Schlacht im Herbst 1944 forderte insgesamt über 15.000 Tote. Der Märtyrer-Friedhof im Westen von Tengchong erinnert noch heute an diesen blutigen Kampf. Er ist den 9.168 chinesischen und 19 alliierten Soldaten gewidmet, welche die Rückeroberung der Stadt mit ihrem Leben bezahlten.
Der im Juli 1945 einen Monat vor der bedingungslosen Kapitulation Japans vollendete Soldatenfriedhof ist dem Sun Yatsen-Mausoleum in Nanjing nachempfunden. Sein Zentrum bildet ein 30 Meter hoher Grabhügel, auf dem ein Obelisk mit der Inschrift „Nationalhelden" thront. Die Sonne auf blauem Hintergrund an seiner Spitze erinnert daran, dass die in Tengchong gefallenen Soldaten einer Einheit der Kuomintang angehörten. Die Grabsteine auf den Flanken des Hügels sind strikt nach dem militärischen Rang der Soldaten und ihrer Aufstellung vor der alles entscheidenden Schlacht angeordnet.
Offene Wunden
Symbolisch für die 6.000 japanischen Soldaten, die im Kampf um Tengchong umkamen, steht hinter dem geschwungenen Eingangstor zum Friedhof ein unscheinbares Grab. Darin ruhen die Gebeine der japanischen Offiziere, die den Angriff auf Tengchong ausgeführt haben. Ihre sterblichen Überreste wurden von den Planern des Friedhofs bewusst so positioniert, dass sie für immer zu ihren chinesischen Opfern hinaufschauen müssen – als würden sie diese jeden Tag um Vergebung bitten.
Die teils unvorstellbaren Gräueltaten, welche die Japaner während ihrer 859-tägigen Okkupation von Tengchong begangen haben, erklären auch die vielerorts in der Stadt unübersehbaren Ressentiments ihnen gegenüber.
Umgekehrt ist der Dank der Lokalbevölkerung für die während dem Zweiten Weltkrieg erfahrene Hilfe von außen auch heute noch spürbar – dann etwa, wenn man als Westler von einem Rentner mitten auf einer Straßenkreuzung angehalten und mit strahlenden Augen erwartungsvoll gefragt wird: „Ni shi mei guo ren?" – "Bist du Amerikaner?"