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Exklusivgepräch mit Juergen Voegele, Landwirtschaftskoordinator der Weltbank in Beijing
   2005-10-18 17:23:23    cri

- Herzliche Gratulation, Herr Voegele! Ist Ihnen der diesjährige chinesische Staatspreis eine Überraschung gewesen?

- Ja, das war natürlich schon eine Überraschung sowohl für mich persönlich, als auch für unser ganzes Team. Was uns eigentlich noch mehr überrascht hat, war die Herzlichkeit und die Wärme, die uns von dem Staatsratsvorsitzenden und dem Wissenschaftsminister bei der Verleihung entgegengebracht worden ist.

- Sie sind ein China-Experte und kennen sich besonders in Landwirtschaft und Entwicklung der ländlichen Gebiete Chinas gut aus. Seit der Vergabe der ersten Landwirtschaftskredite der Weltbank für China sind jetzt 14 Jahre vergangen. Welche wichtige Erfahrungen haben Sie dabei gesammelt?

- Wissen Sie, je länger ich hier arbeite, desto weniger fühle ich mich als Experte von irgendwas. Je länger Sie in einem Land wie China arbeiten, desto mehr wird es Ihnen bewußt, dass Sie sehr sehr viel lernen müssen, bevor Sie irgend etwas beitragen können. China ist 40 Mal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, China hat 56 verschiedene Nationalitäten. China hat 1,2 Milliarden Menschen zu ernähren, auf einer Landfläche - oder sagen wir mal so, China hat 22 Prozent der Weltbevölkerung an Population, d.h. fast jeder Fünfte Mensch auf der Welt ist ein Chinese. Und die chinesische Regierung ist in der Lage, diese Bevölkerung zu ernähren. 22 Prozent der Weltbevölkerung auf 7 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche der Welt zu ernähren, das alleine ist schon ein Wunder. Das müssen Sie sich mal genau überlegen, was das bedeutet. Die Intensität, die Geschichte, die Technologien, die dafür notwendig ist und die Nachhaltigkeit, die notwendig ist, um so etwas auf die Dauer zu erhalten. Deshalb wenn jemand aus Deutschland wie ich kommt, sie lernen immer wesentlich mehr als sie beitragen können. Trotzdem sind wir in der letzten 10 Jahren gelungen, gemeinsam etwas zu tun, was vielleicht ohne äußere Hilfe nicht passiert wäre. Und ich denke, dass wir deshalb auch eine Anerkennung bekommen haben.

- Wie viele Projekte haben Sie bisher durchgeführt? Können Sie uns einen Überblick geben?

- In den letzten 20 Jahren hat die Weltbank in meiner Abteilung insgesamt über 60 Projekte mit einem Gesamtvolumen von über 10 Milliarden US-Dollar in China finanziert. Wir haben in all den Projekten Agrartechnologien entweder eingeführt, oder hier in China vor Ort weiter entwickelt, zusammen mit den chinesischen Partnern. Und zwar in Bereichen der Forstwirtschaft, Bewässerung, Pflanzenproduktion, Tierproduktion, Armutsbekämpfung, Saatgutproduktion. Ich könnte Ihnen da Tausende Beispiele nennen an speziellen Technologien, die durch die Zusammenarbeit mit der Weltbank in China entweder eingeführt oder verbreitet auf großer Basis wurden.

Ich denke, die wichtigsten Ansatzpunkte in China sind: Es ist ein unheimlich dynamisches Land. Es wird sehr viel neue Ideen generiert, häufig bleibende Ideen in Forschungsinstituten stecken, weil es noch Probleme gibt, sie zu kommerzialisieren oder sie zu den Bauern zu bringen. Das ist ein großes Problem. Das sind Probleme, an denen wir lange und oft in mehreren Projekten arbeiten. Und wir versuchen, diese Ideen rauszubringen und sie zu kommerzialisieren und den Bauern zur Verfügung zu stellen.

- Das heißt, Sie müssen gute Kontakte mit den chinesischen Forschern im Landwirtschaftsbereich pflegen. Ja? Da haben Sie viele Kontakte mit den chinesischen Akademien der Landwirtschaftswissenschaft.

