B: Siegel verwendet man in vielen asiatischen Ländern wie z.B. in China, Japan und Südkorea. Ein üblicher Satz im chinesischen Alltag lautet: "Bitte, unterschreiben Sie und setzen Sie Ihr Siegel darunter". Bis zum heutigen Tage werden sowohl handgeschriebene Texte als auch offizielle Dokumente durch das Aufdrücken des Namenssiegels bestätigt. Die chinesischen Kalligraphen und Maler pflegten und pflegen ihre Werke mit ihrem Siegel zu signieren, um die Echtheit zu bestätigen. Und die gesamte Kultur rund um die traditionellen und immer noch gebräuchlichen Siegel in China wollen wir Ihnen heute etwas genauer vorstellen.
A: OK. Liebe Hörer, zunächst einmal werden Siegel von Hand graviert. Traditionell verwendet man zur Siegelherstellung einen besonderen weichen Stein. Und die von Hand gestalteten Siegel sind dabei immer individuell.
B: Und zahlreiche kalligraphische Stile werden verwendet. Neben der am häufigsten verwendeten Siegelschrift ?Zhuanshu" - einer archaischen Schriftform - wurden auch Kanzleischrift, reguläre Schrift und endlose weitere Stile für die Siegelschnitzkunst entworfen. Das Lesen von Siegeln ist eine besondere Wissenschaft. Mit der Zeit wurde das Siegelschnitzen in China zu einem wichtigen Bestandteil der bildenden Künste neben Kalligraphie und Malerei.
A: Ein Namenssiegel ist und bleibt ein einzigartiges, persönliches Andenken für das ganze Leben.
B: Genau. Schon Tausende von Jahren gilt der Abdruck des Siegels oder des Petschafts als die traditionelle Namensunterschrift in China. Bis vor kurzem war es auch die einzige Art der Unterschrift. Die Namensunterschrift - im Westen alltäglich - ist bis heute in China noch nicht weit verbreitet und wird nur selten verwendet. Auf offiziellen Dokumenten findet man stets Siegel und äußerst selten den Namenszug. Schecks werden heutzutage in China sowohl mit Siegel als auch durch Unterschrift gekennzeichnet, obgleich bereits das Siegel Rechtsgültigkeit besitzt.
A: Das Petschaft hat für Chinesen als Identitätsnachweis, als Garantie der Beglaubigung und als Kunstgegenstand große Bedeutung. Die Siegelschnitzerei ist wie gesagt eine Kunst für sich, und Petschaften kann man ebenso sammeln, wie Briefmarken oder Münzen. Kenner bestimmen den Wert eines Siegels nach dessen Alter, dessen Geschichte, der Kunstfertigkeit und der Beschaffenheit des Rohmaterials.
B: Die Materialien, aus denen Siegel oder Petschaft gefertigt wurden und werden, sind dabei durchaus vielfältig. Neben den schon erwähnten speziellen weichen Steinen wurden und werden Metalle verwendet - Gold, Silber, Kupfer, Messing, Bronze und Stahl. Die anspruchsloseren Siegel sind jene aus Eisen und Zinn. In den großen Dynastien galt Jade - Symbol des Adels - als unbedingter Favorit, obgleich auch andere Halbedelsteine und Edelsteine verwendet wurden. Elfenbein, Speckstein und Bambus waren ebenfalls in Gebrauch. Gummi- und Plastikpetschaften sind am billigsten. Wohlhabende Chinesen bevorzugten stets Petschaften aus teurem Material.
A: Die Siegelhersteller in China sind genauso zahlreich wie die Siegel selbst; fast an jeder Ecke findet man einen derartigen Stand. Einige der Siegelhersteller sind wahre Künstler und haben Kalligraphie studiert. Sie vermögen sowohl filigrane, als auch sehr kräftige Petschaften herzustellen. Solche Siegel werden später als Kunst- und auch Gebrauchsgegenstände behandelt. Ein guter Siegelschnitzer muss Kalligraph, fähiger Graveur und schöpferischer Künstler sein und die Fähigkeit besitzen, die einzelnen Schriftzeichen harmonisch miteinander zu kombinieren.
B: In alter Zeit war das kaiserliche Siegel erblicher Besitz; es wurde sorgfältigst aufbewahrt und an die folgenden Herrscher weitergegeben. Einige blieben uns erhalten und stellen nationale Kunstschätze dar. Selbst heute noch kennzeichnen verschiedene Siegel einzelne Regierungsabteilungen, Ämter und Agenturen. Die Amtsinhaber können wechseln, das Siegel hingegen bleibt. Es geht in einer feierlichen Zeremonie auf den neuen Chef über.