- Absolut!

- Fast landesweit?

- Landesweit. Ich hab also gute Kollegen und Freunde hier in Beijing, in der Chinesischen Akademie der Landwirtschaftswissenschaft, in der Akademie der Wissenschaften und natürlich auch im Kreisforschungsinstitut in Hunan oder in Nanjing oder in Yangling in der Provinz Shaanxi, wo die ganzen Technologien für den Westen entwickelt worden sind. Wir haben sehr enge Zusammenarbeit, diskutieren regelmässig mit den Wissenschaftlern dort, was es dort für einen Ansatzpunkt gibt, und wie wir als Institution als Weltbank dazu beitragen können, dass diese Technologien landesweit eingeführt werden.

In den letzten 10 Jahren ist sehr viel technologische Entwicklung in China passiert. Und wir haben uns dem angepasst und wir unterstützen das voll und unsere Projekte richten sich dementsprechend danach aus.

- Wir beurteilen Sie die Mühe der chinesischen Regierung und der lokalen Behörden um die Nutzung von Landwirtschaftskrediten der Weltbank? Haben Sie die Befürchtung, dass China nicht in der Lage ist, die 10 Milliarden US-Dollar Kredite zurückzuzahlen?

- Ja, zum ersten sind wir mit der Qualität der Projekte außerordentlich zufrieden. Also das chinesische Programm zählt zu dem weltweit erfolgreichsten Programm der Weltbank. Es ist gar keine Frage. Denn China hat starkes Interesse an den Projekten. Das sind nicht Projekte, die von uns von außen aufgedrückt werden. Das sind Projekte, die wirklich aus China heraus entstehen. China möchte sich dem Rest der Welt öffnen, sucht Hilfe und wir haben eine ausgezeichnete Zusammenarbeit. So kann ich da nur positive Dinge darüber sagen.

Ich bin Leuten begegnet, Bürgermeistern, Parteisekretären, Wissenschaftlern, Akademikern, die unheimlich viel von ihrer Energie und ihrem Wissen für das Land opfern und die sich wirklich extrem engagieren. Ich habe insgesamt eine sehr sehr posive Gruppe von Freunden um mich herum und Kollegen, von denen ich beeindruckt bin, von denen ich eine Menge gelernt hab und mit denen gemeinsam sich viele Dinge lösen lassen, mit denen China heute konfrontiert ist, ob es die Armutsbekämpfung ist oder die Umweltverschmutzung oder generelle Probleme des Wirtschaftswachstums oder Exportprobleme - in all den Bereichen gibt es Leute, die Fantastisches geleistet und die wirklich Hauptpotential haben, wenn was mehr daraus wird.

Was die Rückzahlung der Kredite angeht, besteht bei China keinelei Probleme. China hat absolut keinerlei Probleme. Es ist genügend Geld hier, Kredite in einer Größe von 10 Milliarden über den nächsten 10 bis 20 Jahre zurückzuzahlen. China hat letztes Jahr alleine landwirtschaftliche Produkte im Wert von 18 Milliarden US-Dollar exportiert. Und die Weltbank hat dazu einen kleinen Teil beigetragen - möchte ich mal sagen, denn wir haben schon vor 10 Jahren große Programme in der Gemüseproduktion, Obstproduktion und Blumenproduktion finanziert, die heute starke Exporteinnahmen bringen.

- Das Mammutprojekt für Wasser- und Bodenerhaltung auf der Lößhochebene hat weltweites Aufsehen auf sich gezogen und wird als "Fahnenprojekt" von der Weltbank selbst bezeichnet. Warum kann das Projekt großen Erfolg erzielen?