A: Liebe Hörer, wussten Sie schon, dass Siegel bis auf 1324 v. Chr. zurückverfolgen lassen? Vor der Zhou-Dynastie von 1122 bis 225 vor unserer Zeit waren sie allerdings noch nicht in weitem Gebrauch. Anfangs war das Siegel eine Art Bürgpfand oder Ausweiszeugnis des Amtes und des guten Benehmens und es wurde am Gürtel getragen. Diese frühen Siegel sollten gesehen werden, waren also mehr Machtinsignien und weniger Werkzeug für die Versiegelung von Dokumenten. Dabei wird die Sitte, die Siegel am Gürtel zu tragen, im antiken "Buch der Riten" erwähnt.
B: Die am Gürtel baumelnden Siegel waren für gewöhnlich aus Jade gefertigt. Wurde ein Prinz vom Kaiser empfangen, musste er seine Jadepetschaft vorweisen, um seine Identität oder seinen Rang zu bezeugen. Allmählich, mit dem Wechsel der Dynastien, und als die Kultur kompliziertere Formen annahm, bediente man sich auch des Siegels auf Dokumenten als Unterschrift und Stempel. Vor der Erfindung des Papiers verwendete man Bambus oder Seide für Aufzeichnungen. Auf Bambus schnitzte man Schriftzeichen, und mit Tinte beschrieb man Seide. Der Knoten, der die Bambusblätter zusammenhielt, war mit Ton versiegelt und wies den Abdruck des Petschafts des Beamten auf. Damals waren die Siegel unter dem Namen ?tonversiegelte Stempel" bekannt, die eine Verfälschung der Dokumente verhindern und somit deren Echtheit gewährleisten sollten.
A: Nach der Erfindung des Papiers erhielt das Siegel die Aufgabe der Namensunterschrift. Nunmehr zeigte der Besitzer das Siegel nicht mehr vor, um sich auszuweisen, sondern drückte es einfach in rote Tinte und anschließend auf das Dokument oder den Brief. In der Tang-Dynastie von 618 bis 906 unserer Zeit nahmen Siegel schließlich künstlerische Formen an.
Anfangs, vor gut 3000 Jahren, wurde das Petschaft einfach ?Xi" genannt, was soviel wie Siegel bedeutet. Es gab keinerlei Klassenunterschiede. Sowohl Adel als auch das gemeine Volk bedienten sich des Xi. Jeder, der es sich leisten konnte, ließ sich ein Jade-Petschaft anfertigen; das Drachensymbol war damals noch nicht ausschließlich dem Kaiser vorbehalten. Die absolutistische Herrschaft des Kaisers Qin von 221 bis 206 vor unserer Zeit bereitete dieser Ära in der frühen Geschichte des Siegels jedoch ein Ende. Laut Dekret durfte das Schriftzeichen nur auf sein eigenes Groß-Siegel und die Siegel seiner Adeligen geschnitzt werden. Jade und das Drachenmotiv waren fortan dem Kaiser vorbehalten. Das gewöhnliche Petschaft hingegen sollte den Namen Yin - Petschaft - tragen. Außerdem führte man noch das Zhang - Emblem - ein, welches für Generale und Minister niedrigen Ranges bestimmt war. Die Kaiserin Wu in der Tang-Dynastie nannte ihr Siegel "Schatz".
B: Siegel sollten darüber hinaus aber auch dem Schreibtisch oder Tisch ein besonderes künstlerisches und dekoratives Gepräge verleihen. So entstanden die sogenannten "Skulptursiegel", wobei der Teil des Siegels, den man in der Hand hält, eine Skulptur darstellt. Derlei als Skulpturen gestaltete Griffe verbreiteten sich besonders mit der zunehmenden Verwendung von Elfenbein. Elfenbein ist leicht zu bearbeiten, und Künstler vermochten die kompliziertesten Tierformen herauszuarbeiten. In alter Zeit hieß es, je komplizierter das Schnitzwerk, desto bedeutender der Besitzer des Siegels. Auch heute noch gilt dieser Trend - wenigstens in jenem Maße, dass sich nur wohlhabende Chinesen die Ausgaben für eine so schwierige Handarbeit leisten können.
A: Die Liebe zur Schönheit fordert jedoch, dass auch die billigsten Petschafte so attraktiv wie möglich sind. Der Stolz des Chinesen, ein hübsch geschnitztes, künstlerisch wertvolles Siegel zu besitzen, übersteigt bei weitem den Ehrgeiz von Nichtchinesen, etwa einen guten und teuren Füllfederhalter zu besitzen.
B: Stimmt. Zudem liegt ja einer der Vorteile eines Siegels darin, dass der Besitzer sich stets derselben, von Laune und Geschicklichkeit unbeeinflussten, einmaligen und individuellen "Unterschrift" bedienen kann. Und noch ein Vorteil, der aber mit wachsender Bildung immer weniger eine Rolle spielt: Um zu unterschreiben, muss man nicht mal unbedingt schreiben können...
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