- Ja, Sie nennen das "Fahnenprojekt". Im Englischen "Flagshipprojekt". Im Prinzip bedeutet das einfach auch von uns in der Weltbank, dass es ein außergewöhnlich erfolgreiches Projekt ist. Und das Projekt war deshalb außergewöhnlich erfolgreich, weil wir in der Lage waren, über einen Zeitraum von 10 Jahren wirklich fundamentale Veränderungen in der Umwelt in einem Gebiet zu erreichen, das so groß ist wie Belgien. Sie müssen sich vorstellen, dass das Lößplateaugebiet, in dem das Projekt implementiert wird, so groß wie ganz Frankreich ist. Und Sie müssen sich das Gebiet vorstellen wie in Mondlandschaft. Es ist trocken, kahl, die Vegetation ist zerstört, die landwirtschaftliche Nutzung hat zu unglaublichen negativen Veränderungen geführt.

Als wir anfingen, Anfang der 90er Jahre dort zu arbeiten, sagten alle zu uns, "Das können Sie nicht ändern. Das geht nicht. Es kann nichts gemacht werden. Es ist zu kahl dort, es ist zu trocken dort. Es regnet nicht genug, die Vegetation ist nicht genug. Wir haben keine Möglichkeit, das zu verändern." Wir haben wirklich 5 Jahre lang in enger Zusammenarbeit mit allen Beteiligten versucht, Lösungswege zu finden, praktisch eine Kombination von verschiedenen Maßnahmen, die zum einen den Bauern direkt hilft, den Bauern direkt die Einkommensverbesserung ermöglicht, und auf der anderen Seite die Umwelt direkt verbessert. Und nach über 10 Jahren Implementierung ist da praktisch die Vegetationsdichte von 10 Prozent auf 70 Prozent angestiegen. Sie haben jetzt keine braune Fläche mehr, sie haben jetzt ein grünes Land dort.

Und ich denke, dass das ein unheimlich beeindruckendes Ergebnis war, das selbst die höchsten Stellen in Beijing überrascht hat. Das hat uns selbst überrascht. Wir haben am Anfang auch nicht geglaubt ? um Ihnen ganz ehrlig zu sagen. Aber durch die kontinuierliche Zusammenarbeit über lange Zeit hinweg und wirklich systematisch dran - Wir sind wirklich systematisch dran geblieben und haben natürlich mit erheblichem finanziellen und technischen Einsatz einfach eine Veränderung herbeiführen können, die niemand erwartet hat. Insgesamt sind in das Projekt 500 Millionen US-Dollar geflossen. All dieses Geld ging an individuelle Bauern und Haushalte in armen Gebieten für Terrassierung, Obstbäume, Fruchtkulturen, Wiederaufforstung, Zufahrtsstraßen. Ein integriertes Programm.

- Dann muß die Organisation sehr streng überwacht werden?

- Absolut! Wir haben eine sehr interaktive Managementstruktur eingebaut. Und das Projekt wird implementiert nicht von der Weltbank, sondern von den Spezialisten vor Ort. Gemanaget von Wasserressourcenspezialisten ...

- Das sind vor allem chinesische Spezialisten?

- Es sind nur Chinesen. Ausschließlich Chinesen, keine Ausländer dabei. Wir kommen nur regelmäßig dorthin, alle paar Monate für zwei, drei Wochen, schauen uns die ganze Situation an, diskutieren Probleme, finden Lösung und unterstützen den nächsten Schritt. Es ist sehr strikt gemanaget. Das sind in insgesamt über 2 000 Dörfern in einem Gesamtgebiet - wie ich bereits gesagt habe, so groß wie Belgien, finden 100 000 Aktivitäten statt, und die werden alle systematisch auf Karten festgehalten, Landkarten, die maßstabsgestreu erstellt werden, auf denen genau steht, in welchem Jahr die Aktivität stattgefunden hat, wieviel sie gekostet hat und wie groß sie ist. Und es wird für alle Aktivitäten Hunderttausende dokumentiert und es ist verfügbar vor Ort. Und wenn wir kommen, wir können uns beliebig aussuchen, welche Stelle, welches Dorf, welche Aktivitäten wir uns anschauen wollen, und die Aktivität ist dann vor Ort da. d.h. Das Geld wird außerordentlich effizienz verwendet.

- In welchen Punkten soll Ihrer Ansicht nach die Armutsbekämpfung in China noch verbessert werden? Welche Probleme sind noch zu lösen?

- Ich denke, als erstes ist es richtig zu verstehen, dass China in den 90er Jahren das erfolgreichste Land der Welt war, wenn es um Armutsbekämpfung geht. Es gab in den gesamten 90er Jahren nur drei Länder der Welt, die wirklich erfolgreich waren in Armutsbekämpfung auf großer Fläche. Es war China, Vietnam und Mauritius. Und China ist mit Abstand das erfolgreichste Land gewesen. Es hat praktisch geschafft, 200 Millionen Menschen aus der absoluten Armut zu befreien. Und das ist eine historische Leistung, die vorher noch nie in irgend einem Land in dem kurzen Zeitraum gelungen ist.

Trotz der guten Erfolge gibt es noch eine Menge zu tun. Es wird immer noch mehr Finanzressourcen und natürliche Ressourcen aus dem Land in die Städte gezogen als umgekehrt. Und wir fühlen, dass in den nächsten Generationen - ein oder zwei Generationen ? eine Umkehr notwendig ist. Und das sind finanzielle Ressourcentransfer, steuerliche Verbesserung usw. ganz vorne dran. Zunehmend sollen die Gelder in soziale Programme fließen, in ländliche Bereiche, nicht nur für Landwirtschaft, sondern auch für Erziehung und Gesundheitsversorgung und Trinkwasserversorgung. Es wird bereits eine Menge gemacht, keine Frage, es sollte viel viel mehr gemacht werden. Und es sollte versucht werden, das Geld noch zielgerichteter einzusetzen. Es muss das Geld direkt an die Dörfer gerichtet werden und an die Haushalte direkt.

Das ist eine außerordentlich schwierige Herausforderung und China hat gute institionelle Strukturen mit einer Armutsbekämpfungskommission, die direkt unter dem Staatsrat agiert, die auch außerordentlich erfolgreich ist, und die genau in die Richtung geht. Und wir von der Weltbank unterstützen diese Entwicklung dauernd. Wir sind also absolut der Meinung, es sollte in die Richtung gehen und es geht auch in die Richtung.

Da muss das Volk stärker miteinbezogen werden, sogenannte Nichtregierungsorganisation und andere Organisationen sollten zunehmend vom Staat die Freiheit erhalten, selbstständig Armutsbekämpfungsprogramme zu erarbeiten. Denn die Aufgabe ist extrem schwierig. Besonders die Ärmsten der Armen zu erreichen, ist extrem schwierig.

China ist eine außergewöhnliche Situation. Und China wird die Probleme immer auf einer eigenen Art und Weise lösen. Es wird nie die Dinge so tun, wie es in anderen Ländern gemacht wird. Und es ist auch richtig so. China wird sich immer anhören, was andere zu sagen haben, wird es aber immer letztendlich auf einem eigenen Weg machen. Und ich denke, das ist auch ganz genau richtig. Und deswegen ist es für ausländische Experten besonders wichtig, zu verstehen, warum China bestimmte Dinge macht, bevor man überhaupt selber einen eigenen Beitrag leisten kann. Und das dauert doch einige Jahre. Denn die Kultur, die Geschichte und die Ansatzpunkte sind doch ganz anders als wir es kennen und gewohnt sind.

- Soll man vielleicht Geduld haben, wenn man was in China wirklich agieren möchte?

- Das ist absolut notwendig, lange lange vorsichtig und genau zuzuhören.

- Macht Ihnen dabei Spaß, in China zu arbeiten?

- Absolut! Nach 12 Jahren habe ich jetzt noch mehr Spaß als am Anfang, weil es mir jetzt leichter fällt zu verstehen, warum bestimmte Dinge passieren hier, warum bestimmte Dinge gehen und andere nicht gehen. Weil ich jetzt offene Türen finde, seit ich geduldiger bin, länger zuhöre und mir mehr Zeit lasse, aber letztentendlich doch vielleicht auch mehr erreiche ich dadurch.

- Vielen Dank für das Gespräch!

- Danke schön!

Für Radio China International führt Qiu Jing das Gespräch

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